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Deutsche Schulbücher verbreiten noch immer antisemitische Klischees. Die politisch Verantwortlichen kümmert das wenig.

"Ich bin dankbar für das Privileg, Politik machen zu dürfen."
Ute Pape, Schulsenatorin in Hamburg*

" ~bazillus 116 > Juden"

VON BRIGITTA HUHNKE

Lehrer sollten im Unterricht stärker Antisemitismus und "Fremdenfeindlichkeit" thematisieren, so oder ähnlich lautet seit Sommer 2000 ein Rezept gegen Rassismus, vorzugsweise empfohlen von der Springer-Presse, die in den neunziger Jahren mit rassistischen Schlagzeilen kräftig Auflage gemacht hat. Lehrer sind mal wieder schuld. Doch manche, auch Lehrerinnen, sind es wirklich. Je höher sie in politischer Verantwortung stehen, um so unbekümmerter verhalten sich einige. Jedenfalls scheint das in Hamburg der Fall zu sein.

"Wer war schuld am Tod von Jesus?" hatte im letzten Schuljahr eine Lehrerin im Geschichtsunterricht eines Hamburger Gymnasiums gefragt und ein Mädchen für die Antwort "die Juden" gelobt. Der Sohn von Liane und Jan Hansen** kam wenig später aufgeregt nach Hause. Er hatte sich in der Klasse tüchtig ins Zeug gelegt, um der Lehrerin den Unterschied zwischen religiösen Auffassungen und historischen Fakten zu erklären. Die gab zwar am nächsten Tag vor der Klasse zu, einen Fehler gemacht zu haben. Aber es war bereits geschehen: "Ihr habt Christus umgebracht", hänselte ihn ein Mädchen, und "Judensau" rief ein Junge ihm noch Wochen später hinterher.

"Es war wie eine kalte Dusche. Ich hatte immer Angst davor gehabt, daß meine Kinder eines Tages damit konfrontiert werden", erinnert sich Liane Hansen. Über Monate hinweg führten die Eltern in der Schule Gespräche. Verständnis war zwar vorhanden, aber auch Sätze wie "Vielleicht ist dies das Schicksal der Juden" mußten sie sich anhören. Sie nahmen sich das Schulbuch ihres Sohnes vor, die Geschichtliche Weltkunde, Band 1 (Diesterweg Verlag). Dieser alte Schinken, seit 1975 nicht nur an Hamburger Schulen für die Klassen 5 und 6 im Umlauf, enthält alle Abstufungen: offenen Antisemitismus, subtile Stereotype, im günstigsten Fall das Verschweigen jüdischer Existenz. "Es besteht massiver Handlungs- und Aufklärungsbedarf", befand Jan Hansen, machte sich an die schriftliche Analyse und bat Ende Mai letzten Jahres den Hamburger Bürgermeister Ortwin Runde, die Schulsenatorin Ute Pape, den Bundespräsidenten Johannes Rau und den Zentralrat der Juden in Deutschland in einem offenen Brief um Stellungnahme.

Über Juden im Mittelalter erfahren Kinder in der Weltkunde folgendes: "Die Juden in den Städten führten ein Eigenleben, ihr Glaube trennte sie von den Christen. Andererseits standen sie seit den Karolingern unter dem besonderen Schutz der deutschen Könige. Da sie im Gegensatz zu den Christen für ausgeliehenes Geld Zins nehmen durften (nicht selten bis zu 50 Prozent), wurden viele reich, und das steigerte die Abneigung der Christen, manchmal den Haß, während die Könige, auf Geldanleihen bedacht, den Juden Zugeständnisse machten. Die ›kaiserlichen Kammerknechte‹, wie sie auch hießen, erhielten z.B. Zoll- und Handelsfreiheiten, in Speyer sogar das Recht der eigenen Gerichtsbarkeit. Die Juden blieben ungeachtet ihres Reichtums gewöhnlich aus der städtischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie durften keine Christen heiraten und keine städtischen Grundstücke kaufen und mußten in eigenen Stadtvierteln, in Ghettos, wohnen. Hier stand ihre Kirche, die Synagoge, hier predigte der Rabbiner seinen Glaubensgenossen, hier lag auch der Judenfriedhof. Der spitze Judenhut und gelbe Kleidung sonderten die Juden auch äußerlich vom christlichen Bürgertum ab. In zahlreichen deutschen Ländern vertrieben die Landesherren im Spätmittelalter die Juden, die größtenteils nach Polen auswanderten."

Ludwig Rademacher, Leiter der Staatlichen Pressestelle in Hamburg, dachte nicht einmal daran, das Thema überhaupt ernst zu nehmen. Der Elternbrief hat den Bürgermeister nie erreicht. Auf Nachfrage im Januar 2001 ließ er wissen, er habe 50 andere wichtige Themen auf dem Tisch, den Brief von Jan Hansen konnte er nicht mehr finden. Von den Angeschriebenen hat den Eltern in den letzten elf Monaten nur der Zentralrat der Juden in Deutschland geantwortet und eine Beschwerde an die Kultusministerkonferenz gerichtet.

Für Nathan Kalmanowicz, Kultusdezernent im Präsidium des Zentralrats, haben solche Passagen wenig mit historischen Erkenntnissen zu tun. "Juden sind reich, und sie sind Sonderlinge, das sind die alten antisemitischen Stereotype." Erklärt wird eben nicht, was der "spitze Judenhut und die gelbe Kleidung" damals bedeutet haben. Sie waren der historische Vorläufer für Hitlers "gelben Davidstern". Im 11. und 12. Jahrhundert haben klerikale Führer den Juden diese Verkleidung aufoktroyiert, "einzig zu dem Zweck, sie zu demütigen, damit man sie schon von Ferne erkennt und sie belächelt", erklärt Kalmanowicz. Die Behauptung, die Juden seien vertrieben worden und hätten daher auswandern müssen, nennt Kalmanowicz "schlicht eine Frechheit, weil die vielen Morde verschwiegen werden". Statt dessen stehen im Buch die folgenden Lernfragen: "Kennst du jüdische Mitbürger. Welche Berufe haben sie?" Befremdlich auch: "Warum durften Christen keinen Zins nehmen? Denk an das Gebot der Barmherzigkeit!" Vater Jan Hansen fragt: "Muß ich das noch kommentieren?"

Hamburgs oberste Lehrerin, die Schulsenatorin Ute Pape, weigert sich bis heute, sowohl den Eltern zu antworten als auch im Interview Stellung zu nehmen. Bleiben nur andere schriftliche Quellen, in denen sie Leitlinien ihres politischen Handelns erklärt: "Je ferner mir ein Thema ist, desto mehr Zuarbeit brauche ich", könnte sie auch gedacht haben, als sie den Elternbrief dem Schulrat Peter Daschner in die Behördenmappe stecken ließ. "Ich begrüße es, daß Sie das Buch einer kritischen Würdigung unterzogen haben", lobt der den Vater herablassend, gefolgt von der Nullaussage "Für das Amt für Schule hat die Aufklärung über Ursachen und Auswirkungen des Antisemitismus einen hohen Stellenwert". Daschner geht dann nicht etwa auf die antisemitischen Textstellen im Geschichtsbuch zum Mittelalter für die Klassenstufen 5 und 6 ein, sondern gibt Einblick in seine vom kulturellen Unbewußten geprägten Assoziationsketten: Er landet direkt bei Auschwitz und empfiehlt den Dokumentenband Aus Kindern werden Briefe. Außerdem läßt er den Vater wissen, in den Klassen 9 und 10 werde kostenlos das Buch Erzählt es Euren Kindern. Der Holocaust in Europa verteilt.

Dieses unter anderem mit Glücksspielmitteln gesponserte Buch ist ursprünglich im schwedischen Kontext entstanden. Schlampig ediert, ohne Inhaltsverzeichnis, bedient es gängige Klischees vom jüdischen Opfergang. Die Bilder stammen fast ausschließlich aus der entwürdigenden Täterperspektive, wie antisemitische Plakate, Erschießungen, anonyme Elendsgestalten, was bei vielen Beispielen geradezu obszön wirkt. Die Täter bleiben weitgehend unsichtbar.

Die Behörde empfiehlt seit neuestem andere Schulbücher. Dazu gehören Unsere Geschichte und Anno. Die dreibändige Ausgabe von Unsere Geschichte, die 1985 ebenfalls im Diesterweg Verlag erschien, herausgegeben von Wolfgang Hug, der auch für die Weltkunde verantwortlich ist, enthält das alte didaktische Konzept. Über wirtschaftliche und politische Hintergründe sogenannter Religionskriege wird ebensowenig aufgeklärt wie über den Alltag der Menschen. Nur selten beziehen sich besonders die Schilderungen über das Mittelalter auch auf konkrete Orte und Jahreszahlen. Gute Voraussetzungen für Stereotype. Die über Juden sind zum Teil aus dem Vorgängerbuch übernommen worden, zum Teil tauchen neue auf. In einem Zitat, das aus einem anderen verlagseigenen Werk, Weltreligionen, Judentum, stammt, erfahren wir auf die Frage "Was bedeutet den Juden die Synagoge"?, es solle dort, irgendwann zwischen 1250 und 430 v. Chr. und irgendwo, so ausgesehen haben: "Beim Eintritt in die Synagoge empfängt einen der Lärm von Gebet und Geschwätz. Eine Unterhaltung zwischen Nachbarn mischt sich mit dem Gemurmel eines sich wiegenden Beters ... Dort hört man unterdrücktes Gelächter über einen jüdischen Witz." Kurzum, die Synagoge "scheint überhaupt kein sehr heiliger Ort zu sein".

Und wie sieht es bei Anno vom Westermann Verlag aus? Die dreibändige Ausgabe von Anno erschien 1995 und 1997, ist also brandneu. Auch hier wird ohne Aufklärung über Ursachen und Zusammenhänge einfach behauptet: "Eine Sonderrolle spielten die Juden in den mittelalterlichen Städten", weil sie "hohe Zinsen" nahmen: "Für viele Christen waren ihre Schulden bei den Juden erdrückend. Der Reichtum weckte Neid und Haß."

Antisemitische Klischees durchziehen auch Schilderungen über die "Kreuzzüge". In der Weltkunde ist vom heldenhaften "Kreuzzug der armen Leute" unter Führung von Graf Emich von Leiningen die Rede, die sich gegen Juden gewehrt hätten. Warum? "Die Juden waren weder in Worms selbst noch in der Umgebung beliebt; das Gerücht bewog Stadtvolk und Landvolk dazu, sich dem Angriff der Leute Emichs auf das jüdische Viertel anzuschließen." Ähnliche Zusammenhänge legt auch Anno nahe. Zum Stichpunkt "Judenverfolgungen am Rhein" ist zu erfahren, "einfache Leute" seien nach Speyer, Worms und Mainz geströmt: "Dort gab es reiche Judengemeinden." Massaker an Juden werden zwar erwähnt, die Zusammenhänge aber bleiben im dunkeln. Kalmanowicz erklärt: "Immer wenn die christlichen Ritterarmeen vom 11. bis 13. Jahrhundert auf ihrem beschwerlichen Weg in den Orient von islamisch geführten Armeen geschlagen wurden, dann nahmen sie Rache an der jüdischen Minderheit, deshalb kam es in Städten wie Speyer und Worms zu Pogromen."

Juden, Pest und Tod - auch ohne dieses Stereotyp kommt keines der drei Bücher aus. "Die Angst vor dem unerklärlichen Schwarzen Tod führte auf der Suche nach ›Sündenböcken‹ vor allem in deutschen Städten 1349 zu einer regelrechten Judenverfolgung", so steht es beispielsweise in Anno. Links davon, etwas weiter unten, ist eine Ratte abgebildet, versehen mit der Information, die Ratten seien die Verursacher gewesen. Für Kalmanowicz können so dennoch unbewußte, kulturell verankerte Assoziationen über die symbolische Verknüpfung von Juden und Ratten provoziert werden, die seit Goebbels und "Jud Süß" endgültig berüchtigt sind. Ihn ärgert, "daß nicht aufgeklärt wird, warum Juden weniger von der Pest betroffen und deshalb dem Haß ausgesetzt waren": Die religiösen Sauberkeitsriten wie das Bad in der Mikwe, aber auch regelmäßiges Händewaschen, strenge Körperhygiene, machten Juden weniger anfällig für die Pest.

Ein anderes als pädagogisch besonders wertvoll gehandeltes Werk an Hamburgs Schulen, Geschichte und Geschehen für die Sekundarstufe I (Klett Verlag, 1995), enthält das Kapitel "Juden - eine ungeliebte Minderheit". Die Variation des Mantras hier: "Die andersartige Tracht der Juden, ihre religiösen Gebräuche und ihre Rolle als Geldverleiher erregten das Mißtrauen und den Neid der christlichen Bevölkerung. In Zeiten der Not diente die jüdische Minderheit immer wieder als ›Sündenbock‹ und war dann angeblich an allem Übel schuld. Man sagte ihnen die schrecklichsten Verbrechen nach, um anschließend über sie herzufallen. In den Jahrzehnten nach der Pest von 1348 wurden die Juden entweder in Ghettos, abgeschlossenen Bezirken, isoliert oder ganz aus deutschen Städten - wie auch aus anderen Ländern Europas - vertrieben. Sie siedelten sich daraufhin in Osteuropa an, bewahrten dort aber ihren deutschen Dialekt, das Jiddische. Im 19. Jahrhundert nannte man Haß auf die Juden Antisemitismus. Antisemitismus führte im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) auf Befehl der damaligen deutschen nationalsozialistischen Regierung zum Mord an mehreren Millionen Menschen jüdischer Abstammung." Sollte nun eine Schülerin in diesem rasanten Galopp durch die Geschichte vielleicht ein wenig Luft holen wollen, um beispielsweise im Index unter "Pest" nachzuschlagen, dann findet sie folgendes: "~bazillus 116 >Juden". Auf der Seite 116 mit der Überschrift "Krankheiten und Seuchen ausgeliefert" ist dann nicht mehr von der Unschuld der Juden die Rede. Die Assoziation "Bazillus - Juden" kann also bleiben. Das Jiddische sei ein deutscher Dialekt - mit dieser falschen Information muß sie auch leben.

Hinten im Buch, da sind wir in der frühen Neuzeit, stehen 45 Seiten Drehbuch zum Zeitalter "Reformation - Glaubensspaltung - Glaubenskämpfe". In der Rolle des Superstars: Martin Luther. Keine Zeile über sein Pamphlet "Von den Juden und ihren Lügen" (1543), in dem er zum Verbrennen von Büchern und Synagogen sowie zum Versklaven von Juden aufruft.

Lehrer Daschner und Lehrerin Pape hätten ihre fachliche Inkompetenz mit einem Studium der internationalen Schulbuchforschung leicht mindern können. Auch für viele andere Geschichtsbücher, die bundesweit im Umlauf sind, gilt: Im besten Fall "erscheint die Geschichte der Juden seit dem Mittelalter vornehmlich als eine Geschichte von Verfolgung und Niederlage ohne Gegenwehr", stellt Falk Pingel vom Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig fest, dessen deutsch-israelische Schulbuchkommission seit 1985 regelmäßig Empfehlungen herausgibt.

Auch bei den Lerneinheiten über die Antike liegt einiges im argen. Doch gerade die Hellenisierungspolitik, mit der die Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung begründet wurde, war wichtig für die Stereotypenbildung. Dem Gegensatz von Judentum und Hellenismus folgte der Gegensatz von Barbarei und Kultur, variationsreich nicht nur von griechischen, sondern auch von römischen Herrschern und Literaten verkündet. Ohne diese Anfänge des Antijudaismus sind die Metapher vom Juden als Mörder Christi oder als Hostienschänder ebensowenig verständlich wie der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts oder der deutsche Vernichtungsantisemitismus. Auch gegenwärtig immer mal wieder aufflackernde Wahnvorstellungen vom Weltjudentum haben kulturelle Wurzeln in der Antike.

Auch die Quellen sind problematisch, wie der Sohn der Hansens ganz richtig erkannt hat. In der Regel müssen das Alte Testament und die christliche Weihnachtsstory herhalten, obwohl altägyptische Texte weit mehr über das soziale Leben der Hebräer Aufschluß geben können. Trotz deutsch-jüdischer Schulbuchempfehlungen: "Die Juden des Altertums sind aus der Perspektive des Mittelalters und der Neuzeit gesehen und in eine falsche Kontinuität, der einer angeblich kontinuierlich städtischen Existenz, hineingestellt", so die Schulbuchforschung. Vom Altertum bis in die Gegenwart: Schülerinnen und Schüler erfahren nichts über den Beitrag der Juden zu den europäischen Kulturen. Deren Diskriminierung und Verfolgung erscheint als Folge ihrer religiösen Eigenheiten. "Jüdinnen und Juden kommen fast ausschließlich als Opfer vor, nicht aber als Menschen, die engagierte Beiträge zur Geschichte, Wissenschaft und Kultur geleistet haben", stellt Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, fest.

Die Täter bleiben zu allen Zeiten weithin unsichtbar. Warum erfahren junge Hamburgerinnen und Hamburger nichts über Judenhasser wie Johannes Bugenhagen im 16. Jahrhundert, dessen Namen noch heute viele deutsche Kirchen und Stifte tragen, oder über Johannes Müller, einen bekannten Pastor der heutigen Hauptkirche St. Petri, der mit seinem 1.500 Seiten Machwerk nicht nur jüdische Hamburger diffamierte? Warum wird ihnen Johann Hinrich Wichern im 19. Jahrhundert nicht als Antisemit reinsten Wassers vorgestellt, der seinen Bekehrungsdrang in der Judenmission austobte? Warum wird verschwiegen, wie sich der Senat der Hansestadt noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts damit rühmte, "judenfrei" zu sein? Erst nach dem wirtschaftlichen Niedergang der Hanse ließen die Pfeffersäcke portugiesische Kaufleute mit jüdischem Hintergrund in die Stadt.

Julia Koppke, Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaftsgruppe Regenbogen, wollte, im Rahmen einer kleinen Anfrage an den Senat, anhand von zehn konkreten Fragen wissen, was genau mit diesen Schulbüchern passieren wird, wie die Bildungspläne und die Lehrerfortbildung künftig aussehen sollen und wieviel fachfremdes Lehrpersonal das Fach Geschichte unterrichtet. Die Schulbehörde hielt es nicht für nötig, auch nur eine Frage wirklich zu beantworten. Die Schuld für den Einsatz der kontaminierten Bücher schiebt sie seit Monaten einfach auf die Schulen ab. Neue Schulbücher sollen nicht angeschafft werden. Der Grund: "Der Hamburger Markt ist allein nicht groß genug, um dafür genügend wirtschaftliche Anreize zu bieten." Die Schulbuchverlage sind mittlerweile das kleinere Problem. Diesterweg, Westermann und auch der Cornelsen Verlag, der in München in die Kritik geraten war, gestehen Fehler ein und sind zu vollständigen Überarbeitungen der Bücher bereit.

Geschichtsdidaktiker wie Bodo von Borries raten der Schulbehörde dringend, die Bedeutung von Minderheiten und Judentum besonders in den Haupt- und Realschulen ausführlicher zu behandeln. "Gerade in dieser Schulform werden wir mit dem aggressivsten Rassismus konfrontiert. Es gibt zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik eine neofaschistische Jugendkultur, die den Charakter einer Sekte hat." Doch genau dort wird der Geschichtsunterricht bis zu 70 Prozent von fachfremdem Lehrpersonal geleistet. Auch in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gibt es gewaltige Defizite. Nicht nur mangelndes Wissen ist das Problem, auch die Gefühlslagen unterscheiden sich oft nicht von den Schulbuchinhalten. So hat Falk Pingl mehrfach die Erfahrung gemacht, "daß Lehrer meinten, die Juden hätten durch die Riten, durch andere Alltagsbräuche und Normen eine Distanzierung von der Mehrheitsgesellschaft selbst eingeleitet".

Solche Zustände deckt in Hamburg auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Anders als die GEW-Bundesvorsitzende Eva-Maria Stange, die in dieser Frage mit Paul Spiegel zusammenarbeitet, kann sich Peter Göbel, der die Hamburger GEW-Geschäftsstelle seit Oktober 2000 leitet, nicht zu einer Stellungnahme durchringen. Bürgermeister und Schulsenatorin bleiben weiter stur. "Ich bin ja nicht verpflichtet, auf Zwischenrufe einzugehen. Das beste Rezept ist, die Ohren einfach zuzuklappen und weiterzusprechen", so hat Lehrerin Pape vor ein paar Jahren ihr kommunikatives Verhalten in der Bürgerschaft erläutert. Außerdem können auch andere die Drecksarbeit machen. Ihre Referentin Frauke Scheunemann sowie Lehrer Daschner haben beispielsweise auch ganz eigenwillige Vorstellungen, wenn es um Pressefreiheit geht. Beide waren trotz mehrfacher Nachfragen in den letzten Monaten nicht in der Lage, fachliche Auskünfte zu geben. Die "FR" wollte anläßlich des Holocaust-Gedenktages noch einmal nachfragen lassen, was nach den Enthüllungen über antisemitische Stereotype ("FR", 14.12.2000) nun mit den Schulbüchern geschehen würde. Scheunemann ließ einen Sachbearbeiter erklären: "Wir sind doch nicht in der DDR."

Sondern in Hamburg und lesen noch einmal in der Weltkunde, diesmal einen Abschnitt über den Islam. In dem sieht das Schulbuch einerseits eine "Bedrohung des Abendlandes", gesteht andererseits aber auch ein, es gebe "Zerrbilder vom Islam". Die Frage zum Nacharbeiten lautet: "Du kennst auch Vorurteile gegen andere Gruppen (z.B. Neger). Wie lauten sie?" (Hamburgs) Schulgeschichtsbücher sind auch eine Fundgrube für ganz "normale" Rassismen.

Brigitta Huhnke forscht und lehrt in Hamburg über mediale Politikvermittlung und den Umgang mit der NS-Vergangenheit

Heft 04/2001

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