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In diesen Tagen hat der
Münchner Stadtrat endgültig entschieden, ein Jüdisches Museum zu
bauen: im Herzen der Landeshauptstadt, am St. Jakobsplatz, neben dem
neuen Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, das ebenfalls erst
gebaut werden muß.
Seit mehreren Jahren ist die
Diskussion um die "jüdische Zukunft" des Jakobsplatzes in Gange, das
Bestreben der Stadt, die Juden "wieder sichtbar in das Herz der
Stadt" zu holen, ein anerkennenswerter Gedanke, der jedoch im
Spannungsfeld der deutsch-jüdischen Beziehungen von verbalen und
konzeptionellen Entgleisungen begleitet war. In einer ersten
Überlegung sollte das Jüdische Museum eine Einheit mit dem
Gemeindezentrum bilden. Diese Idee war so abwegig, dass böse Zungen
bereits davon sprachen, dass man im Museum "tote Juden schauen
geht", um dann daneben die "lebendigen Juden zu beobachten".
Schnell wurde diese Idee über
Bord geworfen, das Museum soll nun architektonisch mit dem
Gemeindezentrum in einem Zusammenhang bleiben, aber eigenständig
stehen. Trotzdem: Die ursprüngliche Absicht ist typisch für die
Problematik Jüdischer Museen in der gesamten Republik. Denn was soll
ein Jüdisches Museum denn eigentlich sein?
Ein Kampf um die eigene
Unsichtbarkeit
Tatsache ist, dass Jüdische
Museen in Deutschland wenig mit Juden, aber viel mit der
Mehrheitsgesellschaft, ihren Vergangenheitsbewältigungsritualen,
ihren dumpfen, zum Teil unbewussten Schuldgefühlen, häufig auch mit
Vorurteilen zu tun haben. Die Leere, die die vernichteten jüdischen
Gemeinden in Städten und Dörfern hinterlassen haben, wurde erst
richtig Mitte der 80er Jahre wahrgenommen, als die jüdische Gemeinde
in Frankfurt die Uraufführung des antisemitischen Theaterstückes
"Der Müll, die Stadt und der Tod" von Fassbinder durch eine
Bühnenbesetzung verhinderte. Juden standen buchstäblich im
Rampenlicht der Republik und bezogen als Gemeinschaft erstmals in
der Geschichte Nachkriegsdeutschlands öffentlich Position.
Im Grunde kämpften sie auf
der Kammerspiel-Bühne um ihre Unsichtbarkeit: Sie wollten in Ruhe
gelassen werden, in Deutschland ohne große Probleme leben. Doch mit
der Bühnenbesetzung war ihre restaurative Ruhe vorbei. Durch ihre
Präsenz, die schlagartig ins deutsche Bewusstsein eindrang, wurde
das Fehlen derer, die nicht mehr da waren, offensichtlicher, die
kulturellen, die geistigen, vor allem geographischen "Leerstellen"
in den Städten wurden mit einem Mal präsent.
Es ist kein Zufall, dass
gerade in den 80er Jahren zum ersten Mal Jüdische Museen entstanden,
wie wir sie heute kennen. Diese mussten quasi die fehlenden Orte des
jüdischen Lebens von einst ersetzen. Indem man Museen baute, kehrten
die Opfer vermeintlich in ihre Heimat zurück. Mit dieser Vorstellung
jedoch rückten Jüdische Museen, egal mit welcher Thematik sich ihre
Ausstellungen auseinandersetzten, den Holocaust in das Zentrum der
Wahrnehmung zumeist nichtjüdischer Besucher. Jüdische Museen
errichten für ihr Publikum ein scheinbares jüdisches Zentrum,
simulieren jüdische Lebendigkeit.
Diese simulative "Rückkehr
der toten Juden" bewirkt, dass die Schuldfrage, die Scham, das
schlechte Gewissen nicht nur als diffuses Gebilde in Hinterköpfen
der Besucher vorhanden ist, sondern sich brutal zwischen Besucher
und Ausstellungsgegenstand schiebt. Dadurch, dass die meisten
jüdische Museen in Deutschland von Nichtjuden geleitet und
konzipiert werden, werden sie zu Orten eines kollektiven
Gedächtnisses, das sich gleichzeitig zu entschulden sucht, indem die
Erinnerungsarbeit zur erleichternden Identifizierung mit den Opfern
führt, also ein "Ausscheren" aus der Generationenfolge des
"Tätervolkes" vorgaukelt.
Ein weiteres kommt hinzu:
Durch den Bruch in der Geschichte der jüdischen Gemeinden hat die
Erinnerungsarbeit der Museen zumeist nichts mit der Geschichte der
Nachkriegsgemeinden zu tun. Nichts mit Geschichte und Identität der
ostjüdischen Displaced Persons, die in großer Mehrzahl das Bild der
Gemeinden nach 1945 prägten, nichts mit den sowjetischen Juden, die
inzwischen seit 1989 in das wiedervereinte Land strömen, auch nichts
mit der kleinen, nicht unbedeutenden Gruppe kommunistischer
deutscher Juden, die nach 1945 in die DDR gegangen waren. Insofern
blenden Jüdische Museen in Deutschland die "lebendigen" Juden aus.
Anders als in den USA, in
denen Jüdische Museen für Juden identitätsstiftende Wirkung haben:
Das ist in Deutschland undenkbar. In einem Amerika der cultural
minorities ist die Frage nach der eigenen Identität rahmensprengend,
die Problematik allen ethnischen Gruppen gemein und bekannt - somit
wird ein ethnisches Museum zugleich zu einer Auseinandersetzung mit
der Frage nach der amerikanischen Identität. Außerdem reflektieren
jüdische Museen in der Neuen Welt stets die aktuelle politische,
religiöse, kulturelle, intellektuelle Auseinandersetzung der
jüdischen Gemeinschaft. Selbst Holocaust-Museen erfüllen diese
Aufgabe und sind aus einer innerjüdischen Fragestellung entstanden
(im übrigen sind es in den USA Juden, die Jüdische Museen
organisieren).
Ein nicht unwesentlicher
Aspekt kommt in Deutschland hinzu: das Geld. Länder und Kommunen
errichten die Jüdische Museen und andere Orte der Erinnerung, nicht
die jüdischen Gemeinden. Oft wird von deutschen Politikern und
Beamten eine Querverbindung zwischen "Schuld" und "Schulden"
hergestellt, wie die Kunsthistorikerin Sabine Offe dies bereits
nachgewiesen hat: Je teurer jüdische Einrichtungen, desto weniger
dürfen lebendige Juden Ansprüche stellen, die ihr eigenes Leben als
jüdische Gemeinschaft betreffen. Der absurde Hinweis auf die
geleisteten Ausgaben für die - in Wahrheit: deutschen -
Erinnerungsstätten und Museen soll diese Juden zum Verstummen
bringen.
Diese Gemengelage führte in
der jüngsten Geschichte Jüdischer Museen zu eigenwilligsten
Kapriolen. So werden vor allem in Kleinstädten und Dörfern ehemalige
Synagogen für viel Geld restauriert, als "Museum" eingerichtet und
dienen dann als "Begegnungsstätte" - allerdings gibt es keine Juden
mehr vor Ort, die Deutschen müssen sich allein begegnen. Seit einem
Jahr gibt es ein Jüdisches Museum in Berlin - ohne Ausstellung. Eine
Absurdität, die bei keinem anderem Museum je von Verwaltung und
Öffentlichkeit akzeptiert worden wäre.
Karstadt auf dem
Synagogenplatz
Und nun also beschließt
München, ein jüdisches Museum zu bauen. Allerdings soll zugleich
der leere Platz der ehemaligen Hauptsynagoge, die von den
Nazis bereits im Juni 1938 abgerissen wurde, an Karstadt verkauft
werden, damit der Konzern ein sechsstöckiges Warenhaus darauf
errichten kann! Aus dem Erlös des Verkaufs soll der Bau des neuen
Gemeindezentrums finanziert werden. Jüdische Museen in Deutschland
sind keine Orte jüdischer Geschichte, jüdischen Lebens, jüdischen
Glaubens und Kultur, sondern Spiegelbilder der deutschen
Gesellschaft. Als solche haben sie ihren Stellenwert. Man sollte
viel mehr davon bauen.
Richard Chaim Schneider lebt
in München und Jerusalem; er ist Autor von Fernsehfilmen und
Büchern. Seine vierteilige ARD-Dokumentation "Wir
sind da! Juden in Deutschland
nach 1945" wird derzeit auf 3SAT wiederholt.
Im Tagesspiegel:
Was gehört in ein Jüdisches Museum?
haGalil onLine
20-03-2001
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