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Eine Ausstellung in Frankfurt (Oder) 
über jüdisches Leben in Deutschland

Fluchtwege und andere Wanderungen:
Zeichen des Alltags

Thomas Lackmann / Tagesspiegel

Von der linken Ecke eines gelben Rechtecks läuft das Strichmännchen nach rechts. Auf der Höhe seines Armes weist ein Pfeil ihm den Weg zur stilisierten Ausgangtür. Später wiederholt sich das Motiv leicht verfremdet: Im Zentrum eines roten Rechtecks hastet nun das Strichmännchen, welches den Ausgang am rechten Rand eben verlassen hat, einem linkswärts weisenden Pfeil hinterher.

Die Ausstellung "Zeichen des Alltags" zeigt ihr bekanntestes Bild, ein Standardwerk in jedem öffentlichen Gebäude, gleich zwei Mal, variiert. Weniger vertraut erscheinen ihre anderen 25 Lightbox-Piktogramme. Ein roter Föhn, durchgestrichen: Hinweis darauf, dass es Gläubige gibt, die samstags keine Maschinen bedienen. 
Orange Boxhandschuhe: Symbol für die internationalen "Maccabi-Spiele", bei denen das deutsch-jüdische Team 1999 stolzerweise mehr Gold gewann als jede andere Mannschaft.

"Jüdisches Leben in Deutschland heute" lautet der Untertitel der Wanderausstellung. Wo genau arbeitet die einzige deutsche Rabbinerin? Müssen Enkel NS-Verfolgter zum Bund? In einem Seitenchor der Frankfurter Marienkirche hoch über der Oder verkünden deutsch-russische Legenden auf lakonischen Piktogramm-Leuchtkästen, was wir schon immer hätten wissen wollen, wenn wir auf die Idee gekommen wären, sowas Banales zu fragen. Wieviel Pässe kriegt ein Jude in Deutschland?

Das Konzept des Berliner Ausstellungsbüros "x:hibit" funktioniert simpel subtil. Piktogramme als Kürzel der Info-Gesellschaft konzentrieren eine Botschaft auf ihr radikal reduziertes Bild, sie lassen Emotionen, Zwischentöne, Humor - eigentlich - nicht zu. Sie verweisen auf Fakten, gelten als reines Serviceinstrument und haben doch Manipulationskraft und eigene Pop-Ästhetik entwickelt. 

"In einem Design, das sich am modernen Stadtleben orientiert", so erklären die Ausstellungsmacher ihr Programm, "wird die jüdische 'Andersheit' demusealisiert und entmystifiziert". Das stimmt nur zur Hälfte. Piktogramme sollen ja nicht nur reduzieren, sondern auffallen. Wenn es hier vor allem darum geht, Deutschlands jüdische community als Minorität der Lebenden und nicht etwa der Toten bekannt zu machen, wird gleichwohl ihre Unterscheidung unterstrichen.

Obwohl "die Juden", trotz einiger Spezialtraditionen, normale Menschen zu sein scheinen, sehen wir sie gerade darum nun als Objekte einer statistisch-didaktischen Darstellung, mit der die Allgemeinbildung der interessierten Majorität bereichert und die Selbstwahrnehmung der Minderheit korrigiert wird. Lapidare Signets entfalten auf dem Hintergrund der Klischees, die der Besucher selbst mitbringen mag, ihren trockenen Witz. "Zeichen des Alltags" verwandeln sich so, über ihre Sachorientierung hinaus, in Wegweiser der Bedeutung. Vor allem der Kontext, in dem diese Wanderausstellung sich von Ort zu Ort präsentiert, setzt solche Unter- und Obertöne frei.

Frankfurts überwältigende Hallenkirche gibt zu dieser coolen Gegenwarts-Dokumentation den drastischen Kontrast. Seit den 70er Jahren aus Trümmern teilweise wiederaufgebaut, ist sie als "Ruine unter Dach" Ausstellungsort für das Museum Viadrina. Im Chor sind Abbildungen mittelalterlicher Fenster zu bewundern; die Glasmalereien zeigen, einzigartig in ihrer Art, einen "Antichristus-Zyklus", auf dem spitzhütige Juden auszumachen sind, die sich vor Christi Wiederkunft bekehren müssen. Als Beutekunst nach St. Petersburg gelangt, sollen die Fenster bald nach Frankfurt zurückkehren, wo der Krieg noch näher zu sein scheint als in anderen Regionen der Republik. 

"Zeichen des Alltags", aufgebaut in einem höheren Seitenchor, wurde vom Museum Viadrina durch Judaica - Thoramantel, Talmud - ergänzt. Auch ein CD-Spieler, auf dem jiddische Musik bereitliegt, bedient eher überkommene Erwartungen. Studenten der Universität Viadrina wiederum haben die Ausstellung um Piktogramme zur Historie der Frankfurter Juden erweitert. Zwischen den Leuchtboxen steht außerdem ein Relief, das vor 170 Jahren mit dem "Gesicht" nach unten in der Kirche verarbeitet worden war: Da thront eine kantig-märkische, blonde Maria zwischen Gott Vater und Sohn, überschwebt vom Heiligen Geist. Links erfährt der Besucher unter einen Krückstock von überalterten Gemeinden, rechts von dem Steuerkartenkürzel "is", welches nicht "islamisch" bedeutet.

Zufallskorrespondenzen: Dass "Zeichen des Alltags" an der Oder in einem Gewölbe namens "Martyrchor" stattfindet, haben die Ausstellungsmacher keineswegs beabsichtigt. Vom griechischen Wortursprung her ist der christliche Blutzeuge martyr eigentlich Zeit- und Augenzeuge. Erinnerung an den Holocaust kommt in der nüchternen x:hibit-Schau nur am Rande vor. 

Im Jüdischen Museum Fürth, wo sie im Herbst ihren Anfang genommen hat, brach eine Auseinandersetzung zwischen dem Museumsleiter und der Jüdischen Gemeinde auf über das angeblich zu schwache Gewicht der Shoa in der dortigen Dauerausstellung. In Berlin, wo "Zeichen des Alltags" am 19. April eröffnet, werden die Piktogramme verteilt über Räume des Centrum Judaicum zu sehen sein. In Berlin gibt es bereits eine berühmte Piktogramm-Ausstellung, das Denkmal "Orte des Erinnerns" im Bayerischen Viertel - eine alltagskompatible Darstellung der Judenverfolgung, auf den Straßen der Stadt; und am 19. April ist der Gedenktag der Shoa in Israel. "Zeichen des Alltags" zeigt Schatten und Umrisse einer Minorität, als Wanderausstellung. Das gelbe Fluchtweg-Piktogramm symbolisiert Konversionen zum Judentum (77 in 1999), das Rote die Austritte aus der Jüdischen Gemeinde (355 in 1999). Bleibt ein Jude außerhalb der Gemeinde Jude? Der Unterschied zwischen Wanderung und Flucht ist subtil.

  • Bis 8. 4. : Marienkirche / Frankfurt (Oder), 11 - 17 Uhr;
  • ab 19. 4. im Centrum Judaicum Berlin.

haGalil onLine 04-04-2001

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