antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Logo konkret

Bunter Abend mit Rudi:
"Wolgastrand" statt "Waldesrand"

Wie die Deutschen mit der Leitkultur-Debatte ihre Vergangenheit bewältigen

Von Joachim Rohloff

Nun ist also auch die Debatte um die Leitkultur schon wieder verweht, und ihre Anstifter beteuern, sie hätten es ja niemals so gemeint: Deutsche Leitkultur sei doch nichts anderes als das Bekenntnis zu den Werten des Westens; sie hat also weder mit Deutschland zu tun noch mit der Kultur. Darauf aber, daß die Deutschen, um zweihundert Jahre verspätet und nach doppelter eindringlicher Mahnung, immerhin die niedrigste Stufe westlicher Zivilisation erklommen haben, möchten sie nun noch besonders stolz sein.

Die Debatte verlief ohne jede Überraschung, und an ihrem Ende gab es auch keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Daß sich der Rassismus notfalls auch mit der Zivilgesellschaft würde begründen lassen, wußte man vorher; ebenso, daß Rudolf Augstein im Interesse seines Verlages entmündigt gehört. Zwar glaubte Alois Glück, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, sich anfangs noch von Feinden umstellt: »Die Aufregung um den Begriff ›Leitkultur‹ hat ihren tieferen Grund in dem ungeklärten Verhältnis der Deutschen, jedenfalls der Mehrheit der Meinungsbildner, zur eigenen Geschichte und Kultur, zur Identität der Nation. Ich glaube fast: Der Mehrheit der Aufgeregten geht es nicht um eine besondere Fürsorge für die Ausländer, die nicht ausgegrenzt werden dürfen. Ihre Aufregung wurzelt in einem gebrochenen Verhältnis zu allem, was als deutsche Identität verstanden werden könnte.« Das sollte nun ein Vorwurf sein, er traf allerdings niemanden mehr. Wen denn in Deutschland und in der Welt könnte Glück noch gemeint haben? Die paar Pappkameraden, die beispielsweise in KONKRET ramentern, sind dem menschlichen Ohr nicht vernehmlich. Und die ehemalige Linke hat sich im Kosovo-Krieg das historische Verdienst erworben, die deutsche Identität nach, trotz und wegen Auschwitz wiederherzustellen.

Deshalb fühlt sich inzwischen auch Cem Özdemir vollkommen identisch. Während der Walser-Debatte litt er noch sichtlich unterm Schulddefizit seiner Väter, an der Walserschen Schande und an den Beklemmungen eines Klaus von Dohnanyi durfte er nicht teilhaben, die Volksgemeinschaft schloß ihn noch immer aus, allenfalls ein Stückchen Verantwortung für die Zukunft mochte sie ihm überlassen. Als aber nach der Leitkultur gefragt wurde, war endlich auch der türkische Schwabe ein ganzer Deutscher und stolz darauf: »Der Nationalismus ist in Deutschland nicht schlimmer als in anderen Ländern.« Denn in Deutschland mordet nicht der Nationalismus, sondern die Gewaltbereitschaft. »Aber ich will mal was anderes sagen, weil Sie Herrn Westerwelle gefragt haben, worauf wir stolz sein können. Meine Vorfahren kommen aus einem anderen Land. Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen und bin seit meinem achtzehnten Lebensjahr deutscher Staatsbürger. Mein Lehrer in der Realschule hat mich nach Dachau gebracht. Mit der ganzen Schulklasse, nicht nur mich alleine. Wir haben da mit Überlebenden gesprochen. Was mich sehr beeindruckt hat, ist die Art der Vergangenheitsbewältigung und der Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit auch in einer kritischen Weise. Also genauso, wie man die positiven Teile der Geschichte behandelt hat, auch dieses dunkle Kapitel der Geschichte. Das ist, bei allen Versäumnissen, die wir da haben - Entschädigung -, nicht selbstverständlich in der Welt. Und das finde ich was, wo man sagen muß, das ist eine Art, wo man sich mit der eigenen Geschichte beschäftigt hat, die manchen auch durchaus zum Vorbild gereichen könnte.«

Wie viele Menschen auch immer die Deutschen in den dreißiger und vierziger Jahren nach Dachau gebracht haben - daß sie einige Zeit später den kleinen Özdemir nach Dachau brachten, spricht sie vor der Geschichte frei. Und daß fünfzig Jahre nach Kriegsende wirklich kein ehemaliges Mitglied der NSDAP mehr im Bundestag sitzt, davon können sich alle anderen Völker eine dicke Scheibe abschneiden. Im einzigen Einzelfall Özdemirs allerdings möchte man der CDU zustimmen, die jeden Bewerber gründlich prüfen will, bevor er den Personalausweis bekommt: Dieser hier hätte wegen Anbiederung und flagranter Schleimscheißerei ausgewiesen werden müssen.

Zwar beteuerte Roland Koch: »Wir sind keine Gesellschaft von verschiedenen Kulturen, sondern wir haben eine Kultur. Und die werden wir auch am Ende behalten wollen und um unseres inneren Friedens willen behalten müssen.« Zwar versuchte Angela Merkel sich an einer Definition: »Das Bewußtsein der eigenen Identität, das meint die Nation, das Vaterland, die Heimat, in der wir sind, und daß die Beachtung dieser Werte als Leitkultur bezeichnet werden kann. Als Leitkultur in Deutschland, um noch einmal deutlich zu machen, wo wir leben. Wir entscheiden jetzt aus nationalem Interesse, wen wir als Zuwanderer haben wollen. Wir hatten eine außerordentlich schwierige Geschichte und haben uns erst einmal auf die humanitären Gründe konzentriert. Jetzt gehen wir einen neuen Schritt.« Der Inhalt der Leitkultur blieb jedoch unbestimmt, er läßt sich am Ende wohl auf die Drohung reduzieren: Wir sind wir, und wer die anderen sind, das beschließen wir nach Bedarf. Wolf Biermann machte einen Vorschlag: »Es sind die Moslems, es sind die Türken, es sind die Araber, es sind die Leute, die im Grunde keine westliche demokratische Kultur kennen.«

Weil die Leitkultur in der größten Erklärungsnot nichts anderes mehr bedeuten sollte als der seit langem vertraute Verfassungspatriotismus, also auch keinen »möglichen ersten Schritt einer Rückkehr zur deutschen Kultur«, den Hermann Kant und Peter Hacks sich noch von der Wiedereinführung der alten Rechtschreibung versprochen hatten, durfte im Verlauf der Debatte manch einer endlich aussprechen, was ihm schon immer auf der Seele lag. »Mir selbst wurde und wird gelegentlich Antisemitismus vorgeworfen«, wunderte Rudolf Augstein sich in seinem »Spiegel«. Daß er ein Antisemit nicht ist und nie gewesen ist oder doch zumindest, wie sein Vater, das antisemitische Ressentiment während der Dauer des »Dritten Reiches« unterdrückte, bewies nun ein Kapitel aus seinen hoffentlich ungeschriebenen Memoiren. »Widerstand am Wolgastrand« könnte es heißen. »Meine ›Leitkultur‹ war jüdisch. Warum? Als Soldat an der Ostfront wurde ich dazu ausersehen, als Truppenbetreuer die sogenannten bunten Abende unter meine Fittiche zu nehmen.«

Und wie gestaltete der kommende Journalist des Jahrhunderts die Abende unter seinen Fittichen? Er führte jüdische Lieder auf. Das heißt: nicht gerade jüdische Lieder, aber doch Lieder von jüdischen Komponisten. »Ich hatte einen kräftigen Bariton, ein Begleitinstrument fand sich immer. Eines der Lieblingslieder war damals ›Es steht ein Soldat am Wolgastrand‹ (Schluß des Wolgaliedes: ›Du hast im Himmel viel Engel bei dir! Schick doch einen davon zu mir‹). Die deutschen Wehrmachtstruppen standen dort, am Wolgastrand, auf Befehl des unseligen Führers Adolf Hitler. Auf Anweisung mußten wir statt ›Wolgastrand‹ ›Waldesrand‹ singen, was ich aber mißachtete. Das schwülstige Lied ist 1927 uraufgeführt worden, und zwar in der Operette ›Der Zarewitsch‹ von Franz Lehár. Der Saal raste, wenn der jüdische Sänger Richard Tauber (Geburtsname: Richard Denemy) das Macho-Lied sang: ›Gern hab ich die Frau'n geküßt, hab nie gefragt, ob es gestattet ist. Dachte mir, nimm sie dir, küß sie nur, dazu sind sie ja hier.‹ Mindestens fünfmal mußte er das Lied als Zugabe singen. Diesen Text hatte ein jüdischer Librettist geschrieben. Wer wußte damals schon, daß ›Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren‹ ebenfalls von einem Juden stammte, von Fritz Löhner-Beda.«

Gute Frage. Daß sie Juden waren, wußten womöglich die jüdischen Komponisten und Librettisten selbst nicht, bis die Nazis es ihnen klarmachten. Ganz gewiß aber wußten es die Antisemiten, die hinter allem, woran auch nur der Enkel eines Juden beteiligt war, den jüdischen Einfluß und die jüdische Kultur entlarvten. Hitler übrigens, auch das mußte bei dieser Gelegenheit einmal festgestellt werden, zählte in seinen frühen Jahren nicht zu ihnen: »Der Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach war einer jener willigen Vollstrecker, der in vorauseilendem Gehorsam ›dem Führer entgegenarbeiten‹ (Hitler-Biograph Ian Kershaw) und Wien ›judenfrei‹ machen wollte. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte der unbekannte Kunstmaler Hitler gegen Juden nichts, die in seiner Wiener Zeit fast sein einziger Umgang gewesen waren. Sein Hauptfeind waren damals die Tschechen, die aus Wien eine zweisprachige Stadt zu machen bestrebt waren. Und auch in einer Anweisung an seinen neuen Gauleiter erwähnte er dessen selbstgestellte Aufgabe mit keinem Wort. Vielmehr sollte Schirach weiterhin ›für die Deutsche Jugendbewegung‹ zuständig bleiben.«

Daß die Wiener Juden also von Hitler nichts zu befürchten brauchten, ließe sich aber noch überzeugender beweisen, wenn er die Absicht, Wien judenfrei zu machen, in keiner Anweisung an seinen Gauleiter mit einem Wort erwähnt hätte. Die Archive werden den Beweis nicht hergeben, und das Rätsel des vergangenen Jahrhunderts wird auch den »Rudi« (H. M. Broder) überleben: »Und immer wieder stellt man sich die Frage, wie es zu all dem kommen konnte. Wahr ist, die westliche Völkergemeinschaft hat die Juden schmählich im Stich gelassen. Allen voran die großen christlichen Kirchen, aber auch die damals ja wirtschaftlich schon sehr starken Amerikaner.« Während die deutsche Volksgemeinschaft an der Ostfront immerhin die jüdische Kultur pflegte und bewahrte.

Im Unterschied zu einem hergelaufenen Özdemir hat Rudolf Augstein es nicht nötig, sich der Bagage anzubiedern: »Die in der Nazi-Zeit geschundenen Überlebenden rasch und großzügig zu entschädigen, die Zwangsarbeiter beispielsweise, war den früheren Bundeskanzlern von Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt kein Gedanke wert.« Er meint: keinen Gedanken. »Eine ziemliche Blamage leistet sich damals wie heute die deutsche Wirtschaft in der Behandlung ehemaliger Zwangsarbeiter. Nur einer bemüht sich, das Verspätete halbwegs wiedergutzumachen: Otto Graf Lambsdorff unter Einsatz seiner Gesundheit.« Wem aber fielen, wenn er vom edlen Grafen liest, nicht dessen Kontrahenten ein: die »Haifische im Anwaltsgewand«?

Einer muß es schon seit langem gewußt haben, daß zwar nicht eben Augsteins Denken und Schreiben, wohl aber sein Singen und mancher seiner bunten Abende von der jüdischen Kultur geleitet wurden. Wie sonst hätte Frank Schirrmacher ausgerechnet jenen Rudolf Augstein, den wir anderen für unseren prominentesten Antisemiten hielten, mit dem Börne-Preis behängen können? Die Verleihungszeremonie sollte am 5. November, als die Debatte um die Leitkultur ihren Höhepunkt erreichte, in der Frankfurter Paulskirche stattfinden. Sie fiel aus, weil der Preisträger angeblich erkrankt war, und es setzte viele hämische Kommentare. Zu einem veritablen Skandal mochte sich der Vorgang aber nicht entwickeln. Wer dennoch einen zweiten Gedanken an ihn verschwendete, dem fiel vielleicht ein, daß vor Jahren im »Spiegel« zu lesen stand, Schirrmacher habe seinen Doktortitel nicht etwa, wie man es von einem herausragenden Repräsentanten der Geistesrepublik wohl vermuten durfte, in Oxford erworben, sondern an der Gesamthochschule Siegen, und obendrein mit »anrüchigen« Mitteln. Daß er zum Nachfolger des großen Fest emporschnellte, verdanke er weniger seinen Fähigkeiten als einer perfiden Schleim- und Schmiegetechnik. Er könne wohl nicht ganz dicht sein, behaupte er doch manchmal, seine Kindheit unter äthiopischen Menschenräubern verbracht zu haben. Und zu Beginn dieses Jahres fand sich in »Spiegel-Reporter« die Insinuation, Schirrmachers größte Lust sei es, untergebene Redakteure zu demütigen.

Ausgerechnet dem Mann, der alle diese Gemeinheiten verantwortete, bescheinigte Schirrmacher im Juni nun, er habe es, nach dem letzten Weltkrieg etc., der Bundesrepublik ermöglicht, »wieder in ein Gespräch mit sich selbst und der Umwelt einzutreten. Er hat dem Land damit innere Freiheit wiedergegeben.« Er stehe »wie kaum ein anderer Publizist in der aufklärerischen und freiheitlichen Tradition, die Ludwig Börne in der deutschen Geistesgeschichte begründete«. Augsteins »argumentative Kraft, sein ebenso polemisches wie politisches Temperament, sein publizistischer Rang und Einfluß machen ihn zu einem Preisträger, dem Börne nicht seinen Respekt und vermutlich auch nicht seine Freundschaft versagt hätte«. Das klang verblüffend klar und unmißverständlich. Aber gerade die Abwesenheit des gewohnten Schirrmacher-Sounds ließ vermuten, daß er es so, wie er es sagte, nicht gemeint haben konnte. Es mußte in diesem Lob eine geheime Botschaft stecken, ein satirischer Subtext. Augstein durch den Vergleich mit Börne lächerlich zu machen war nicht Schirrmachers besondere Absicht, sondern bloß das Prinzip aller Kulturpreise. Die Gemeinheit mußte sich in der Unterstellung verbergen, ein heutiger Börne wäre Augsteins Freund. Börne erwartete von einer deutschen Revolution vor allem einen weiteren Judenpogrom, er schrieb den schönen Satz: »Wenn ich sagte schändlich, das wäre zu matt; ich sage: Es ist deutsch.« Gegen die Zumutung des Antisemiten und deutschen Nationalisten Augstein, so mochte Schirrmacher spekulieren, würden sich die jüdischen Stifter des Preises zur Wehr setzen.

Salomon Korn indes, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, erklärte dem »Tagesspiegel« im November, daß die Zumutung keine Zumutung sei, sondern Augstein ein würdiger Preisträger; und seine antisemitischen Äußerungen blieben »im Rahmen dessen, was man aushalten muß in einer Demokratie«. Die Preisverleihung werde nachgeholt. Der Skandal blieb also aus, und inzwischen wurde offenbar, warum Schirrmacher ihn auch gar nicht wollte. Er hat nämlich längst mit Augstein seinen Frieden gemacht. Um der eigenen Karriere willen, die ihn noch werweißwohin führen wird, und weil er längst wußte, was wir erst neulich erfahren haben: Augsteins Leitkultur ist jüdisch.

Heft 03/2001

konkret können Sie an jedem guten Kiosk kaufen oder im Abonnement zum Preis von jährlich 90 Mark beziehen. 
Gegen eine Schutzgebühr von 3 Mark in Postwertzeichen können Sie aber auch ein Probeheft bestellen: konkret, Ruhrstr. 111, 22761 Hamburg konkret@t-online.de

 

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved