"Wir haben einen Tanz vollzogen"
Mehr als Thorarollen und
Holocaust: Das Jüdische Museum in Berlin, das am 9. September eröffnet,
will jüdische Geschichte in Deutschland abbilden. Ein Gespräch mit
Thomas Friedrich, dem Leiter des Ausstellungsteams, über hohe Ansprüche,
fehlende Exponate und die Tücken der Museumsarchitektur
Interview PHILIPP
GESSLER
und ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz: Herr Friedrich, in gut
einer Woche eröffnet in Berlin das neue Jüdische Museum: Kann noch etwas
schief gehen?
Thomas Friedrich: Es kann
noch jede Menge schief gehen. Ein wichtiges Objekt kann beim Transport
beschädigt worden sein, etwas kann falsch eingepackt worden sein. Aber
die Ausstellung als Ganzes ist dadurch nicht gefährdet.
Haben Sie denn genug Objekte zur
Auswahl?
Wir können nicht auf üppige
Bestände zurückgreifen, haben aber die Vorteile einer kleinen, aber
guten Sammlung. Das macht uns in gewisser Weise frei.
Inwiefern?
Wir mussten praktisch bei Null
anfangen, denn es gibt in der deutschen Museumsgeschichte keine
Vorbilder. Das Jüdische Museum, das 1933 hier gegründet wurde, hatte
eine völlig andere Konzeption: Es war das Museum der jüdischen Gemeinde.
Es war viel kleiner und stellte vor allem Kunst und religiöse
Kultgegenstände aus.
Nach dem Krieg wurde für eine jüdische Abteilung des Berlin Museums
gesammelt, ehe sich Ende 1999 der Auftrag darauf ausweitete, die gesamte
jüdische Geschichte auf deutschem Boden abzubilden.
Wo werden die Unterschiede
liegen zwischen dem neuen Haus in Berlin und anderen jüdischen Museen,
etwa in Prag, Paris oder Frankfurt am Main?
Wir machen hier ein großes
Experiment. Das Jüdische Museum in Paris etwa basiert auf einer
unheimlich reichen Sammlung und ist eher ein Kunstgewerbemuseum. Unser
Ansatz ist anders: Wir machen ein historisches Museum, das einen
Ausschnitt aus der deutschen Geschichte darstellt. Wir sind also kein
jüdisches Museum traditioneller Art, das seinen Schwerpunkt in der
Darstellung jüdischer Religion und Kultur sieht, und wo man vor allem
Thorarollen oder Ähnliches ausstellt.
Worin zeigt sich der Bruch zu
den herkömmlichen Ansätzen?
Anders als etwa in Frankfurt am
Main oder in den jüdischen Museen mit lediglich regionalem Schwerpunkt
wählten wir eine narrative Darstellung, eine "Storyline". Wir sind aber
auch kein Holocaust-Museum: Wir stellen keine Vorgeschichte dar, die
lediglich auf den Holocaust zustrebt - nach dem Motto: "Das musste ja so
kommen." Wir werden auch kein religions- oder kulturgeschichtliches
Museum sein, sondern deutsche Geschichte darstellen.
Hat die lange Diskussion um das
Museum dem Konzept gut getan?
Aus museologischer Sicht hatten wir
zu wenig Zeit, erst Anfang 2000 konnten wir mit der Konzeption für die
Dauerausstellung beginnen. Eigentlich brauchte man fünf bis sieben
Jahre, um eine solche Ausstellung zu konzipieren.
Sie haben ein großes Programm,
ein relativ kleines Budget und vergleichsweise wenig Exponate. Haben Sie
nicht die Sorge, dass Ihr Museum ein "Leichtgewicht-Museum" werden
könnte, ohne rechte wissenschaftliche Tiefe?
Sie werden lachen: Das hängt nicht
von der Objekt-Situation ab, denn der Markt ist nicht so leer gefegt.
Vieles haben wir sogar bekommen, da das Museum in den vergangenen
Jahren, schon vor der Zeit Michael Blumenthals als Direktor, eine
Vertrauensposition hat aufbauen können. Es gibt etwa Kontakte zu
jüdischen Emigrantenkreisen in New York. Das alles ist darstellbar, da
gab es keine Schwierigkeit. Schwierigkeiten hatten wir eher, was weit
zurückliegende Epochen angeht. Diese Probleme haben wir versucht, über
neue Medien zu lösen. Wir werden beispielsweise das virtuelle Worms
zeigen. Es wird technisch überraschend sein, was man da machen kann:
ganz seriös und wissenschaftlich fundiert.
Trotzdem bleibt der im Vorfeld
der Eröffnung oft vorgebrachte Einwand, der Mangel an Objekten und die
fehlende Konzeption könnten nur zu einer überdimensionierten
Inszenierung führen?
Wir haben einen Tanz vollzogen.
Bestimmte Dinge können wir nicht darstellen, weil die Objekte einfach
nicht da sind. Aber wir haben auch keinen enzyklopädischen Anspruch: Wir
müssen nicht alles zeigen, deshalb bauen wir auch nichts nach. Insofern
ist auch der Disneyland-Vorwurf haltlos.
Ihr Ausstellungsmacher Ken
Gorbey hat einmal gesagt, man wolle auch das zeigen, was fehlt. Ist das
gelungen?
Ken Gorbey hat eine "gallery of the
missing", wie er das nannte, entwickelt, der Dresdner Künstler Via
Lewandowsky wird sie gestalten. Die Leerräume ("voids" i. O.) Libeskinds
werden dabei interpretiert. Töne werden das Verlorene beschreiben, es
wird dem inneren Auge des Betrachters vorgeführt.
Lassen Sie uns einen virtuellen
Rundgang durch die Ausstellung, die am 9. September eröffnet wird,
machen. Wo liegen die Schwerpunkte?
Der Historiker Dan Diner sagte uns:
Ihr solltet beachten, dass die deutsch-jüdische Geschichte im engeren
Sinne erst mit Moses Mendelssohn beginnt. Zwar gab es schon vorher Juden
in Deutschland, doch die waren nicht Teil der Umgebungskultur.
Erst nach Mendelssohn gab es eine
Akkulturation an diese Kultur. Wir haben drei Bruchpunkte: Zuerst
schildern wir, wie die Juden zunächst selbstständig und autonom vom
Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, also bis zur Epoche Moses
Mendelssohns, lebten. Dann folgt die eigentliche deutsch-jüdische
Geschichte bis 1933, bis zur Zerschlagung der Emanzipation, das ist der
zweite Einschnitt. Schließlich kommt die Vernichtung des deutschen
Judentums, der Holocaust. Dann eine Art Epilog ab 1945. Und wir hören
mit der Gegenwart auf.
Was sehen die Besucher zuerst?
Das erste Originalobjekt, das sie
sehen, kommt aus dem Vatikan. Es ist das Dekret von Kaiser Konstantin
aus dem Jahr 321 unserer Zeitrechnung an die Stadträte in Köln: Es
verpflichtet auch die Juden zur Gemeindearbeit, trotz ihrer religiösen
Pflichten.
Das Dokument zeigt, dass es eine
jüdische Gemeinde damals schon gab. Und die neuesten Exponate zeigen das
jüdische Leben in Deutschland in der Gegenwart. Das heißt, wir schlagen
tatsächlich diesen Bogen in der Ausstellung.
Wie großflächig und gewichtig
ist der Bereich für die Zeit zwischen 1933 und 1945?
Der Arbeitstitel für diesen
Abschnitt heißt bei uns: "Die Reaktion der deutschen Juden auf die
nationalsozialistische Verfolgung" und macht rund ein Zehntel der
Ausstellung aus. Der Architekt Daniel Libeskind hat uns vorgegeben, dass
die Besucher über das alte Kollegienhaus hineinkommen und sofort ins
Untergeschoss geführt werden, wo der Holocaust und die Emigration nach
den Vorgaben Libeskinds dargestellt werden. Die Dynamik der Architektur
von Libeskind ist so kräftig, dass die Leute da reingezogen werden.
Wie reagieren Architektur und
Ausstellung aufeinander? Und wo hat sich die Architektur als
widerständig erwiesen?
Kurz gesagt: Es gibt Teile der
Architektur Libeskinds, die uns als unantastbar gelten. Ken Gorbey hat
immer gesagt: "Das sind ,Libeskind-Moments', das bleiben
,Libeskind-Moments'. Die lassen wir unangetastet."
Wir werden in den Achsen das, was
Libeskind als Skulptur geschaffen hat, auch als Skulptur erhalten.
Andererseits hat er Vitrinen vorgegeben, die wir bespielen müssen. Aber
wir machen keinen Zauber, indem wir eine zweite künstlerische Lösung
über diese architektonische Skulptur decken. Das wäre eine Katastrophe
geworden.
Grundsätzlich aber hat sich der
Bau als bespielbar erwiesen - oder gab es Probleme? Konnten Sie Exponate
nicht wie geplant zeigen, da der Ort, an dem sie chronologisch hätten
stehen müssen, es nicht erlaubt hat?
Doch. Manche Objekte konnten wir
nicht an den vorgesehenen Stellen zeigen, da sie da nicht reinpassen.
Oder es gab Stellen, wo wir die an sich schon symbolträchtige
Architektur überladen hätten mit zusätzlicher Symbolik durch ein
Exponat. Das hätte sich gegenseitig totgeschlagen.
Einige prägende Personen des
Jüdischen Museums, wie Amnon Barzel und Tom Freudenheim, wurden durch
die Konflikte um das Museum verschlissen: Ist der Aufbau eines Jüdischen
Museums im Land der Täter nur im Konflikt möglich?
Im Anfangskonflikt zwischen
Direktor Barzel und dem Leiter des Stadtmuseums, Güntzer, ging es
weniger um Täter und Opfer als darum: Welche Perspektive soll in dem
Museum zum Ausdruck kommen? Die Forderung, das Jüdische Museum nur als
Teil des Stadtmuseums zu haben, folgte der ewigen Vereinnahmung der
Juden - Nobelpreisträger, Errungenschaften prominenter Juden-, "die wir
verloren haben". Die Alternative war: Zeigt man deutsch-jüdische
Geschichte als eine ständige Auseinandersetzung um Akzeptanz, um
Respektierung von Anderssein, als Geschichte der Ignoranz gegenüber
einer andersartigen Kultur - aber nicht beschränkt darauf? Daran liegt
uns nicht.
Unser Ansatz ist breiter: Wir zeigen etwa im 19. Jahrhundert, woran die
Emanzipation gescheitert ist. Eine Zeit voller Rückschläge. Deshalb
haben manche Juden ja auf Hitler 1933 so reagiert, dass sie ihn nur als
einen bitteren Rückschlag im Auf und Nieder ihrer Geschichte begriffen.
Darum sind wir nicht nur im Epilog aktuell. Denn die Zuspitzung lautet
ja: Wie funktioniert eine Gesellschaft mit diesen Bestandteilen in
Deutschland - und was funktionierte nicht.
Vor einem Jahr kündigte Ken
Gorbey an, es werde eine Kooperation mit anderen Museen der Stadt geben.
Hat das funktioniert?
In einem verblüffend hohen
Prozentsatz haben wir Zusagen bekommen: Von den kleinsten Institutionen
und Privatsammlern bis zu den Großen wie dem Deutschen Historischen
Museum. Im Ausland waren es unter anderem das Jüdische Museum New York
oder das Leo-Baeck-Institut, die uns mit zahlreichen Leihgaben
unterstützen. Die Zusagen kamen teilweise natürlich unter der Bedingung,
dass wir Dinge nur für einen begrenzten Zeitraum zeigen. Welches Museum
trennt sich schon von wichtigen Objekten für fünf Jahre oder vergibt sie
als Dauerleihgabe?
Mit seinem Satz "Auf uns schaut
die Welt" hat Blumenthal hohe Erwartungen geweckt. Besteht nicht die
Gefahr, dass man nach solchen vollmundigen Ankündigungen nur scheitern
kann?
Wenn in der Hauptstadt des
wiedervereinigten Deutschlands ein jüdisches Museum in dieser
Größenordnung eröffnet wird, mit einer Ausstellung zu diesem Thema und
im Bau eines international renommierten Architekten, dann kann man gar
nicht anders, als hohe Erwartungen wecken. Die Latte liegt so hoch, da
müssen wir rüberspringen.
Das Jüdische Museum ist -
zusammen mit dem geplanten Holocaust-Mahnmal und der Dauerausstellung
"Topographie des Terrors" - immer als Teil einer Erinnerungstrias
gesehen worden. Sind Sie glücklich mit der Zuordnung zu diesen beiden
anderen Gedenkstätten? Und wird es am Ende auch so funktionieren?
Ich kann mir die Korrespondenz zur
"Topographie" gut vorstellen. Das ist die umgekehrte Perspektive: Der
Blick auf die Täter.
Und wie ist das beim
Holocaust-Mahnmal?
Ersparen Sie mir einen Kommentar.
Warum ist das so problematisch?
Ich weiß noch nicht, wie die
Skulptur, die da hingestellt wird, im Zusammenspiel mit der
Dokumentation der "Topographie" und dem Museum eine Korrespondenz
ergeben soll.
Inwiefern müsste es denn da eine
Absprache geben, was die Zeit zwischen 1933 und 1945 angeht?
Da gibt es erste Überlegungen. Aber
durch die Dissonanz in der zeitlichen Entwicklung ist es ja nicht
möglich gewesen, das von vornherein aufeinander abzustimmen.
Eigentlich hätte die Arbeit zum Mahnmal und dem dortigen Ort der
Information parallel stattfinden müssen. Der Stellenwert des Ortes der
Information in diesem Dreiklang ist noch gar nicht richtig klar, weil
mit der konzeptionellen Arbeit dort erst begonnen wird. Da stochern wir
im Nebel.
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30-08-2001 |