Jerusalem, goldene, unverständliche
Stadt:
Normalisierung ist Verrat
Ein Bericht in der
tageszeitung,
von CHRISTIANE KÜHL
Eine Kolumne aus Jerusalem
schreiben heißt, eine Kolumne über die Unmöglichkeit einer Kolumne
aus Jerusalem zu schreiben. Hübsche Nebensächlichkeiten sind schwer
zu beobachten, wenn Bomben und Menschen explodieren.
Am Tag, an dem die
Theater-Reisegruppe der Bundeszentrale für politische Bildung in der
geteilten Stadt ankommt, ist das arabische Viertel fast so still wie
das jüdische am Sabbat. Es ist Dienstag, der 27. März. Im
jordanischen Amman trifft sich die Arabische Liga. "God damn the
jews", wird da später jemand sagen, und um ihre Unterstützung
auszudrücken, bleiben die Läden vieler arabischer Israelis heute
geschlossen. Die hebräischen Zeitungen sind voller Bilder des am
Vortag von einem Palästinenser erschossenen jüdischen Babys. Die
arabischen berichten ausführlich über die anschließend wild in die
Menge feuernde israelische Polizei. Der Himmel ist blau, in der Luft
liegt extreme Spannung.
Etwa zur selben Zeit, als
sich unser Bus in Richtung Ölberg aufmacht, explodiert vor einem
Einkaufszentrum im Stadtteil Talpiot eine Autobombe. Wir laufen zur
Gethsemane-Kirche. Nicolas Stemann liest aus dem Markus-Evangelium.
"Lass diesen Kelch an mir vorübergehen", steht da, und "der Geist
zwar ist willig, doch das Fleisch ist schwach". Eine
Theater-Reisegruppe kann so etwas sehr beeindrucken: "Die Bibel ist
wie der ,Faust'! Da ist alles drin! Nur besser." Unter uns liegt die
goldene, unverständliche Stadt.
Jedes Flugzeug, das die
Schallmauer durchbricht, lässt heute panisch zusammenzucken. Im Tal
weit hinter der Stadt steigen schwarze Rauchwolken auf. Wird
Bethlehem bombadiert? Liegt da eine Müllverbrennungsanlage? Als
Fremder ist man der Situation genau wie der eigenen Paranoia
ausgeliefert. Was wirklich vor sich geht, ist der Stadt nicht
anzusehen. Alle Infrastruktur funktioniert reibungslos. Am Kiosk
werden Schokoladenzigaretten namens "Kamikaze" verkauft. "Down in
flames ... up in smoke" steht auf der Packung. In der Zeitung
Haaretz wirbt eine Anzeige dafür, den Touristen nicht böse zu
sein, dass sie nur noch spärlich nach Israel reisen. "Treat them
right!", fordert "helloisrael", was vermutlich für "Hello Israel"
steht, aber unweigerlich als "Hell o Israel" gelesen wird.
Von der Terrasse der
Cinematheque beobachten wir das Farbenspiel des Sonnenuntergangs auf
der Stadtmauer, bis uns besorgte CNN-Gucker über Handy mitteilen,
dass sich wenige Meter nördlich von uns gerade ein
Selbstmordattentäter samt Bus in die Luft gesprengt hat. Der Verkehr
um die Stadtmauer fließt weiter. Wir bestellen Schnaps. Die
Bedienung bringt Weißwein. Angst und Alltag scheinen parallele Wesen
zu sein. Ein Gefühl nervöser Surrealität macht sich breit.
Am Abend zeigt die Bat Sheva
Dance Company "Virus" nach Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung".
Eine komplexe, schöne Produktion. Der Text ist auf Hebräisch, aber
wir haben das Ende auch so im Kopf: "Saujuden, Asoziale,
Genickschussspezialisten, Schrumpfgermanen, rote Horden,
Untermenschen", brüllt ein Mann in den Zuschauerraum. Auf der Bühne
dreht sich ein Dutzend Tänzer zu arabischer Musik endlos im Kreis.
Großer Applaus.
Zwei Tage, ein
Selbstmordattentat, ein Luftangriff und mehrere Tote später
berichtet Mustafa Al-Kurd vom Theater al-Khayat von den
Schwierigkeiten des Theatermachens in Ostjerusalem. Öffentliche
Gelder gibt es nicht, private auch nicht. Unterstützung kommt allein
von internationalen NGOs, die allerdings feste Vorstellungen davon
haben, was auf den palästinensischen Bühnen gespielt werden soll:
Auftragsarbeiten gibt es zum Thema "Demokratie" oder "Halt bei Rot",
letzteres ein kleines Ampelstück, dass Al-Kurd neulich vertonte.
"Wir dürfen nicht reden, worüber wir reden wollen. Palästinenser
sollen neue Geschichte, neue Ideologien machen und das Theater dafür
als Erziehungsinstrument nutzen." Ziel der NGOs, sagt er, sei nicht
Frieden, sondern Ruhe.
Zusammenarbeit von
israelischen und palästinensischen Künstlern wurde eine Zeit lang
von ausländischen Künstlern gefördert, die mit Geld aus ihren
Heimatländern integrative Workshops gaben. Momentan ist das nicht
möglich, da durch die Abriegelungen der Territorien kein gemeinsamer
Probenort besucht werden kann. Und es gibt mehr als praktische
Gründe: Selbst liberale arabische Künstler, Akademiker und
Friedensaktivisten weigern sich, mit Juden zusammenzutreffen. Der
Dialog ist momentan politisch nicht konform, erklärt Suliman Abu
Daye, Leiter des Jerusalemer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung.
Seit Oktober gelingt es ihm nicht mehr, seit Jahren kooperierende
Historiker an einen Tisch zu bringen. Auch die Frauenrechtlerin
Sumaya Farhat-Naser kann keine binationalen Treffen mehr
organisieren. "Normalisierung ist Verrat" steht auf Drohbriefen, die
bei ihr eingehen.
Der Filmemacher und Autor
Etgar Keret hatte vergangene Woche in Tel Aviv ein einfaches Bild
für die frustrierende Situation gefunden. Niemand spricht hier von
Frieden, ärgerte sich der 33-Jährige: "Man spricht von ,save peace'
oder ,right peace' oder ,peace of the brave'. Es ist wie im
Supermarkt. Nur den Frieden, den ich will - the peace of the week -,
den verkauft keiner." Und sonst steht momentan auch nichts im
Angebot.
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04-04-2001
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