Zwei Bücher und eine
Pressekonferenz der besonderen Art thematisieren das Schicksal jüdischer
Flüchtlinge
Theo Bruns
Neunhundert jüdische Flüchtlinge
verlassen am 13. Mai 1939 an Bord des HAPAG-Schiffes St. Louis den
Hamburger Hafen Richtung Kuba, wo sie auf Zuflucht vor der Nazi-Barbarei
hoffen. Ihre Reise wird zu einer Irrfahrt. In Havanna angekommen, müssen
sie erfahren, dass ihre Landeberechtigungen von der Regierung nicht
anerkannt werden.
Ausgestellt hatte sie der Direktor der Einwanderungsbehörde, Manuel
Benítez González – nicht ohne sich dabei privat zu bereichern. Da
Benítez ein Günstling des Armeechefs und “starken Manns” Fulgencio
Batista ist, weitet sich der Streit zu einem internen Machtkampf mit dem
amtierenden Präsidenten Laredo Bru aus. Tagelange Verhandlungen führen
zu keinem positiven Ergebnis. Nur 29 Passagiere mit gültigem Visum
dürfen an Land gehen. Der deutsche Kapitän muss schließlich den Hafen
von Havanna verlassen. Er kreuzt noch eine Zeitlang vor der Küste und
versucht sogar eine Landung vor Florida, aber auch die US-amerikanischen
Behörden sind nicht bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen. Die Reederei
erteilt den Befehl, nach Cuxhaven zurückzukehren.
An Bord spielen sich erschütternde Szenen ab. Die Passagiere sind unter
keinen Umständen bereit, nach Deutschland zurückzukehren, wo ihnen die
Deportation in Konzentrationslager bevorsteht. Eine große Anzahl der
Flüchtlinge kündigt einen kollektiven Selbstmord an, sollte das Schiff
die Nordsee erreichen. Nur den Bemühungen der jüdischen
Hilfsorganisation
Joint und dem mutigen Verhalten des Kapitäns Gustav Schröder, der die
Rückreise weiter verzögert, ist es schließlich zu verdanken, dass die
Flüchtlinge im letzten Augenblick Asyl in Belgien, Holland, Frankreich
und England erhalten und in Antwerpen von Bord gehen können. Eine
trügerische Sicherheit von kurzer Dauer. Kurze Zeit später überfällt
NS-Deutschland die westlichen Nachbarstaaten. Fast die Hälfte der
ehemaligen St.-Louis-Passagiere kommt in den Konzentrationslagern von
Auschwitz, Sobibor und Bergen-Belsen ums Leben. Einen “Mikrokosmos des
Holocaust” nennt Scott Miller vom US Holocaust Memorial Museum ihr
Schicksal.
Über die dramatische Geschichte der jüdischen Flüchtlinge sind zwei
Filme gedreht und zwei Bücher geschrieben worden. Das trotz einiger
Fehler im Detail immer noch lesenswerte Buch von Hans Herlin “Die
Tragödie der St. Louis” wurde jetzt im Herbig Verlag neu aufgelegt. Die
bisher kenntnisreichste Arbeit von Thomas/Morgan-Witts “Das Schiff der
Verdammten” ist leider vergriffen. Die Ankündigung eines neuen Werkes
unter dem Titel “Das St.-Louis-Drama” ließ nun eine Studie erhoffen, die
den neuesten Forschungsstand berücksichtigt.
Doch schon der Verlagsname Stocker lässt aufhorchen: “Rudolf Heß: Ich
bereue nichts” lautet einer der Verlagstitel; “Vom schwarzen Block zur
Lichterkette” der Untertitel eines Buches über das “antifaschistische
Milieu”. Eine kurze Recherche zum Autor Georg Mautner Markhof ergibt:
Der österreichische Unternehmer und Hobbyhistoriker war zeitweise
Wirtschaftssprecher der FPÖ und einer der Stellvertreter Haiders. Die
Lektüre des Buches erbringt sachlich wenig Neues, es ist aber
durchgängig von einem Zungenschlag geprägt, der die Intention des
Autors, sich dieses Themas anzunehmen, verdeutlicht. Es geht ihm darum,
“Pauschalurteile über die deutsche Bevölkerung zurückzuweisen” und vor
“der gefährlichen Schwarzweißmalerei”, die gerade beim Thema NS
“Gefahren in sich berge”, zu warnen.
Konsequent wird insbesondere “der vorbildliche Service” während der
“bezaubernden Seereise” über den grünen Klee gelobt, während der Autor
nicht müde wird, die klägliche und abstoßende Haltung Kubas und
insbesondere der USA zu geißeln, die sich ansonsten gerne als
“Moralapostel” präsentieren würden. Nicht fehlen darf der Hinweis auf
den damaligen Chef der US-amerikanischen Küstenwache, einen gewissen
Herrn Morgenthau, dessen “abstruse Pläne” später zum “Schreckgespenst”
Deutschlands werden sollten. Erstaunt erfahren wir weiterhin, dass der
in Deutschland “zweifellos vorhandene Antisemitismus zu Beginn der
dreißiger Jahre gemäßigter als in den meisten anderen Ländern gewesen”
sei. Und wer klüger als die Nazis war, wusste schon damals: “National
gesinnte Rechtsparteien sind keineswegs eo ipso antisemitisch.”
Vor kurzem wurde das Buch in Hamburg vorgestellt. Der Verleger Stocker
Jr. versichert, dass es “nicht um die hundertste Detailgeschichte
jüdischen Schicksals” gehe, sondern darum, mit “Klischees zu brechen”.
Folgerichtig erzählt der Autor zunächst von seiner Tante, die den
Einmarsch russischer Truppen in Niederösterreich miterleben musste, und
vom “Olsa-Vorfall”, bei dem Polen sich elf Monate vor dem 1. September
1939 den tschechischen Kreisbezirk Teschen unter den Nagel gerissen
habe. Ausführlich berichtet er schließlich über das holländische
Deportationslager Westerbork, von dem ab 1942 insgesamt 100.000 jüdische
Häftlinge – unter ihnen auch Passagiere der St. Louis – in den Tod
geschickt wurden. Im Lager selbst aber sei kein Häftling geschlagen
worden, niemand habe Hunger gelitten. Kurzum: Es habe sich um “ein
Idyll” gehandelt. Kritisch wird hingegen das Verhalten der deutschen
Juden vermerkt, die sich in Westerbork wie “Karikaturen der Preußen”
aufgeführt hätten, so dass ihre holländischen Leidensgenossen sich über
ihr “Herrenmenschengebaren” beschwerten. Als Quintessenz drängt sich
auf: Es gab wackere Deutsche und schlimme Juden. Hinter der Aussage,
dass die “unsichtbare Front” zwischen Gut und Böse quer durch alle
Nationen verlaufen sei, kommt ein Revisionismus der subtilen Art zum
Vorschein.
Ort der Veranstaltung war ein Schifffahrtsmuseum an der Elbchaussee,
welches die größte maritime Privatsammlung Deutschlands beherbergt.
Nirgends sei eine Buchvorstellung “so verteidigungsfähig wir hier”,
betont Hausherr Peter Tamm angesichts der Mörser und Kanonen, die im
Garten dräuend auf den Fluss gerichtet sind. Bei dem militärbegeisterten
Redner handelt es sich um einen interessanten Mann. Er war nicht nur
langjähriger Chef des Springerkonzerns, sondern ist auch ein
ausgewiesener Freund des Maritimen und der Militaria. Für seine
enge Verbundenheit zu den Streitkräften wurde er mit dem
Ehrenkreuz der
Bundeswehr in Gold ausgezeichnet. Er ist Mitglied im Bund für
Denkmal-Erhaltung, der sich u.a. des Kriegsklotzes am Hamburger
Dammtor-Bahnhof annimmt und auf seiner Homepage gegen “kommunistische
Zopfträger” und “geistige Brandstifter” vom Schlage eines Hannes Heer
und seinen “Kampf gegen deutsches Soldatentum” – womit die Ausstellung
über die Verbrechen der Wehrmacht gemeint ist – vom Leder zieht.
Folgerichtig bot Peter Tamm einem verwaisten Kolonialdenkmal, welches an
die schönen Zeiten von Deutsch-Ost-Afrika erinnert, als schwarze Askaris
unter dem deutschen General Lettow-Vorbeck dienten, in seinem Garten
Asyl an. Die
Begrüßungsansprache zur Vorstellung von Mautners Buch nutzt er, um
sein enges Verhältnis zu Österreich herauszustreichen. Schließlich habe
man es dem österreichischen Einsatz in der Schlacht von Helgoland anno
1864 zu verdanken, dass Altona nicht mehr dänisch sei. “Dafür heute noch
ein Dankeschön!”
Mit “Detailgeschichten jüdischen Schicksals” (Stocker) hat all dies
wahrlich wenig zu tun. Die neu begründete Achse Hamburg-Wien hingegen
hat unter den aktuellen politischen Vorzeichen durchaus Chancen, Teil
der hanseatischen Leitkultur zu werden. Dann allerdings stehen ruppige
Zeiten ins Haus – nicht nur für die Dänen.
Hans Herlin: