* Emeritierter Professor an der Université de Picardie.
Autor des Essays "Le Nazisme et la Culture", Brüssel (Complexe) 2001.
Der 4. Februar 1738 war für Stuttgart ein Festtag. Aus der ländlichen
Umgebung strömten die Württemberger in die Stadt und promenierten in den
Straßen. Juden waren nicht darunter, sie hatten in der Stadt kein
Aufenthaltsrecht. Doch die Hauptperson in dem makabren Schauspiel, zu
dem die Massen drängten, war ein Jude: Joseph Süß Oppenheimer, Geheimer
Finanzrat des Herzogs Karl Alexander, war in der Nacht zum 13. März
1737, unmittelbar nach dem plötzlichen Tod des Landesherrn, verhaftet
und am 13. Dezember zum Tode verurteilt worden. Zu seiner Hinrichtung
kamen mindestens 12 000 Menschen.
Süß Oppenheimer war nach Meinung der Richter die treibende Kraft hinter
allen Übeltaten des Herzogs Karl Alexander; er galt als verantwortlich
für die erdrückende Steuerlast, für die Ausweitung der Korruption und
sogar für die herzoglichen Pläne, die Landstände abzuschaffen und die in
der Verfassung festgelegte Teilung der Macht aufzuheben. Der
Anklagepunkt, er habe die Ehre zahlreicher junger Frauen verletzt, wurde
ebenso fallen gelassen wie der Plan, einen aufgehobenen Erlass wieder in
Kraft zu setzen, welcher den Juden jeden "fleischlichen Umgang mit
Christinnen" verbot.
Die Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer wurde als eine Verhöhnung
seines ausschweifenden Lebens inszeniert: Man präsentierte den
Schaulustigen den "hebräischen Vogel, der von Bett zu Bett geflogen"
war, in einem eisernen Käfig, bevor man ihn, unter dem Geschrei der
Menge - "Tod dem Juden" - an einem zehn Meter hohen Galgen henkte.
Süß Oppenheimer - für Württemberg der Inbegriff des "Hofjuden", dem in
einem deutschen Kleinstaat des 18. Jahrhunderts der Aufstieg unter die
Mächtigen gelungen war - kam als Sohn des Kaufmanns Süßkind-Oppenheimer
in Heidelberg zur Welt. Er hatte es bereits zum Finanzmakler in der
Pfalz gebracht, als ihn Herzog Karl Alexander 1733 zu seinem
Finanzberater machte.
Seine Tragödie ergab sich aus der Politik, die er vertreten sollte, aus
der Forderung nach modernisierter Verwaltung und neuer, kapitalistischer
Wirtschaft zum Vorteil des Herrschers. Dieser, 1712 zum Katholizismus
konvertiert, hatte sich mit zahlreichen katholischen Beratern umgeben,
doch die Vorwürfe und der Hass der protestantischen Bevölkerung
Württembergs, angestachelt vom Ständeparlament, das mit Karl Alexander
im Streit lag, richteten sich gegen Süß, den Juden. Als "Blutsauger",
"Würger" und "Parasit" wurde er bezeichnet. Dass er den Juden in
Württemberg das Tabakmonopol überließ, dürfte dazu beigetragen haben. Im
religiös bestimmten Streit zwischen dem Machthaber und seinen Gegnern
wurde Süß am Ende das Opfer von Machenschaften der Führer der
Landstände. Eine Begnadigung konnte er nicht erwarten, nachdem er es
abgelehnt hatte, zum Protestantismus überzutreten.
Von 1737 bis 1739 erschienen zahlreiche Traktate und Flugschriften
gegen den Juden Süß. Später, 1827, verfasste auch der schwäbische
Dichter Wilhelm Hauff, bereits berühmt für seine Sammlung orientalischer
Erzählungen ("Die Karawane") eine Novelle über ihn. Es war eine Art
Hommage an seinen Ahnherrn, den Parlamentarischen Rat Johann Wolfgang
Hauff, der zu den Verfechtern ständischer Rechte gehört hatte.(2)
Wilhelm Hauff war damit gewissermaßen familiär vorbelastet: Er
schilderte die Ereignisse aus protestantischer Sicht und zeichnete ein
wenig vorteilhaftes Bild vom Berater des Herzogs. Süß erscheint in der
Novelle als Fremder, als ein Mann mit zweifelhafter Moral und als der
Verantwortliche für die Störungen in einem eigentlich funktionierenden
System von Institutionen. Um die Ordnung wieder herzustellen und die
Folgen der furchtbaren sozialen Erschütterungen zu überwinden, muss Süß
sterben - in der Novelle wird er sogar mit dem Teufel verglichen. So ist
es kein Wunder, dass sich später die deutschen Rassisten und
Nationalisten auf die Hauffsche Novelle beriefen und glaubten, darin das
"wahre Bild" des Juden Süß zu finden.
Als der Schriftsteller Lion Feuchtwanger 1916 begann, sich mit dem
Stoff zu beschäftigen, war die historische Figur Joseph Süß Oppenheimer
durchaus nicht dem Vergessen anheim gefallen. Feuchtwanger, der aus
einer Familie des assimilierten jüdischen Bürgertums in Bayern stammte,
allerdings mit dem Judentum gebrochen hatte (ohne den herrschenden
Antisemitismus zu verkennen), schrieb zunächst ein Drama in drei Akten,
das als Parabel über den Ersten Weltkrieg gedacht war. Danach arbeitete
er das Stück, das 1917 erschienen war, zu einem Roman um, der ein
Gesamtbild der Epoche zeichnete, in der Süß gelebt hatte. Dieses Buch,
es war Feuchtwangers erster historischer Roman, hatte bei seiner
Veröffentlichung 1925 großen Erfolg: mehr als 100 000 verkaufte
Exemplare innerhalb von fünf Jahren, Übersetzungen in rund zwanzig
Sprachen.(3) Als Feuchtwanger 1958 im amerikanischen Exil starb, waren
weltweit mehr als zwei Millionen Exemplare von "Jud Süss" verkauft
worden.
Am 4. Oktober 1934 wurde in London ein Film des Regisseurs Lothar
Mendes uraufgeführt, der sich sehr genau an die Romanvorlage hielt. "Jew
Suess" fand international eine gewisse Beachtung, im
nationalsozialistischen Deutschland wurde der Film allerdings verboten.
Er legte zwar viel Gewicht auf die Ausstattung und die Darstellung des
Ghettos und der jüdischen Rituale, sparte aber nicht mit Verweisen auf
die Aktualität des Antisemitismus. Goebbels soll sich darüber ungeheuer
aufgeregt und darum beschlossen haben, dass sich Deutschland dieses
Themas selbst annehmen müsse. Für die Herstellung des Gegengiftes suchte
er sich den bereits namhaft gewordenen Regisseur Veit Harlan.
Feuchtwanger protestierte gegen die Verfälschung seines Romans, doch das
vom Nazischriftsteller Eberhard Wolfgang Möller verfasste Drehbuch
basierte nicht auf seinem Werk, sondern auf der Novelle von Wilhelm
Hauff.
Das Filmprojekt wurde im November 1938 begonnen, zu einem Zeitpunkt,
als das Reichspropagandaministerium die Filmbranche aufforderte, mehr
antisemitische Stoffe auf die Leinwand zu bringen. Man wusste, worum es
ging. Am 15. März 1940 begannen die Dreharbeiten in Babelsberg. Um den
Erfolg beim Publikum nicht zu gefährden, empfahlen die
nationalsozialistischen Propagandaexperten, den Film nicht als
"antisemitisch" vorzustellen. Seine Welturaufführung erlebte "Jud Süß"
am 5. September 1940 auf der Biennale in Venedig. Veit Harlan, seine
Frau, die Schauspielerin Kristina Söderbaum, und Hauptdarsteller
Ferdinand Marian waren anwesend, um den Applaus des Publikums
entgegenzunehmen.
In Deutschland, wo während der Aufführungen häufig "Tod den Juden!"
gerufen wurde, überstiegen die Zuschauerzahlen in kurzer Zeit die
20-Millionen-Grenze.(4) Der Film wurde aber auch in allen besetzten
Ländern Europas gezeigt. Heinrich Himmler fand ihn so überzeugend, dass
er am 30. September 1940 die Anweisung erließ, ihn allen Mitgliedern der
SS und der Polizei "noch im Laufe des Winters" vorzuführen. Auch das
Wachpersonal in den Konzentrationslagern wurde zum Kinobesuch
verpflichtet.
Dieser Film ist eine Geschichtsfälschung: Er verschweigt den
konfessionell geprägten Konflikt zwischen Herzog Karl Alexander und dem
württembergischen Ständeparlament.(5) Und auch die Beziehungen, die Süß
mit Damen der Aristokratie unterhielt, werden beiseite gelassen. Auf
diese Weise lag aller Nachdruck auf dem "Beischlaf eines Juden mit einer
Christin" - ein deutlicher Hinweis auf die Nürnberger Rassengesetze. Süß
verkörpert in dem Film alle Stereotype des Antisemitismus: Er ist
geldgierig, intrigant, verschlagen, niederträchtig. Untereinander
verständigen sich die Juden im Film in einer Mischung aus
Gebärdensprache und ins Lächerliche verzerrtem Jiddisch.
Auch die Bildregie ist von symbolischer Eindeutigkeit - Juden haben
ihren Auftritt stets in der Nacht oder im Halbdunkel. Als Süß gehenkt
wird, kündigt sich hingegen das Happyend durch eine plötzliche
Aufhellung an: Es beginnt zu schneien, und aller Schmutz verschwindet
unter dem Weiß. Dem Volk von Württemberg wird "Sauberkeit" versprochen.
Und darum bleibt es im Film nicht bei der Verurteilung der Hauptfigur,
sondern alle Juden werden aus Württemberg verbannt - dazu erklingt eine
erlösende Musik von religiöser Feierlichkeit.
Nach dem Krieg versuchte sich Veit Harlan mit dem Argument zu
entlasten, die deutlich antisemitischen Züge des Films seien nur durch
entscheidende Eingriffe ins Drehbuch entstanden, die Goebbels
höchstpersönlich vorgenommen habe. Dafür gab es allerdings nicht den
geringsten Beweis. Der Propagandaminister, der alle seine Maßnahmen und
Entscheidungen sorgfältig notierte, erwähnt in seinen Tagebüchern nur
einige Gespräche mit Harlan.
Nachdem der Regisseur von "Jud Süß" 1948 von einer
Entnazifizierungskommission als "politisch unbelastet" eingestuft worden
war, fanden sich vier deutsche Juristen, die ihn 1949 dann doch noch
vors Gericht brachten: wegen Beihilfe zu "Verbrechen gegen die
Menschlichkeit". Am 15. Juli 1948 reichten sie beim Hamburger
Landgericht, in der damaligen britischen Zone, Klage ein. Der Prozess
dauerte bis zum 23. April 1949 und endete mit dem Freispruch Harlans.
Doch der Staatsanwalt Gerhard Kramer ging in Revision, und der Oberste
Gerichtshof für die britische Zone in Köln kam in seinem Urteil vom 12.
Dezember 1949 zu dem Schluss, der Film sei "verbrecherisch", und hob das
Urteil wieder auf.
ALSO kam es zur Neuverhandlung in Hamburg, und nach weiteren
sechs Wochen Prozessdauer fiel am 29. April 1950 das endgültige Urteil.
Zwar erfüllten nach Ansicht des Gerichts die Handlungen Harlans den
Tatbestand eines "Verbrechens gegen die Menschlichkeit", doch man
billigte ihm mildernde Umstände aufgrund der Zwangssituation zu, in der
er sich befunden habe. Er wurde freigesprochen. Die Einstufung des Films
als "verbrecherisch" dagegen wurde bestätigt. Harlan konnte damit seine
Arbeit als Regisseur fortsetzen und drehte bis zu seinem Tod noch zehn
Filme. Sein "Jud Süß" blieb allerdings anrüchig, auch wenn der Film ab
1955 in der Bundesrepublik wieder gezeigt werden durfte (mit Ausnahme
von Westberlin, wo das Besatzungsstatut galt). Auch wenn mit der
Wiedervereinigung die Aufführung allgemein erlaubt ist, wird der Film
lediglich im Rahmen von Veranstaltungen oder Seminaren zur Geschichte
des Nationalsozialismus gezeigt - und er ist dann häufig Anlass zu
heftigen Debatten.
So war es auch im Februar 2001 in Fürth. Dort beschloss die Leitung des
Jüdischen Museums, den Film im Rahmen einer Ausstellung über die
Geschichte von "Jud Süß" zu zeigen.(6) Ralph Giordano, ein Überlebender
der Verfolgung durch die Nazis, der 1949 den Prozess gegen Harlan in
Hamburg besucht und den Film dort gesehen hatte, erhob heftigen
Einspruch.(7 )Nach seiner Erinnerung handelte es sich um einen "Aufruf
zum Rassenhass gegen die Juden". Kunst sei das auf keinen Fall, erklärte
er, und es gebe nicht den geringsten Grund, diesen "schändlichen" Film
in Fürth zu zeigen. Schließlich wisse man aus Umfragen, dass 13 Prozent
der Deutschen die Weltsicht der extremen Rechten teilten und dass rund
30 Prozent antisemitische Neigungen besäßen.
In einer von Wissenschaftlern, Journalisten und Schriftstellern
unterzeichneten Petition wurde ein Verbot aller "öffentlichen
Aufführungen" des Films gefordert. Dagegen zeigte sich Haim Rubinzstein,
der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in der fränkischen Stadt,
letztlich konzilianter: "Mir ist es gleichgültig, ob dieser Film gezeigt
wird oder nicht. Dass man ihn allerdings in einer Einrichtung vorführen
will, die als ,jüdisch' gilt und in der auch Thorarollen aufbewahrt
werden, das halte ich für eine Schande." Die Aufführung wurde aufgrund
dieser Situation in die Räume der Volkshochschule von Fürth verlegt.
Zur Verschärfung des Tones dürfte die Harlan-Biografie des
Filmkritikers Frank Noack beigetragen haben. In "Des Teufels
Regisseur"(8) spielt Noack dessen Schuld herunter und hebt stattdessen
seine Qualitäten als Filmregisseur hervor. Er plädiert darin für eine
differenzierte Bewertung der Filme und dafür, Harlan nicht länger
"eindimensional" als Goebbels Komplizen darzustellen.
Nun ist für Ende September eine Fernsehdokumentation angekündigt, die
den Versuch unternehmen will, die Gerichtsverfahren gegen Harlan von
1949 und 1950 nachzuzeichnen, und in der auch Ausschnitte aus dem
berüchtigten "Jud Süß" gezeigt werden. Man kann sich fragen, welchen
Sinn eine solche Abwägung des Für und Wider haben kann, wenn nicht der
ganze Film gezeigt wird und es keine gründliche Analyse und
Hintergrundinformation gibt. Muss nicht - ein halbes Jahrhundert nach
den Ereignissen und in einem völlig anderen historischen Kontext - bei
vielen Zuschauern der Eindruck geweckt werden, der Regisseur sei
vielleicht gar nicht mitschuldig an den Verbrechen der
Nationalsozialisten?
Letztlich könnte hier die gleiche Masche versucht werden, die auch im
suggestiven Titel der Harlan-Biografie von Frank Noack zu erkennen ist:
"Des Teufels Regisseur". Natürlich ist immer der Teufel am Werk, wenn es
schlimm steht in der Welt. Und was könnte der armselige und
bedauernswerte Regisseur dann anderes sein als ein Werkzeug, das sich
benutzen lassen muss?
dt. Edgar Peinelt
Fußnoten: