Tatkräftige
Ignoranz
Die meisten "Aussteigerprojekte" verfehlen ihr Ziel. Weil sie
die Neonazis zu Opfern machen, ihnen ein Forum für ihre Hetze bieten
oder sie mit Geld ködern wollen
Von Jörg Fischer
Was soll man mit jugendlichen Neonazis und
rassistischen Gewalttätern machen? Über diese Fragen zerbrechen sich
viele tatsächliche und selbst ernannte Experten den Kopf - und dies
nicht erst seit einem Jahr, seitdem Neofaschismus und rechte Gewalt
urplötzlich in den Mittelpunkt der bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit rückten. Inzwischen sind diverse Projekte an den
Start gegangen; es ist Zeit für eine Bilanz.
Sie fällt eher negativ aus: Nicht wenige
"Projekte" diskreditieren die seriösen Angebote, die tatsächlich den
Absprung aus der neonazistischen Szene ermöglichen wollen.
Natürlich sind Aussteigerprojekte notwendig. Denn
ohne Hilfe kann der Absprung kaum gelingen aus einer Szene, die mit
ihren sektenartigen Strukturen, ihren sozialen Kontrollen sowie
psychischen und physischen Druck den Mythos einer angeblichen
"Kameradschaft" aufrechterhalten will. Diese Hilfe darf aber nicht
nur aktionistischer Selbstzweck sein, die eine verstörte
Öffentlichkeit beruhigen soll. Auch dürfen Aussteigerprojekte nicht
missbraucht werden, um aus rassistischen Tätern auf einmal Opfer zu
machen, denen man mit möglichst viel Verständnis, Nachsicht und
Toleranz begegnen muss.
Dazu neigt etwa die dubiose "Initiative Dialog",
die in besonders marktschreierischer Weise eigentlich nur virtuell
über ihr Internetangebot "nazis.de" existent ist. Dahinter verbirgt
sich Markus Rabanus von der Berliner "Rabanus
Grundstückverwaltungen". In ihrem im Internet veröffentlichten
Selbstverständnis heißt es unter anderem: "Die antifaschistische
Arbeit muss Anliegen der politischen Mitte unseres Landes sein.
Antifaschismus darf nicht den Linksextremisten überlassen werden,
deren Engagement sich bei vermeintlich gutem Willen oft als
kontraproduktiv darstellt, denn auch dort ist Hass ein vielfach
anzutreffendes Motiv und äußert sich in naiven, gleichwohl
kriminell-gefährlichen Versuchen, den Konflikt mit
linksextremistischer Gegengewalt anstatt mit bürgerlichem Gesetz und
Polizei zu lösen." Woanders findet sich dann: " ,Nazis raus!' Nein!
. . . Redet mit Nazis, wann immer ihr könnt! . . . Wir halten nichts
von Ausgrenzung!" Zu den Skurrilitäten dieser Homepage gehört auch
die Parole "ANTIFASCHISMUS ist auch der Kampf gegen die Droge
ALKOHOL". An anderer Stelle werden Neonazis gar als "verlorene
Seelen" bezeichnet.
Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass
hier das unselige Konzept der "Akzeptierenden Sozialarbeit" mit
rechtsextremistischen Jugendlichen seine virtuelle Fortsetzung
findet - mit offenbar den gleichen verheerenden Folgen. Führte das
Original der akzeptierenden Jugendarbeit dazu, dass sich die
Rechtsextremisten quasi belohnt fühlten, weil man ihnen faktisch
ganze Jugendzentren überließ, so tummeln sich im Live-Chat von
"nazis.de" nicht selten überzeugte Neonazis - die dies schon durch
ihre gewählten Pseudos wie "WESERMACHT", "GegenLinks" oder
"WeisseWut" zum Ausdruck bringen. Hier können sie dann fast
ungestört rechtsextreme Propaganda verkünden, Kontakte zu
offensichtlich Gleichgesinnten herstellen und ganz ungeniert hetzen
- gegen ihre Lieblingsfeinde wie Einwanderer, Andersdenkende,
Menschen jüdischen Glaubens oder Schwule. Was daran
"antifaschistisch" oder "Hilfe zum Ausstieg" sein soll, wird wohl
das ewige Geheimnis der Verantwortlichen bleiben.
Problematisch ist aber auch das Projekt der
Bundesregierung. Nach jahrzehntelanger Blindheit und Taubheit
gegenüber Neonazismus und rechter Gewalt wollte auch
Bundesinnenminister Schily auf den Zug aufspringen. Doch sein
medienwirksam präsentiertes "Aussteigerprogramm" hat in der braunen
Szene eher Häme und Gelächter als ernsthafte Verunsicherung
ausgelöst. Unabhängig davon, dass nicht nachvollziehbar ist, warum
Menschen belohnt werden sollen, wenn sie aufhören, andere Menschen
zu jagen - schon der Anspruch, mit dem das Programm vorgestellt
wurde, offenbarte eine erschreckende Unkenntnis der neonazistische
Szene. Mit Gesprächsangeboten und Hilfen bei einer eventuellen
Wohnungs- und Jobsuche sollten vornehmlich die Kader der Szene zum
Absprung bewegt werden. Eine sinnlose Offerte: Denn gerade die Kader
der rechtsextremen Szene sind in der Regel eben nicht die armen und
bemitleidenswerten Sozialfälle, für die manche sie gerne halten.
Zudem wurde dieser Ansatz von der Zielgruppe eher als Versuch
gewertet, "Gesinnung abzukaufen" - und das kann bei fanatisierten
Angehörigen einer Szene mit einem zwar abstrusen, aber durchaus
geschlossenen Weltbild kaum gelingen.
Entsprechend mager sieht dann auch die
Zwischenbilanz aus - ganze zweihundert Anrufe gingen bei der extra
geschalteten Hotline des Bundesamts für Verfassungsschutz ein. Doch
nur etwa siebzig Anrufer dürften der vermeintlichen Zielgruppe
tatsächlich angehören. Aber selbst unter diesen siebzig sind
natürlich eine ganze Reihe von Journalisten, Neonazis und auch
Antifaschisten, die sozusagen "aus erster Hand" erfahren wollten,
was es mit dieser "Hotline" und dem "Aussteigerprogramm" auf sich
hat.
Sinnvoll hingegen ist die Arbeit der
Privatinitiative "Exit", die sich an einem schwedischen Vorbild
orientiert. Sie setzt nicht auf soziale Belohnung, sondern auf Hilfe
zur Selbsthilfe. Sie verlangt eine tatsächliche inhaltliche
Auseinandersetzung des Betreffenden und seine Umorientierung hin zu
demokratischen Werten. Diese Arbeit wird aber durch die
problematischen Projekte nicht gerade einfacher.
Einfacher wird sie allerdings auch nicht, wenn
potenzielle Aussteiger durch die Legende abgeschreckt werden, man
würde nach einem Ausstieg aus der rechten Szene seines Lebens nicht
mehr froh. Das effekthaschende Gerede, man müsse sich anschließend
aus Angst vor Racheakten im Ausland aufhalten, ist maßlos
übertrieben. Zwar gibt es ein Gefährdungspotenzial durch die
ehemaligen "Kameraden", dieses jedoch stets zu überhöhen, gesteht
den Neonazis eine Macht zu, die zwar ihrem Ego entspricht und ihren
Lieblingsmythos bestätigt, aber mit der Wahrheit herzlich wenig zu
tun hat. Solches Gerede bestärkt die Neonazis nur in ihrer eigenen
Wichtigkeit und schreckt potenzielle "Abtrünnige" eher ab, als sie
zu ermuntern. Natürlich wurde die Gefahr des Neonazismus gerade von
amtlicher Seite viel zu lange verharmlost - aber dies jetzt mit
Gruselgeschichten zu kompensieren, schadet lediglich der eigenen
Glaubwürdigkeit und einer ernsthaften Arbeit gegen rechts.
Ein anderes beliebtes Vorurteil von Politik und
Öffentlichkeit ist, Aussteigen damit zu verwechseln, sich die Haare
wieder wachsen zu lassen oder die Bomberjacke auszuziehen.
Politische Gesinnung ist aber weder eine Frage der Frisur noch der
Marken von Jacken oder Schuhen. Wer heute immer noch pauschal
Skinheads mit Neonazis gleichsetzt, sollte am besten die Finger von
"Aussteigerprojekten" lassen.
taz vom 3.8.2001
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