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Heimat ohne Juden

Es gibt keine Normalität:
Der Holocaust gehört zur deutschen Geschichte

GertHeidenreich
SZ / Samstag, 16. Juni 2001

Im bewußten Gegensatz zu antisemitischen Pamphleten führen drei Bücher die Wörter „ohne Juden“ im Titel: Bernt Engelmanns verdienstvoller Überblick über die jüdischen Pfeiler deutscher Kultur, „Deutschland ohne Juden“ (1970), Hugo Bettauers fünfzig Jahre zuvor publizierter Roman „Stadt ohne Juden“ (1922) und, als dessen Antwort und Weiterführung, der Roman „Berlin ohne Juden“ des seinerzeit auflagenstarken, inzwischen vergessenen Erzählers Artur Landsberger. Seine politische Satire auf Nazis und Völkische erschien 1925 und wurde 1998 im Weidle Verlag, dankenswert und editorisch mustergültig, von Werner Fuld neu herausgegeben.

Im selben Jahr wie Hitlers Mundschaum „Mein Kampf“ hatte Landsberger seine zugleich weitsichtige und verheerend euphemistische Vorausschau auf die Ausweisung aller Juden aus Deutschland verfasst und sie in deren glorreicher Rückkehr enden lassen, die vom Ausland mit wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen erzwungen wird. Werner Fuld nennt ihn darum zutreffend einen „blinden Propheten“. Deutschland, so Landsbergers politische These, kann ohne die deutschen Juden nicht existieren, nicht ökonomisch und schon gar nicht kulturell.

Er dachte, als Doktor der Jurisprudenz, noch in Kategorien der Kultur – nicht in den Wahngebilden der Barbarei. Für ihn war bei aller klugen Extrapolation der Zeitläufte noch unvorstellbar, dass Barbarei nicht die Abwesenheit von Kultur, sondern die Abwesenheit von Zivilisation ist und dass Deutschland sich bald nach Erscheinen seines negativ-utopisch entworfenen Romans aus der menschlichen Zivilgemeinschaft ausstreichen würde. Das Berlin seines Romans stirbt 1925 an der Vertreibung der Juden – doch Deutschland wird ein Jahrzehnt später durch ihre Ermordung zum welthistorischen Kain werden und 1945 ein Land ohne Juden sein.

Langsam kam das Entsetzen

Ich gehöre zu jener Generation, die nach ’45 ohne Juden aufgewachsen ist. Selbst das Wort Jude war in meiner Kindheit kaum zu vernehmen. Die Synagogen waren zerstört. Wenn Juden unter den Freunden waren, gaben sie sich als solche nicht zu erkennen. Falls ich jüdische Lehrer hatte, verschwiegen sie ihr Jüdischsein. Es gab erkennbar alte Nazis im Lehrerkollegium, es gab Bußwütige, Kriegsversehrte, es gab von der Gestapo Gefolterte. Aber Juden?

Langsam wuchsen wir in die jüngste deutsche Geschichte. Langsam kam mit den Bildern das Entsetzen. Filme wandelten sich in Albträume. Mit dem Wissen wuchs die Unbegreifbarkeit, mit ihr entstand der misstrauische Blick auf die Väter. Kinder versuchen ja, was ihnen verschwiegen wird, sich zurecht zu fantasieren. Sehr bald gehörte mein Land dem Erlkönig.

Erst auf der Universität lernte ich jüdische Gleichaltrige kennen. Uns verbanden Kibbuz-Romantik und jiddische Lieder – und der überhebliche Humanismus der Nachgeborenen: Geschichte ficht uns nicht an. Selbstzweifel dann und die Angst vor der Furcht jüdischer Freunde, die zu besänftigen nicht in meiner Macht lag. Erkundungsversuche auf Reisen durch Polen, durch Israel. Bald darauf Nachrichten vom erneuten Antisemitismus im Lande, von Anschlägen auf Synagogen. Die Verwüstungen jüdischer Friedhöfe sind üblich seither, oft nicht einmal mehr eine Zeitungsmeldung wert. Endlich Willy Brandts Kniefall in Warschau wie eine Erlösung – aber wie viele nahmen übel, wie viele starrten voller Hass auf das Bild, wie viele stimmten zu? Durch jenen Kniefall war mir mein Land weniger unheimlich geworden, weil mit der Geste ein Stück Heimat für Juden in Deutschland gewonnen wurde. Eine Illusion?

Deutsche Gegenwart: die jahrzehntelange Verharmlosung, teils heimliche Akzeptanz des rechten Terrors, die Einzeltäter-Propaganda wider besseres Wissen rächt sich – neuerdings verkündet die Politik starke Entschlüsse, schwierig von Pflichtübung zu unterscheiden und im Vergleich zum Aufschrei der Deutschen angesichts des geringeren Terrors der Rote Armee Fraktion in den Siebzigern von geradezu unheimlicher Geduld. Liegt es an den Opfern? In jüngster Zeit erfuhr ich von zwei Fällen gewalttätigen Mobbings gegen jüdische Schüler an Gymnasien in München – nicht öffentlich gemacht, weil die Eltern vorsichtig schweigen: Der geübte Angstreflex müsste das Land beschämen. Gewiss, Jugend hat immer gegen die Neuen, die Anderen gepöbelt. Aber warum sind Juden die Anderen? Noch? Wieder?

Gleichzeitig, gebetsmühlenhaft, die Einforderung von Normalität – und wieder sind es die Juden, die in die Pflicht genommen werden, wenn Normalität sich nicht einstellt. Als hätten sie nicht, zumal als deutsche Patrioten, bis zur Selbstverleugnung, bis in den Tod an Normalität geglaubt.

In jüngster Zeit nun, wie ein Hohn, die dreiste Parole von „deutscher Leitkultur“, die nicht einmal einen Nebensatz ihrer hilflosen Auffüllungen auf die jüdische Priorität in der deutschen Kultur verwandte. Wer so leiten will, lässt hinter dem Wort Heimat wie eine Tätowierung das Wort Auschwitz aufscheinen und darf sich nicht wundern, wenn deutsche Polizisten Juden, die von rechten Schlägern bedroht werden, „Schutzhaft“ anbieten – so zu Cottbus am 1. Januar 2001.

Wie oft habe ich gehört, 50 Jahre seien genug. Genug für die Lebensgewissheit von Juden in Deutschland? Der Judenhass Luthers war 400 Jahre alt, als die Nazis ihn zur Mordrechtfertigung zitierten, zusammen mit seinem katholischen Pendant „Der Talmudjude“ von 1871. Ein halbes Jahrhundert ist für das Trauma der Shoa keine erlösende Spanne.

Die Kernfrage lautet nicht, wann Juden sich hier heimisch fühlen können, sondern wann alle nichtjüdischen Deutschen endlich zweifellos wissen, dass jüdisches Leben in Deutschland ein integraler Bestandteil und eine Voraussetzung jenes Summenklangs aus Erinnerungen ist, den wir alle Heimat nennen. Solange nicht allgemein empfunden wird, dass der Holocaust zugleich ein wütender Suizid der deutschen Zivilisation war, werden wir uns falsch an ihn erinnern.

Die Toten sind keine Fremden

So lange wir um die Ermordeten wie um Fremde trauern, wird niemand den Überlebenden und ihren Kindern und Kindeskindern heimatlich begegnen. Ich zweifle, ob meiner Generation dies noch gelingt. Wir haben uns gründlich mit der Frage von Schuld, von Gnade oder Ungnade der späten Geburt beschäftigt, und dennoch sind nicht wenige 68er in die ideologisch camouflierte, an der Politik der Israelis und Palästinenser rationalisierte, gleichwohl uralte Falle des Antisemitismus gelaufen.

Doch es geht nicht allein um das Leben in Palästina, um Recht oder Unrecht dort; es geht überall darum, ob die junge Generation fähig wird, ihre jüdischen Zeitgenossen als einheimisch zu empfinden; nicht als „jüdische Mitbürger“ – eine Formel, die den wohlmeinend-abweisenden Klang bemühter Ausländerpolitik trägt. Es geht darum, ob die Jungen, die nun in die Ämter wachsen, sich unbezweifelbar sicher sind, dass es ohne Juden keine deutsche, keine europäische Heimat gibt.

Heimat ohne Juden? Der Verfasser des Romans „Die Stadt ohne Juden“ (1922), Hugo Bettauer, wurde im März 1925 von einem Rechtsradikalen erschossen. Artur Landsberger, dessen Roman „Berlin ohne Juden“ im selben Jahr erschien, nahm sich 1933 das Leben.

Fast siebzig Jahre später hatte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, entsetzlich gute Gründe, öffentlich zu fragen, ob es richtig war, in Deutschland wieder jüdische Gemeinden aufzubauen. Er erntete mit diesem linden Zweifel Empörung und politische Pöbelei, so als habe er die Republik ungerecht behandelt: Die übliche Geste derer, die dabei erwischt werden, einer gründlichen Selbstbefragung ausgewichen zu sein.

Ein Kniefall reicht nicht

Wenn – nicht die Regierung, sondern das ganze Land – auf Spiegels Frage nicht mit einem Alltag antwortet, der durch Realität beweist: Ja, es war richtig und es wird richtig bleiben; wenn es nicht zum deutschen Selbstverständnis gehört, dass Heimat ohne Juden gleichbedeutend ist mit Fremde; wenn Gutwilligkeit und Bußfertigkeit nicht endlich in Bejahung und fraglose Gemeinschaft mit Juden münden – dann wird sich das Projekt der Selbsterneuerung Deutschlands nach 1945, zumindest seit 1968, als gescheitert erweisen.

Dann werden wir den Antisemiten im Land gestatten, den Fluch der Barbarei über die Mühen der Zivilisation triumphieren zu lassen. Dann wird die Scham vor der begründeten Furcht der Juden hierzulande wieder in Ängstlichkeit und Überheblichkeit münden: in jene Mischung, aus der – mit der stets übermäßig vorhandenen Dummheit und Bildungsarmut als Katalysator– der Antisemitismus sich nährt. Er nimmt mit dem wachsenden Europa auch europäische Dimension an.

Dies heißt für Deutschland, das offenbar eine gewichtige Stimme in Europa behält, dass es unserem Land obliegt, entschieden gegenzuhalten. Nicht allein aus Gründen der Geschichte. Aus Gründen der Gegenwart vor allem. Der Kniefall in Warschau war dafür nicht genug.

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