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"Zachor",
"Erinnere Dich" - so lautet seit Jahrtausenden das Geheimnis
jüdischen Überlebens. Nur dank der Erinnerung war es den Juden
möglich, ihre Tradition über Jahrtausende zu bewahren. Auch das
wiedervereinte Deutschland ringt um seine Tradition, um seine
Erinnerung, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Gedenken an den
Holocaust gerne als "Erinnerungskultur" bezeichnet wird.
In diesen
Tagen haben die Israelitische Kultusgemeinde München (IKG) und die
Stadt München ihre Tradition, ihr "Zachor'-' und ihre
"Erinnerungskultur" verraten, freilich in einem Akt politischer
Korrektheit, der kaum angreifbar scheint. Was ist geschehen?
Seit einigen
Jahren ist es klar, dass die jüdische Gemeinde in der Stadt endlich
ein neues Zentrum braucht. Dieses soll am St. Jakobsplatz entstehen,
nachdem die Stadt "großzügig" das Gelände der jüdischen Bevölkerung
überlassen hat und mittlerweile auch der Staat Bayern mit einer
Anschubfinanzierung zur Hilfe geeilt ist, dennoch fehlten immer noch
Millionen, um das Gemeindezentrum tatsächlich bauen zu können.
In einer
merkwürdigen Nacht- und Nebelaktion haben nun die Stadt und die
Präsidentin der Gemeinde, Charlotte Knobloch, offensichtlich eine
Lösung gefunden. Das Gelände auf dem die ehemalige Hauptsynagoge an
der Herzog-Max-Straße stand und die bereits im Juni 1938 noch vor
der "Reichskristallnacht" von den Nazis abgerissen wurde (perfide
mußten die Juden den Abriß auch noch selbst bezahlen), soll an
Karstadt verkauft werden, um dort ein weiteres Geschäftsgebäude
neben dem Oberpollinger zu errichten. Der Kaufpreis von
wahrscheinlich ca. 40 Millionen DM soll der IKG überlassen werden.
Damit wäre die Finanzierung für das neue Gemeindezentrum gesichert.
Doch welchen
Preis sind die Akteure bereit, da wirklich zu bezahlen? Der Platz
der ehemaligen Synagoge, heute lediglich eine Wiese, auf der Hunde
ihr Geschäft verrichten und Obdachlose übernachten, war von der
Stadt ganz gewiß nicht als Ort der Erinnerung eingerichtet und
instand gehalten worden. Ein schmutzig-grauer
Gedenkstein
direkt neben dem Platz mußte reichen. Und doch: Bei all der
Vernachlässigung der eigenen Geschichte ist dieser Platz ein "void",
eine Leerstelle, wie der Architekt Daniel Libeskind dies bezeichnen
würde. Ein Ort, wo die Verfolgungsgeschichte der Münchner Juden
greifbar gemacht werden könnte, wenn man denn nur will. Eine
schmerzende Leerstelle.
Mit dem von
der Präsidentin befürworteten Verkauf und der Bebauung dieses
Platzes soll die heutige Gemeinde endlich in das Zentrum der Stadt
vorrücken - ein nobles Unternehmen, so könnte man meinen. In
Wirklichkeit jedoch ein Skandal. Wie kann die jüdische Gemeinde eine
sinnvolle Zukunft planen, wenn sie bereit ist, einen wichtigen Ort
der eigenen Geschichte in dieser Stadt aufzugeben? Und: hat die
Stadt München keine anderen Wege, um eine Finanzierung des neuen
Gemeindezentrums zu ermöglichen als ausgerechnet die Preisgabe
dieses Ortes? Denn dieser Platz ist ja nicht nur ein Ort der Juden,
sondern wahrlich ein Ort aller Bürger dieser Stadt, die ihrer
Geschichte gedenken wollen, ja, müssen.
Das Signal,
das von diesem Deal in die Republik hinausgeht, ist fatal: Juden
sind bereit, die Orte, die an den Holocaust erinnern, aufzugeben.
Die Schlußstrichmentalität wird ausgerechnet von Juden noch
befördert. Welcher Zynismus. Und das alles, um eine Zukunft in
dieser Stadt, in diesem Land zu haben?
Der Vorstand
der jüdischen Gemeinde ist erst in der vergangenen Woche von seiner
Präsidentin über diesen Deal informiert worden und hat sofort
willfährig, ohne auch nur im Geringsten über die Folgen
nachzudenken, diesem Plan zugestimmt. Ob allerdings die Präsidentin
und der Vorstand tatsächlich dazu berechtigt sind, solch eine
Entscheidung zu fällen? Darf die Stadt München diese Lösung allein
gefällig befürworten? Natürlich kann sich die Stadt auf den
moralischen Standpunkt zurückziehen und auf das Ja-Wort der Juden
verweisen. Doch die Erinnerung sie gehört uns allen. Und es ist kein
Zeichen demokratischen Gebahrens, wenn sich der jüdische
Gemeindevorstand und die Verwaltung der Stadt München zum Richter
über den Umgang mit der Vergangenheit aufschwingen.
Ja, die
zweitgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland braucht dringend ein
neues Gemeindezentrum. Wenn dies allerdings nur möglich ist, indem
man die Orte der Erinnerung für ein Linsengericht verkauft, dann ist
es an der Zeit zu fragen, ob man das noch eine jüdische Zukunft
nennen kann. Und auch die Stadt wird Farbe bekennen müssen. Der
Holocaust ist ein Stück deutscher Geschichte: Eine breite,
öffentliche Diskussion um die Zukunft der Leerstelle hinter dem
Künstlerhaus muß her, Funktionäre sind gewiß nicht die geeigneten
Sachverwalter für den Umgang mit der Geschichte. "Das Geheimnis der
Erlösung heißt Erinnerung", sagt ein chassidischer Meister - ein
Zitat, das man in Deutschland gerne immer wieder in Artikeln zur
deutschen Erinnerungskultur benutzt. Mit diesem Beschluß wird ganz
gewiß niemand erlöst, nicht die Juden, nicht die Stadt München.
Erstersch. im
Mitteilungsblatt des Landesverband der IKG in Bayern (Dez. 2000; s.
4)
haGalil onLine
19-03-2001
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