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Wer geht heute noch gern in große Vorlesungen - und dann auch noch in einem
fremden Fach? Vor 34 Jahren war es durchaus noch üblich, sich in den Hörsälen
anderer Fakultäten herumzutreiben. Dennoch hatte ich triftige Gründe, als ich
mir damals ein paarmal eine Vorlesung Theodor Schieders anhörte.
Ich war Medizinstudent und Mitglied der
Kölner Hochschulgruppe des Sozialistischen Studentenbunds (SDS). Ein paar
Genossinnen und Genossen studierten Geschichte. Wenn es Zeit war, die Hausarbeit
für die Lehramtsprüfung zu schreiben oder die Dissertation, das erste Nadelöhr
der akademischen Karriere, in Angriff zu nehmen, dann gingen sie zu Schieder.
"Keiner ist so tolerant und offen für unsere Themen wie Schieder", sagten sie,
"allerdings verlangt er viel." Nachdem ich ihn ein paarmal gehört hatte, konnte
ich mir aus dieser Begeisterung für Schieder keinen rechten Reim machen. Die
Vorlesung war langweilig, irgend ein Typenproblem der vergleichenden
Nationalstaatsgeschichte. Auch pflegte Schieder seinen Vorträgen ein
merkwürdiges Ritual vorausgehen zu lassen: Er betrat den Hörsaal als Anführer
eines Gänsemarschs. Hinter ihm kam sein Erster Assistent Hans-Ulrich Wehler,
dann ein Hilfsassistent, und schließlich eine Sekretärin oder Schreibkraft.
Angesichts dieser streng festgelegten Hackfolge waren mir die
hemdsärmelig-amerikanischen Methoden meiner Medizinerausbildung doch lieber. Mit
dem Zweitstudium der Geschichte begann ich erst viel später, und auch nicht in
Köln. Trotzdem bin ich noch ein Schieder-Enkel geworden, denn ich habe bei
Hans-Josef Steinberg, einem Schüler Schieders, promoviert.
Um Theodor Schieder und die von ihm repräsentierte deutsche Historikergeneration
ist es inzwischen schlecht bestellt. Über ihre wissenschaftliche und persönliche
Integrität wird erbittert gestritten, und zwar seit dem Frankfurter
Historikertag vom September 1998 in aller Öffentlichkeit. Zusammen mit Hans
Rothfels und Werner Conze war Schieder bis Ende der sechziger Jahre Galions- und
Integrationsfigur der westdeutschen Geschichtswissenschaft.
Ausgerechnet diese Troika hatte seit Beginn der dreißiger Jahre an der
Grenzlanduniversität Königsberg die prekär gewordene deutsche
Machtstaatsgeschichte durch die Einbeziehung des Volkstumskampfs in den
historischen Diskurs wieder flott gemacht und der aggressiven Bevölkerungs- und
Umsiedlungspolitik der Nazis vorgearbeitet. Als ob nichts gewesen wäre, saß sie
seit den fünfziger Jahren an den Schalthebeln der bundesdeutschen
Geschichtspolitik, betrieb eine gemäßigt konservative Geschichtstypologie und
hielt sich aus allen Affären heraus, aus deren Anlaß - wie beispielsweise der
Fischer- Kontroverse - die Leichen im Keller ins Rampenlicht hätten gezogen
werden können. Ansonsten kümmerte sie sich intensiv um die Karrieren ihrer
Assistenten. Wenn man vom Sonderfall der Hamburger Fischer-Schule absieht, sind
die tonangebenden bundesdeutschen Historiker der siebziger und achtziger Jahre
aus den Historischen Seminaren von Schieder, Rothfels und Conze hervorgegangen.
Als Exponenten einer sozialliberal gefärbten Zeitgeschichtsforschung und der
Historischen Sozialwissenschaft prägten sie die damalige Forschungslandschaft.
Ihre geschichtspolitische Deutungsmacht war unumstritten. Während diese Söhne
nun ihrerseits von den Lehrstühlen abtreten, werden sie von der noch nicht
saturierten Gruppe der Enkel recht nachdrücklich gefragt, warum sie seinerzeit
mit ihren in den NS-Völkermord verstrickt gewesenen Vätern so generös umgingen.
Das ist kein guter Abgang, und der Streit um Schieder, Conze und Co. macht immer
deutlicher die Subtexte eines bislang vertuschten Generationenkonflikts unter
den bundesdeutschen Historikerinnen und Historikern sichtbar.
Die Stunde der Urenkel
Wenn Historiker miteinander über die Vergangenheit ihres eigenen Fachs
polemisieren, lassen sie nicht selten die handwerkliche Sorgfalt und den
abwägenden Habitus vermissen, der für die geschichtswissenschaftliche Analyse
sonst selbstverständlich ist. Diese Beobachtung gilt für die Kritiker und
Kritisierten gleichermaßen, und auch der gegenwärtige Disput zwischen den Söhnen
und Enkeln der Volkstumshistoriker macht da keine Ausnahme. Die Kritiker neigen
zu methodisch fragwürdigen Zitatcollagen und vorschnellen Verallgemeinerungen,
und die Angegriffenen machen sich mit Ausflüchten und Erklärungsversuchen, wie
sie sie in ihren Oberseminaren im Kontext anderer historischer Fragestellungen
niemals hatten durchgehen lassen, unglaubwürdig.
Deshalb schlägt jetzt die Stunde der Urenkel. Während sich die Alterskohorten
der Söhne (60 bis 70 Jahre) und der Enkel (von den Endvierzigern an aufwärts)
zanken, können die Doktoranden von heute Punkte sammeln, indem sie den
Streitfall in aller Ruhe nach den Regeln der kritischen historischen Analyse
bearbeiten. Sie haben in den letzten drei Jahren erstaunliche Arbeitsergebnisse
vorgelegt und unser Wissen über die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften und
ihre Publikationsstellen, die Landesstellen für Nachkriegsgeschichte, die
Kriegs- und Nachkriegskarrieren der SS-Historiker, die Ost-, West- und
Südostforschung sowie den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften erheblich
verbreitert. Nur selten ist eine Etappe der Historie derart schnell und
umfassend untersucht worden wie die Volkstumsgeschichtsschreibung des Dritten
Reichs.
In diesem Kontext nimmt die gerade bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienene Studie
von Ingo Haar eine Sonderstellung ein. Im Zentrum ihrer Analyse steht der
Aufstieg der Königsberger Troika und ihres Umfelds im Rahmen der historischen
Ostforschung. Damit leistet Haar einen entscheidenden Beitrag zur Klärung der
derzeit so heftig umstrittenen Frage, was die Conze- und Schieder-Generation zu
Beginn ihrer akademischen Karrieren veranlaßte, die Historie in eine kämpfende
Wissenschaft zu verwandeln und ausgerechnet der mörderischen Bevölkerungspolitik
der NS- Diktatur zuzuarbeiten. Bei seinen ausgedehnten Archivrecherchen förderte
Haar Tatsachen zutage, die unser bislang sehr fragmentarisches Wissen erheblich
erweitern.
Sein Buch ist jedoch weitaus mehr als ein Steinbruch. Haar hat den Weg seiner
Erkenntnisproduktion genau durchdacht und durch die Verschränkung von
Quellenevidenz und Methodik im Hinblick auf die Erforschung der Paradigmen und
Aktivitäten der nazistischen Volkstumshistoriker neue Maßstäbe gesetzt. Er löst
endlich ein, was für eine umfassende und ausgewogene Beurteilung des Problems
entscheidend ist: Er verortet die Königsberger Seilschaft mitsamt ihrem Umfeld
im wechselhaften Spannungsfeld von Wissenschaft und politischer Macht und
analysiert ihre wichtigsten Entwicklungsetappen. Erst in diesem Kontext können
die einzelnen Historikerbiographien handlungs- wie prozeßgeschichtlich
rekonstruiert und kritisch hinterfragt werden.
Die Lektüre ist aufregend. Aus Platzgründen kann ich nur einige Erkenntnisse
hervorheben, die in der bisherigen Forschung kaum thematisiert oder umstritten
waren. Als Teil der völkisch-intellektuellen Nachkriegsgeneration sozialisierte
sich die Königsberger Historikergruppe in akademischen Männerbünden, die eng mit
den Untergrund- und Propagandaorganisationen der Konservativen Revolution liiert
waren (Deutsch-Akademische Gildenschaft, S. 71 ff.). Ihre
volkswissenschaftlichen Paradigmen entnahm sie einer Theorieproduktion, die
völkisch-faschistische Vordenker einer restaurierten deutschen Vorherrschaft
über Mitteleuropa seit Beginn der zwanziger Jahre in Gang hielten - und dabei
nicht selten gegen die gemäßigte Revisionsstrategie ihrer behördlichen
Auftraggeber Front machten ( S. 25 ff., 37 ff. 50 ff.). Ihre Hinwendung zur
Ostforschung hing mit der Entscheidung der agrarischen Eliten und der
Präsidialkabinette zusammen, den Kampf gegen Versailles in ein Programm zur
Gewinnung von Lebensraum im Osten einzubinden, und infolgedessen agierten die
jungkonservativen Historiker beim Übergang von Papen zu Hitler als
elitär-akademische Variante der nationalen Erhebung (S. 87 ff.). 1934 schlug
schließlich ihre große Stunde, als Albert Brackmann und Hermann Aubin, die
Hauptakteure der Selbstgleichschaltung der deutschen Geschichtswissenschaft, die
Königsberger Nachwuchshistoriker in das Netzwerk einer kämpfenden
Geschichtswissenschaft einspannten. Aus diesem Arrangement der Großforschung
zogen alle Beteiligten große Vorteile. Im Geflecht der Nord- und Ostdeutschen
Forschungsgemeinschaft, der Publikationsstelle Dahlem und der Landesstellen für
Nachkriegsgeschichte waren die preußischen Nachwuchshistoriker an der
Operationalisierung des Volkstumsbegriffs genauso beteiligt wie an ersten
Feldforschungen in den polnischen Westprovinzen und den baltischen Staaten, in
denen sie Verfahren der bevölkerungsstatistischen Erfassung mit agrarpolitischen
Neuordnungsmodellen kombinierten und in ihre Habilitationsschriften einbrachten
(S. 225 ff., 251 ff.). Das Resultat war eine stufenweise vollzogene Integration
der Nachwuchshistoriker in die volkstumspolitische Praxis der NS- Diktatur, so
daß sie 1937 bei der institutionellen Indienstnahme für die bevorstehenden
Grenzrevisionen geräuschlos übernommen und auf feste Planstellen gesetzt werden
konnten.
Die Folgen waren absehbar, und Ingo Haar hat den sich seit dem Münchener
Abkommen und insbesondere dem Überfall auf Polen intensivierenden Beitrag der
Volkstumshistoriker zu den ost- und südosteuropäischen
Bevölkerungsverschiebungen detailliert nachgezeichnet. Schon seit 1936/37 waren
die jüdischen und zigeunerischen Bevölkerungsgruppen als nicht bodenständige
Rassen aus den Bevölkerungsplanungen herausgenommen und für die Deportation zur
Disposition gestellt. Ende September 1939 übergab die Publikationsstelle Dahlem
dem SD-Hauptamt, dem Auswärtigen Amt und dem Oberkommando der Wehrmacht eine
Aufstellung über die Zahl der Bevölkerung mosaischen Bekenntnisses in Polen (S.
323). Im Dezember 1939 nahm Theodor Schieder an den Archivraubzügen des
Sicherheitsdiensts der SS teil, bei denen unter anderem die Matrikel und
Mitgliederverzeichnisse der Synagogen konfisziert wurden (S. 342 f.). Im
November 1941 vereinnahmte die Publikationsstelle Dahlem die inzwischen
erarbeitete Deutsche Volksliste und avancierte zur zentralen Auskunftsbehörde in
allen Fragen der individuellen Sortierung für die Ziele der ethnischen
Flurbereinigung in Ost- und Südosteuropa (S. 350). Währenddessen erfaßten die
Landesstellen für Nachkriegsgeschichte die volksfremden Minderheiten der
annektierten Gebiete, wobei sie mit den Sortierungs- und Siebungsstäben der SS
eng zusammenarbeiteten. Im März 1942 bedankte sich der ostpreußische Gauleiter
Erich Koch bei Schieder für die selbstlose und erfolgreiche Tätigkeit seiner
Landesstelle, da nur mit seiner Hilfe die Neugestaltung des Regierungsbezirks
Bialystok so rasch umgesetzt werden konnte (S. 358). Ein paar Monate später
erhielt Schieder den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte am
Historischen Seminar der Universität Königsberg.
Selbstgerechter Habitus
Haars Befunde sind eindeutig. Zu Beginn ihrer akademischen Karrieren hatten die
späteren Galionsfiguren der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft mit
Forschungshypothesen gearbeitet, deren Denkfiguren den Aussonderungs- und
Neuordnungsvisionen der nazistischen Volkstumspolitik angehörten. Indem sie die
daraus hervorgegangenen handwerklichen Instrumente den Institutionen des
NS-Völkermords zur Verfügung stellten, hatten sie zu einer beispiellosen
Regression des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts
beigetragen. Selbst auf der handwerklichen Ebene hatten sie elementare
Grundsätze außer Kraft gesetzt und waren vor der Fälschung von
Bevölkerungskatastern und Kartenwerken nicht zurückgeschreckt, wofür die
Fernhaltung konkurrierender wissenschaftlicher Ansätze von den Archivquellen,
Kolloquien und Publikationsmöglichkeiten die selbstverständliche Voraussetzung
darstellte.
Für dieses niederschmetternde Fazit liefert Haars Buch Beleg um Beleg. Die
Zusammenfassung wird diesem Ergebnis jedoch nicht vollständig gerecht (S.
363-375). In ihr finden sich auch Feststellungen, die mit den Fragestellungen
des Buchs nichts zu tun haben, so etwa die Behauptung, die Historische
Sozialwissenschaft der siebziger Jahre hätte an den Forschungsprojekten der von
den Nazis in die Emigration getriebenen demokratischen Historiker (Eckart Kehr,
Georg Hallgarten, Hedwig Hintze und Hans Rosenberg) wieder angeknüpft. Das ist
nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Historischen Sozialwissenschaft
verdankt sich den Typenlehren, die sich Conze und Schieder in einem mehrjährigen
Transformationsprozeß vom radikal- imperialistischen Volkstum zur
gemäßigt-imperialistischen Machtstaatsrationalität Max Webers angeeignet hatten.
Diese geräuschlose Paradigmenverschiebung war von entscheidender Bedeutung, denn
erst jetzt konnte das in den dreißiger Jahren erlernte wissenschaftliche
Handwerk mit den neuen Geltungsansprüchen des bundesrepublikanischen politischen
Systems verknüpft werden.
Damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt. Ingo
Haar gehört einer nachgewachsenen Historikergeneration an, die erfolgreich
begonnen hat, die von uns Enkeln seit längerem geforderte Ausleuchtung der
Abgründe, die sich hinter den Gründervätern der BRD-Historie auftun, zu
bewerkstelligen. Dabei sollten wir sie auch weiterhin unterstützen und darauf
achten, daß sie sich, da ihnen ja noch das zweite Nadelöhr der akademischen
Karriere, die heiß ersehnte Habilitation, bevorsteht, nicht zu sehr verbiegen
müssen.
Im Clinch mit den jetzt von den Lehrstühlen abtretenden Söhnen sollten wir uns
dagegen zurücknehmen und den manchmal allzu selbstgerechten moralischen Habitus
im Umgang mit Wehler, Kocka, Schieder junior und den Mommsens mäßigen. Dafür
sprechen triftige Gründe.
Erstens. Die kritische Geschichtswissenschaft ist weder eine Hilfswissenschaft
für Staatsanwälte noch eine kämpfende Wissenschaft im Dienst einer
selbsternannten wie fragwürdigen political correctness. Selbst in dem hier zur
Diskussion stehenden Extremfall kann es inzwischen nur noch um kritische Analyse
gehen, nicht aber um moralische Verdikte, weil nämlich die mentalen,
fachimmanenten und institutionellen Barrieren einer uneingeschränkten
Aufarbeitung weggeräumt und damit die Legitimationsgrundlagen für die bisherige
Konfrontationsstrategie entfallen sind.
Zweitens. Wir sollten uns daran erinnern, daß wir den derzeitigen Konflikt mit
dem Bündnis der Lehrer und Schüler schon einmal durchlebt haben, nämlich vor
etwas mehr als 30 Jahren, und darauf bedacht sein, daß unsere eigene Geschichte
nicht zur Farce wird. Denn in den Jahren 1967 bis 1970 waren die Fronten
offener. Zwar hielt sich Schieder weiterhin bedeckt und war linken wie rechten
historischen Fragestellungen gleichermaßen zugänglich, wenn sie nur einigermaßen
durchdacht waren. Conze regierte dagegen zu dieser Zeit als Heidelberger Rektor
mit eiserner Faust gegen die new left im allgemeinen und ihre
historiographischen Bestrebungen im besonderen, und bekam dafür von meinen
SDS-Genossen zu recht eine preußische Pickelhaube übergestülpt. Es war aber
nicht die Schuld Conzes oder Schieders, daß die kaum begonnene Konfrontation mit
ihrer NS-Vergangenheit wieder abebbte, und daß sich ihre Assistenten wieder aus
den universitär-sicherheitspolizeilichen Krisenstäben zurückziehen konnten, in
denen sie ihre verehrten ordinarialen Karriereförderer gegen uns verteidigten:
Wir waren es selber, die 1970 das Terrain wechselten und den Hochschulen den
Rücken kehrten.
Imperiale Machtstaatshistorie
Drittens und letztens sollten wir einmal darüber nachdenken, was unsere Attacken
gegen die ungeliebten Honoratioren der Historischen Sozialwissenschaft im
Ensemble der derzeitigen Geschichtspolitik eigentlich bewirken. Schon nach einem
kurzen orientierenden Rundblick müssen wir feststellen, daß wir keineswegs die
einzigen sind, die gegenwärtig mit den Errungenschaften wie Defiziten der
einstmals so machtbewußten Bielefelder kurzen Prozeß machen. Eine
neudeutsch-imperiale Machtstaatshistorie feiert Urständ und nistet sich unter
der Regie der Herren Lothar Gall, Klaus Hildebrand, Horst Möller und Hans-Peter
Schwarz in den Deutschen Historischen Instituten ein, die seit einiger Zeit
weltweit wie Pilze aus dem Boden schießen. Ihr gesellt sich inzwischen eine
schicke neue Volkstumsgeschichte zur Seite, die sich, da vor allem von der
SPD/Grünen Regierung gefördert, hinter so humanitär klingenden Institutionen und
Programmen wie Europäisches Zentrum für Minderheitenfragen oder Europäische
Sprachencharta versteckt hält. Nur hin und wieder treiben die Wortführer dieser
zur Zeit noch getrennt marschierenden neudeutschen Geschichtspolitik die Sau in
aller Offenheit durchs Dorf und proklamieren gemeinsam ein neues
Volksgruppenrecht. Wer nicht weiß, was damit gemeint ist, kann das jetzt in
aller Ausführlichkeit bei Ingo Haar nachlesen (S. 309 f.).
Mit diesen Trends haben die abtretenden Conze-, Schieder- und Rothfels-Schüler
aber nichts mehr zu tun, und sie haben sich auch nicht an ihrer Hervorbringung
beteiligt. Deshalb sollten wir ihren wohlverdienten Ruhestand nicht länger
stören und das Terrain wechseln. Die neuen Machtstaats- und
Minderheitenhistoriker wundern sich ohnehin schon seit längerem darüber, daß und
warum sie so ungestört im Trüben fischen können.
Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Die deutsche
Geschichtswissenschaft und der "Volkstumskampf" im Osten
(Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Hg. Helmut Berding/Jürgen
Kocka/Peter Ullmann/Hans-Ulrich Wehler, Bd. 143), Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2000
Karl Heinz Roth ist Arzt und Historiker, Mitbegründer der Stiftung für
Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts und Redaktionsmitglied der Zeitschrift
1999. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der
Weltwirtschaftskrise, der Nazidiktatur und des Kalten Krieges.
haGalil onLine
22-12-2000
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