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Alltagszustand in Israel:
Gräben und Mauern in der Gesellschaft

Von Moshe Zimmermann und Pierre Heumann

Teil 3

Durch Israels Gesellschaft ziehen sich Gräben und Mauern. Sie besteht aus lauter Minderheiten, für die alle andern stets Feinde sind. Religiöser Fanatismus, ethnische Konflikte, politischer Extremismus und die historisch unterschiedlichen Einwanderungswellen nähren die verschiedenen Lagermentalitäten.

Alteingesessene versus neue Einwanderer

Die 15-jährige Schülerin Schirit Bar-Am, deren Familie seit drei Generationen in Israel lebt, will mit den jüdischen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion nichts zu tun haben. Eine Freundschaft mit einem "von denen" kann sie sich nicht vorstellen. Schirit ist nicht die Einzige mit dieser Einstellung. Zwei Drittel der israelischen Teenager verachten das Segment, das immerhin zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmacht. Das hat eine repräsentative Meinungsumfrage festgestellt.

In den neunziger Jahren sind eine Million Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in ihre neue Heimat Israel eingewandert. Doch heimisch geworden sind sie nicht. Die Mehrheit hat sich ökonomisch zwar gut integriert und wesentlich zum Hightech-Aufschwung Israels beigetragen. In der israelischen Gesellschaft sind die Russen aber ein Fremdkörper geblieben. Zahlreiche Vorurteile erschweren ihnen die Integration. Die Frauen seien Huren und die Männer Mafiosi oder Alkoholiker, erzählt man sich über sie.

Die israelische Gesellschaft zeigt kein Interesse für die Kultur der Neuen. Der Erfolg des russischen Gescher-Theaters in Tel Aviv ist lediglich die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Nicht bloss der Volksmund, sondern auch staatliche Institutionen grenzen die Russen als exotisch und minderwertig aus. Obwohl die Immigration der Russen offiziell begrüsst, gefördert und unterstützt wird, weil sie den zionistischen Traum von der Sammlung der Diaspora erfüllen hilft, und obwohl die ehemaligen Sowjetbürger gleich bei ihrer Ankunft die vollwertige Mitgliedschaft des Staates Israel erhalten, geraten viele in absurde, ja entwürdigende Situationen. Zivilrechtlich werden sie nicht als Juden anerkannt. Deshalb würde sich jeder Rabbiner weigern, diese neuen Einwanderer zu trauen oder sie auf einem jüdischen Friedhof zu beerdigen, selbst wenn sie als Soldat der israelischen Armee gefallen sind.

Die massive Immigration hat zu russischen Gettos in Israel geführt. Zum Teil in neu erstellten Barackensiedlungen weitab der Zentren. Dort schaffen die Russen die Welt neu, die sie hinter sich gelassen haben. Sie haben ihre eigenen Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie Buchhandlungen, führen ein kulturell-linguistisches Eigenleben. Abseits (und unbemerkt) vom Mainstream ist eine russische Subkultur entstanden. "Einige der kreativsten russischen Talente leben heute in Israel", sagt Anna Isakowa, Beraterin von Ehud Barak für Einwanderungsfragen, "und niemand in Israel hat je von ihnen gehört." Das Inseldasein stört viele Russen nicht. Sie halten die israelische Kultur im Vergleich zu ihrer eigenen für minderwertig.

Statt in der israelischen Gesellschaft aufzugehen, profilieren sie sich in der nationalen Politik mit eigenen Parteien, die sich um ihre spezifischen Bedürfnisse kümmern. Erstaunlich rasch haben sie in der Knesset Einzug gehalten und einflussreiche Ministerposten erlangt.

Die russischen Neu-Israelis können inzwischen den Ausgang von Wahlen entscheiden. Deshalb lassen sowohl Ehud Barak als auch Ariel Scharon ihre Kampagne auf Russisch übersetzen. Scharon hat gegenüber Barak einen Vorteil: Er kann Russisch sprechen.

Die meisten Russen unterstützen das nationalistische Lager. "Für uns Einwanderer sind drei Dinge wichtig", sagt Schimon Katznelson, der aus Kiew stammt. "Man soll sein Haus nicht aufgeben, man darf die Heimat nicht teilen und sein Gewissen nicht verraten." Aufgrund ihrer Erziehung in der ehemaligen Sowjetunion begreifen die Neu-Israelis nicht, dass Frieden Verzicht voraussetzt. Sie teilen die imperialistische Schule, die Kompromisse ablehnt. Die vielen Nicht-Juden unter den russischen Einwanderern wollen zudem durch ein besonders patriotisches und auch nationalistisches Verhalten beweisen, "vollwertige" Israelis zu sein, vermutet der Soziologe Oz Almog. Die alteingesessenen Israelis, behaupten die Russen, seien des Konflikts mit den Palästinensern müde. Aber sie hätten noch Energie und würden nicht nachgeben.

Aufgrund des Rückkehrgesetzes hat jeder, der jüdische Grosseltern hat, Anspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft. Nach jüdischem Religionsgesetz (Halacha) gilt hingegen nur derjenige als Jude, der eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übergetreten ist.

Palästinensische versus jüdische Israelis

Die palästinensische Journalistin Amal Schihada lebt eine paradoxe Situation. Sie besitzt einen israelischen Pass, wohnt und arbeitet in ihrer Geburtsstadt Nazareth und spricht perfekt Hebräisch. Doch als Israelin fühlt sie sich nicht. Sie sei Palästinenserin, sagt sie. Mit der israelischen Nationalhymne, die vom "freien (jüdischen) Volk im eigenen Land" schwärmt, kann sie sich als Araberin nicht identifizieren. Und dennoch denkt sie nicht im Traum ans Auswandern.

Fast jeder fünfte Bürger Israels ist ein Palästinenser. Formal ist die Minderheit den jüdischen Mitbürgern gleichgestellt; sie besitzt die israelische Staatsbürgerschaft, ist im Parlament vertreten und geniesst alle politischen Rechte. Doch von einer Koexistenz gleichrangiger Bürger kann keine Rede sein. Juden und Araber leben nicht miteinander, sondern nebeneinander, gleichsam in zwei Welten. Neunzig Prozent der israelischen Araber wohnen in Dörfern oder in kleinen Städten, abgetrennt von der jüdischen Bevölkerung. Nur acht Städte sind ethnisch durchmischt. Viele palästinen-sische Israelis fristen ein Dasein wie in einem Drittweltland. Dreissig Pro-zent der palästinensischen Bevölkerung leben in Armut, die Säuglingssterblichkeit ist zweimal höher als im jüdischen Sektor, und die Arbeits-losigkeit liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Die palästinensischen Israelis werden an die Peripherie der israelischen Gesellschaft gedrängt. Das zwingt sie, ihre palästinensische Identität zu betonen.

Trotz der systematischen Benachteiligung haben sich die palästinensischen Israelis stets loyal zum Staat verhalten - auch vor zehn Jahren, als die Palästinenser in den besetzten Gebieten das israelische Joch abschütteln wollten. Belohnt wurden sie für die Treue freilich nicht. Israel versteht sich als jüdischer Staat und benachteiligt andersartige Ethnien. Bis 1966 unterstanden die palästinensischen Dörfer und Städte der Militärverwaltung, und die jüdischen Institutionen schlossen arabische Bürger vom Aufbau des Staates aus.

Arabisch ist zwar eine offizielle Landessprache, aber sie symbolisiert die Kultur des Feindes. Die jüdischen Israelis begegnen ihren arabischen Mitbürgern mit Misstrauen, weil sie sich mit dem palästinensischen Unabhängigkeitskampf in den besetzten Gebieten identifizieren. Eine Mehrheit der jüdischen Israelis möchte ihre palästinensischen Mitbürger loswerden. Jeder dritte Jude in Israel befürwortet die Forderung, den israelischen Palästinensern das Stimmrecht zu entziehen.

Auch die Gerichte würden Araber diskriminieren, behauptet der Poet und Chefredaktor der populären palästinensischen Wochenzeitung "Kul al-Arab", Samih Al-Kasim. "Niemand gibt uns das Gefühl, dass das auch unser Staat ist", doppel Nazir Mjalli nach, der für die arabischsprachige Wochenzeitung "Al-Shark al Awsat" (Im Mittleren Osten) über Probleme der palästinensischen Minderheit in Israel schreibt. Die israelische Gesellschaft und der Staat bewegten sich rasch auf ein Apartheidsystem zu, warnt der palästinensische Knesset-Abgeordnete Azmi Bishara, der seit Jahren von einem Staat aller Bürger träumt, in dem nicht zwischen Juden und Nicht-Juden unterschieden wird.

Aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Polizei wollen die arabischen Israelis am 6. Februar die Wahlen boykottieren. Es sei ihnen gleichgültig, ob Ehud Barak oder Ariel Scharon gewählt wird - beide seien gleich schlimm. Doch die Stimmenthaltung falle ihnen nicht leicht, meint Al-Kasim: "Mit dem Rückzug aus dem politischen System geben wir den Kampf für den Frieden und für Gleichberechtigung auf." Und diese Freude, sagt er, dürften sie der Rechten eigentlich nicht machen. Anderseits nimmt er die Existenz des israelischen Regimes gelassen: "Die Wurzeln meiner Familie in Paläs-tina sind 900 Jahre alt. Ob das Land von Israelis, Briten oder Eseln regiert wird, ändert nichts an der Tatsache, dass es mein Land ist."

Linke versus Rechte

Die 31-jährige Moria Schlomot überlegt kurz und sagt entschlossen: "Nein, mit einem Mann, der nationalistisch denkt, möchte ich nicht befreundet sein, geschweige denn zusammenleben." Für die Generalsekretärin der Friedensbewegung Peace Now offenbart sich in der Einstellung zum Friedensprozess die Weltanschauung des Menschen. Wer die Besatzung unterstützt und die Unterdrückung eines anderen Volkes gutheisst, beweise rassistisches Denken, sagt die ehemalige Schauspielerin. Das habe über die Politik hinaus Konsequenzen.

Schlomot plädiert für Gleichberechtigung und versucht, den Nachbarn zu verstehen. Diese Denkweise kann in Israel Familien spalten und Freundschaften auseinander bringen. So besucht zum Beispiel ein überzeugter Anhänger des Friedens niemanden, der im besetzten Gebiet lebt, weil er der widerrechtlichen Aneignung des palästinensischen Bodens keine Legitimität geben will. Der Friedensbewegung ist ein kleines Israel, dasmit den Arabern in einem harmonischen Verhältnis steht, lieber als ein "Gross-Israel", das sich ständig im Kriegszustand befindet.

Bei den politischen Gegnern hat der jüngste Palästinenseraufstand freilich genau das Gegenteil bewirkt. Die Rechte fürchtet jetzt erst recht um Israels Existenz und will die besetzten Gebiete nicht aufgeben. Die Nachbarn sollen mit Gewalt beherrscht werden. "Lasst die Armee siegen", lautet einer der Likud-Slogans, mit denen Ariel Scharon seine Politik beschreibt.

Die Gegensätze zwischen links und rechts beschränken sich nicht auf die Diskussionen von Feldzugstrategien. Sie wirken sich auch auf das Verständnis für Israels Identität aus. Dem Friedenslager schwebt ein "normales" Land mit international anerkannten Grenzen vor. Das Inseldenken soll durch regionale Überlegungen abgelöst werden. Die Ideologen der Friedensbewegung werden von säkularen Pragmatikern unterstützt. Sie haben begriffen, dass sich eine Konsumgesellschaft keine andauernde Besatzung leisten kann. Nachdem die Israelis seit dem Beginn des Friedensprozesses relativ ruhige und sichere Jahre erlebt haben, sind sie nicht mehr bereit, den Preis für eine Neuauflage des Konflikts zu zahlen. Die Rechte hingegen glaubt nicht an Normalität, und sie will auch keinen "normalen" Staat. Sie wird dabei von national-religiösen Kreisen unterstützt. Fortschritte im Friedensprozess würden zu einer zunehmenden Säkularisierung der israelischen Gesellschaft führen, befürchten sie. Eine auf Konsum gedrillte Hightech-Gesellschaft kümmere sich nicht um die Anliegen der Religiösen und der Siedler.

Nicht nur ideologische Mauern erschweren die innerisraelische Verständigung über die Aussenpolitik. Der bereits fünf Jahrzehnte dauernde Ausnahmezustand des Landes hat bei vielen ein posttraumatisches Symptom ausgelöst, sagt der Tel Aviver Theaterautor Motti Lerner. Die Rechte hat die damit einhergehenden emotionalen Reaktionen so weit verinnerlicht, dass sie sich förmlich daran klammert. Die Linke hingegen will diesen kollektiven Schock überwinden. Dabei ist sie jedoch in der Minderheit, wenn man einer repräsentativen Meinungsumfrage der Universität Tel Aviv glauben darf, die im vergangenen Monat publiziert worden ist. Die Al-Aksa-Intifada habe die Chancen für einen Frieden reduziert, heisst es dort. Das Friedenslager wird künftig noch mehr Mühe haben als bisher, eine Mehrheit von der Richtigkeit seiner Politik zu überzeugen.

Pierre Heumann

Weltwoche, Ausgabe Nr. 5/01 vom 1.2.2001

Zu Teil 1, Zu Teil 2

haGalil onLine 16-03-2001

 

 

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