P R E S S E I N F O R
M A T I O N:
Jüdische Identität im 21.
Jahrhundert
Internationale Wissenschafter
trugen bei der 11. Internationalen Sommerakademie des Instituts für
Geschichte der Juden in Österreich ein vielschichtiges Bild der Zukunft
des Judentums zusammen: Sterbende Gemeinden stehen einem steigenden
Bevölkerungswachstum gegenüber. Immigration als Rettung für zu kleine
Kultusgemeinden wurde hinterfragt und die Probleme veränderter oder
fehlender Identität durch Auswanderung beleuchtet.
Wien, 6. Juli 2001. Der Wunsch des
IKG-Präsidenten Dr. Ariel Muzicant, Juden aus Osteuropa zu holen, um die
österreichischen Judengemeinden zu neuem Leben zu erwecken, stieß auf
breite Zustimmung bei den Historikern und Publikum. Sergio DellaPergola,
Professor an der Hebrew University of Jerusalem und Demograph bekämpft
mit Zahlen und Fakten die Ängste vor gewaltigen Ost-West-Wanderungen
osteuropäischer bzw. russischer Juden: "Die Ost-West-Migration, die
schon immer in der Geschichte vorhanden war, ist beinahe erschöpft."
Wanderungen gehören nicht erst seit
dem 19. Jahrhundert zu den wichtigsten kultur- und
gesellschaftsverändernden Faktoren. Die Migration von Juden wurde
meistens von äußeren Umständen, wie wirtschaftlichen Krisen, Progromen
und gesellschaftlichen Umbrüchen ausgelöst. Der Wechsel von
Kulturkreisen oder der Wandel von Staatssystemen verändert immer die
eigene Identität, da diese stets stark von der jeweiligen Lebenswelt
geprägt ist. So fühlten sich die Juden im Wien der Habsburgermonarchie
als Österreicher, waren kaisertreu und sprachen deutsch. Mit einem
Deutsch-Österreich konnten sie sich jedoch nicht identifizieren.
Überhaupt ängstigte der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen
Monarchie die dort ansässigen Juden. Die Sicherheit des multikulturellen
Vielvölkerstaates wich einem verstärkten Antisemitismus der sich daraus
entwickelnden Nationalstaaten.
Der Mythos des habsburgischen Wiens
lebte in Czernowitz, in der heutigen Ukraine noch lange fort. Die
österreichische Identität, die sich z.B. in der Literatur
wiederspiegelte, bestand bis zur Zwischenkriegszeit. Erst die Nazi-Ära
und der Kommunismus konnte sie auslöschen. Heute sorgen Abwanderung und
das Fehlen jüdischer Identität für sterbende Gemeinden. "Vielleicht gibt
es in zehn Jahren keine Juden mehr in der Bukowina," befürchtet der
Czernowitzer Gastdozent Mykola Kuschnir.
Die Demographie der jüdischen Welt
veranschaulichte DellaPergola. Er widerlegt mit seinen Graphiken die
Befürchtung, dass durch Assimilation und Säkularisierung die Anzahl der
Juden allgemein rückläufig ist, räumt allerdings ein, dass Hochzeiten
und Geburten bei den Juden Westeuropas selten werden.
Seine Studien haben erwiesen, dass die
Schoah nicht nur Sozialverhalten und Identität der heutigen Juden
beeinflusst, sondern massive Auswirkungen auf das jüdische
Bevölkerungswachstum haben wird, die über den Verlust der 6 Millionen
getöteten Juden hinausgehen. Das Fehlen von 1,5 Millionen Kindern
bedeutet langfristig einen drastischen Einbruch in der
Bevölkerungsentwicklung.
"Wachstum ist allerdings nicht nur
abhängig von der Geburtenrate, sondern auch vom jüdischen Bekenntnis",
erklärte DellaPergola die Zusammenhänge zwischen Identität und
Demographie. Als Juden bezeichnet der Wissenschafter alle, die sich
selbst als solche definieren, ungeachtet der Religiosität und
Abstammung.
Den Juden aus Jemen, die nach dem
Holocaust nach Israel gebracht wurden, ist es trotz des Bemühens
Israels, die einwandernden Juden rasch zu assimilieren, gelungen, ihre
Kultur teilweise zu erhalten. "Eine israelische Identität muss sich erst
aus der Verschmelzung der jüdischen Traditionen aus aller Welt
entwickeln", zeigt Dr. Renate Meissner, Ethnologin und Judaistin sowie
stellvertretende Generalsekretärin im Nationalfonds der Republik
Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, am Beispiel der
jemenitischen Juden, dass der Verlust alter Traditionen und versuchte
Kontinuität in den neuen Heimatländern Bestandteil des heutigen
jüdischen Lebens auch in Israel ist.
Rückfragen: Institut für die
Geschichte der Juden in Österreich
Daniela Martos, Mobil: 0676/6346220,
e-mail:
presse_injoest@hotmail.com
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