von matthias küntzel
Der kopflose Zustand der deutschen Linken spiegelt sich in der
Ankündigung des bevorstehenden konkret-Kongresses "Deutschland führt
Krieg - gestern, heute, morgen". Bekanntlich feierte al-Qaida in all
ihren Stellungnahmen die Selbstmordattentäter als "muslimische
Avantgarde" und als "Speerspitze des Islam" und kündigte einen weiteren
"Sturm von Flugzeugattacken" zur Zerstörung Amerikas an. Doch je klarer
die Verantwortung der antisemitisch orientierten Djihadisten für den
Massenmord in Manhattan zutage liegt, desto entschiedener wird eben dies
von konkret dementiert.
So ist in der Kongressankündigung zwar von Umsatzrenditen die Rede, von
Geld, von Macht und von Öl. Die islamistische Bewegung wird jedoch
lediglich als eine Fiktion wahrgenommen und die Behauptung, sie
existiere wirklich, als Kriegslüge abserviert, ja, mit den antijüdischen
Verschwörungstheorien der Nazis gar auf eine Stufe gestellt. Kein Wunder
also, dass der 11. September in der Ankündigung und im Programm des
Kongresses nicht eine einzige Erwähnung erfährt. Über die Massaker und
seine Urheber zu diskutieren, scheint unerwünscht zu sein.
In den neueren Kolumnen von Hermann Gremliza werden die Folgen jener
Leugnung offenbar, werden doch von ihm für die Massaker des 11.
September ausschließlich die Vereinigten Staaten verantwortlich gemacht.
Entweder mithilfe einer Komplott-Theorie oder unter Verweis auf "die
Abscheulichkeit der US-Politik".
Betrachten wir zunächst Gremlizas neues Faible für die
Verschwörungstheorie. In der Januar-Kolumne gilt es ihm als "schwer
vorstellbar", dass die Anschläge "ohne jede Mitwirkung aus den
einschlägigen Diensten vorbereitet und durchgeführt" worden seien,
würden doch die USA erfahrungsgemäß von Kräften regiert, die "zu
Verbrechen aller Art und jeden Ausmaßes bereit sind".
Nun bieten die CIA und das FBI Stoff genug für eine Kritik, die an
Realitäten sich orientiert. Gremliza aber beschwört dunkle Mächte auf
der Grundlage des Gerüchts. Ist es plausibel, dass Jacques Chirac den
Elysée-Palast dem Erdboden gleichmachen lässt, um Truppenentsendungen in
den Kongo (Ölregion!) durchzusetzen? Oder der Bundesnachrichtendienst
eine Budgeterhöhung durch die Sprengung des Reichstags mitsamt den darin
Beschäftigten herbeizwingt? Wer derartige Massaker weder deutschen noch
französischen, sondern allein amerikanischen Dunkelmännern unterstellt,
ist des Antiamerikanismus schon überführt.
Gremliza ließ es zu, dass mit Andreas von Bülow ein exemplarischer
Vertreter jenes Antiamerikanismus "bei konkret ein Refugium" finden
konnte, wie man kokett in der Dezember-Ausgabe betont. Exklusiv also und
gleich auf drei Seiten konnte der ehemalige SPD-Bundesminister sich über
den Mossad und die CIA verbreiten, obwohl schon sein Geheimdienste-Buch
von 1998 an eine Neuinszenierung der "Protokolle der Weisen von Zion"
gemahnt. So will darin der Autor ein "System globaler Steuerung über
verdeckte Operationen" entdeckt haben, dessen Drahtzieher der Mossad und
die CIA seien. "50 kontinuierlich verdeckt gelenkte Nationen" seien den
Verschwörern bereits zum Opfer gefallen!
Keine Überraschung also, dass von Bülow am 4. Dezember 2001 in der
American Free Press mit dem Diktum, "der Bundesnachrichtendienst ist in
der Hand der CIA und der CIA ist in der Hand des Mossad", und mit der
Aussage, "dass er glaubt, dass hinter den TerrorAttacken vom 11.
September der israelische Geheimdienst Mossad steht", zitiert worden
ist. Doch dass er widerspruchslos auch in konkret die Legende lancieren
konnte, der Mossad habe schon vor dem Anschlag auf das WTC Bescheid
gewusst, seine Erkenntnisse aber für sich behalten, das erstaunt und
beweist, an welchen Abgründen balanciert, wer in der Realität des
Islamismus ein Phantasma und im Phantasma der "dunklen Mächte" eine
Realität sehen will.
Gremlizas zweite Deutung ist eine "Rächer-Theorie". Im November-Heft
schreibt er über bin Laden: "Es ist der empfindsame Sohn aus besserem
Haus, der den Anblick des Leids nicht erträgt" und der wohl, hätte sein
Mitleid nur eine Chance erhalten, als ein Robin Hood oder Che gefeiert
worden wäre. Und so wäre das Massaker demnach auch zu erklären: "Wem die
Welt sich als nicht resozialisierbar darstellt, der kann nur noch
kaputtmachen, was ihn kaputtgemacht hat, er muss rächen, vergelten."
Vielleicht will Gremliza als Gegner der USA und Sympathisant Israels in
der Ermordung amerikanischer Zivilisten durch bin Laden und der
Ermordung israelischer Zivilisten durch die Hamas und die Hisbollah zwei
grundverschiedene Dinge sehen. Doch diese Trennung ist absurd. Der
Djihadismus will die USA nicht wegen deren Politik im IWF oder wegen
Vietnam vernichten, sondern weil sie der einzige Verbündete Israels
sind.
So kritisierte 1998 al-Qaida die US-Politik im Golfkrieg, "weil ihr
Ziel auch darin besteht, dem unbedeutenden Staat der Juden zu dienen".
Gremliza unterschätzt zweitens die Eigenmächtigkeit der Ideologie. Er
sieht die Welt in Arm und Reich oder in Täter und Opfer geteilt und
unterstellt, dass keine Politik und keine Ideologie je so barbarisch
sein könnte wie die Ökonomie, die sie angeblich bestimmt.
Ist diese Prämisse nicht schon mit Auschwitz widerlegt? Der
antijüdische Wahn ist zwar keinem metaphysisch "Bösen", sondern einer
historisch und systematisch erklärbaren Sichtweise auf den Kapitalismus
entsprungen. Diese aber ist durch unmittelbare ökonomische Entwicklungen
weder beeinflusst noch gar determiniert.
Keineswegs ist der Djihadismus jener "Anti-Imperialismus der dummen
Kerls", für den ihn Gremliza offenkundig hält. Er führt einen
antisemitischen Krieg, in welchem nicht nur alles Jüdische als böse,
sondern zugleich alles Böse als jüdisch halluziniert wird. Der "große
Satan" wird nicht allein wegen Israel, sondern in erster Linie als das
imaginierte Zentrum einer materialistisch-egoistischen (ergo: jüdischen)
Weltordnung bekämpft.
Die neue Melange aus Vernichtung und Wahn macht den Kapitalismus
freilich nicht besser, sondern offenbart dessen destruktive
Wirkungskraft in einer neuen Dimension. Es gibt deshalb keine
Veranlassung, ihn nunmehr als die "Zivilisation des freien Tauschs" zu
verklären oder der moslemischen Welt gar in einer Art Etappentheorie die
Vorzüge dieser Gesellschaftsordnung mit Verweis auf eine kommunistische
Option am St. Nimmerleinstag ans Herz zu legen.
Wer den islamistischen Hintergrund des 11. September jedoch
auszublenden sucht, gerät nicht nur in die Fallstricke eines stets nur
antiaufklärerischen Antiamerikanismus, sondern verkennt auch den
unmittelbaren Nutzen, den Deutschland aus dem antiamerikanischen
Islamismus zieht.
"Könnten machtpolitisch selbstbewusste Länder möglicherweise daran
interessiert sein, dass der Erfolg (der USA im Kampf gegen den Terror)
nicht triumphal und auch nicht eindeutig ausfällt?" fragte scheinheilig
der außenpolitische Ressortleiter der FAZ und benannte damit den
entscheidenden Punkt. Je geringer der amerikanische Erfolg, desto größer
der Gewinn, der Deutschland als verlogenem "Makler" winkt.
Seitdem das kaiserliche Deutschland sich zum "Freund des Islam"
erklärte, wird der Djihad in den Dienst deutscher Weltmachtinteressen
gestellt. Im Kampf um strategisch-ökonomische Dominanz wird auch heute
wieder die explizit antiwestliche Variante des Islam protegiert: "Der
(gegenwärtige) deutsche Sonderweg für den Islam", so der
Islamwissenschaftler Bassam Tibi, "heißt Fundamentalismus, nicht
liberaler Islam."
Insofern besteht zwischen der seit dem 11. September forcierten
Ausrichtung der deutschen Außenpolitik auf die muslimische Welt und der
Beschwerde der New York Times über die Nachlässigkeit deutscher
Geheimdienste im Umgang mit terroristischen Islamisten ein Zusammenhang.
Zu den von Washington monierten Ungereimtheiten gehört die Tatsache,
dass schon 1998 und 1999 die Harburger Wohngemeinschaft Mohammed Attas
wegen möglicher Verbindungen zu bin Laden observiert wurde. Im Jahr 2000
wurde diese Überwachung jedoch beendet, obwohl die CIA nach Angaben des
Spiegel zu diesem Zeitpunkt "die Verfassungsschutzbehörden in
Deutschland massiv gedrängt (habe), sich der al-Qaida-Organisation in
Hamburg anzunehmen".
Von derartigen Widersprüchen wird auf dem konkret-Kongress "Deutschland
führt Krieg" kaum die Rede sein. So germanozentriert und verbalradikal
der Titel dieser Veranstaltung, so grundlegend wird die deutsche Rolle
im Kontext neuer Frontlinien verkannt. Nicht zufällig wird im
Kongressaufruf der deutsche Vernichtungskrieg von 1939 mit dem Krieg der
USA in Afghanistan auf eine Stufe gestellt und umstandslos unter die
"amerikanisch" konnotierte Motivkette "Geld und Macht, Öl und Hegemonie"
subsumiert. Im gepflegt-linken antiamerikanischen Diskurs, der sich für
den islamistischen Antisemitismus nicht interessiert, scheint zugleich
auch für Spezifika der deutschen Geschichte kaum noch ein Platz zu sein.
Damit sind die Konsequenzen der Ignoranz gegenüber dem 11. September
benannt: Ein Antiamerikanismus, der mit Positionen von Faschisten und
Nationalisten verwechselt werden kann, ergänzt um eine antideutsche
Rhetorik, die stärker im Ausdruck als im Ausgedrückten, also nur
agitatorisch ist.
(Für Anregungen und Kritik danke ich Ulrike Becker, Frank Behn, Kera
Nagel sowie Jürgen Starck.)