Zum
Deutschlandbild in Israel:
Studien und
Erfahrungen
Sehr gut
erinnern kann ich mich noch an meinen allerersten Tag in Israel. Ben
Gurion Flughafen, Bushaltestelle nach Tel Aviv, auf den Bus wartend,
wurde ich von einem älteren Herren sehr höflich auf Deutsch
angesprochen: "Kommen Sie aus Deutschland?" "Ja!" "Ja, da war ich auch
einmal!“ Und er begann, verschiedene KZ–Namen aufzuzählen und endete
dann: "Ach ja, und dann vermittelten die Nazis mir noch eine
Sightseeing–Tour nach Polen.“ Kurzes Schweigen. "Auschwitz!“
Das
Studentenwohnheim der Tel Aviver Universität liegt genau neben einem
Altersheim, in dem sehr viele Überlebende ihren Lebensabend verbringen.
Somit trafen wir Studierenden häufig Überlebende. Einige von ihnen
suchten den Kontakt zu uns, den aus Europa stammenden Studierenden, um
sich mit uns zu unterhalten, sehr wenige wünschten keinerlei Kontakt zu
mir persönlich, dem Nachfahren der Mörder, unbeteiligten Zuschauer...
Die Frage
nach der Vermittlung ihrer Lebenserfahrungen war für
Auschwitz–Überlebende insbesondere während der letzten beiden Jahre
immer wieder im Zentrum der Gespräche. Einige Überlebende erzählten mir
dabei von ihren Erfahrungen, die sie infolge der Teilnahme an dem
Spielbergschen Interviewprojekt gesammelt haben. Schiere Wut und
Entsetzen! Die Interviews wurden von psychologisch nicht ausgebildeten
Volontären strikt nach einem Zeitplan geführt: ein paar Minuten über das
Leben vor dem Nationalsozialismus, dann ein paar Minuten zum Leben
während des Nationalsozialismus, dann ein paar Minuten über das Leben im
Ghetto, Konzentrationslager, Vernichtungslager. Hier bitte THE VERY
BEST, denn hierüber gilt es ja Zeugnis abzulegen, und dann das Leben
nach der Shoah, alles in einem strikten Minutentakt festgelegt.
Die Frage der Re–Traumatisierung der Überlebenden infolge des Erzählens
des Erlebten hatte bei diesen Interviews überhaupt gar keine Relevanz.
Dafür hatte man keine Zeit. Den Überlebenden war somit klar, dass ihr
eigene Lebenserfahrung unwichtig für dieses Projekt war, relevant war
ausschließlich die Anzahl der gesammelten Interviews: NUMBERS TALK. Ein
Teilnehmende bei einem in Deutschland stattfinden Einführungswochenende
des besagten Spielberg–Interviewprojekts erzählte mir, dass man ihr auf
die von ihr gestellte Frage bezüglich der Re–Traumatisierung infolge des
Interviews folgende Antwort gab: "Die Überlebenden haben Auschwitz
überlebt, somit werden sie auch dieses Interview überleben."
Im Rahmen einer Meinungsumfrage des Minerva Zentrums der Universität
Haifa aus dem Jahre 1997 äußerten 80 % der jüdischen Jugendlichen im
Alter von 15 bis 18 Jahren in Israel sehr große Sympathie gegenüber den
USA und 53 % gegenüber Großbritannien. Nur 10% der jüdischen
Jugendlichen bekundeten Sympathien gegenüber Deutschland.
Anläßlich des 50jährigen Bestehens des Staates Israel erstellte das
Israelische Institut für Ökonomie und Sozialwissenschaften mit
Unterstützung der Friedrich Ebert Stiftung im Frühjahr 1998 die
Untersuchung 'The Jubilee Year: Israeli Youth's Attitude Toward
Personal, Social and National Issue'. Beteiligt an dieser Umfrage waren
jüdische und arabische Jugendliche, denen unter anderem auch Fragen zur
Bundesrepublik Deutschland gestellt worden sind. Die Frage, ob das
heutige Deutschland zu den Staaten gehört, die eine freundschaftliche
Beziehung zu Israel haben, wurde von 52,5 % der jüdischen Jugendlichen
im Alter von 15 bis 24 Jahren kategorisch verneint. 49,8 % der jüdischen
Jugendlichen bewerteten das in Deutschland vorhandene Phänomen der
Xenophobie wegen seiner Intensität und Ausprägung als nicht vergleichbar
mit den xenophobischen Phänomenen in anderen Ländern.
Daß im heutigen Deutschland jederzeit wieder ein nationalsozialistisches
Regime an die Macht kommen kann, glauben 40,5 % der jüdischen
Jugendlichen, wobei 16,1 % dieser Jugendlichen von der nochmaligen
Machtergreifung eines nationalsozialistischen Regimes in Deutschland
überzeugt sind. Im Jahre 2000 wurde wiederum von dem in Herzlyia
ansässigen Büro der FES eine Studie zum Deutschlandbild in Israel,
Israelis und Deutsche. Die Ambivalenz der Normalität, herausgegeben.
AMBIVALENZ – ist fürwahr das Schlüsselwort dieser lesenswerten Studie.
In einem so heterogenen Staat wie Israel gibt es nicht die eine Reaktion
auf den oder die Deutschen. Es gibt weder den Deutschen noch den
Israeli. Deshalb machen pauschalisierende Aussagen keinen Sinn. Ich habe
an der Tel Aviv Universität studiert und war danach noch einmal für zwei
Jahre an der Uni tätig.
olav schröer /
Forum
haGalil onLine 22-08-2001 |