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Edwin Black
greift in seinem Buch "IBM und der Holocaust" zu Recht einen Weltkonzern
an, der mit den Nazis Geschäfte machte. Wissenschaftlich ist seine
Studie jedoch fragwürdig
von PETER STEINKAMP
Nein, ein Freund
des filigranen Psychogramms ist Edwin Black wirklich nicht. Das merkt
man schon, wenn er die Begründer des späteren Weltkonzerns IBM mehr
karikiert als charakterisiert: Der deutschstämmige Erfinder der
Lochkartenmaschine, Hermann Hollerith, ist für ihn ein deutscher
Sturkopf, der wegen unverständlicher persönlicher Prinzipien selbst
seine besten Kunden vergraulte. Auch privat sei er schrullig gewesen: Um
etwa das Revier seines Katers "Bismarck" zu verteidigen, zog er einen
Elektrodraht um sein Grundstück, "verband ihn mit einer Batterie und
wartete am Fenster". Tauchte eine Nachbarskatze auf, versetzt er ihr
einen Stromschlag.
Und wozu schreibt
Black das? Ganz einfach: Im Einleitungskapitel hat er ein düsteres
Stimmungsbild von Bergen-Belsen gezeichnet, Zäune überall auch hier.
Flugs kann die Verbindung zwischen dem Erfinder und dem
Konzentrationslager erkannt werden.
Oder der mächtige
Konzernleiter Thomas J. Watson: Bei Black der skrupelloseste aller
Skrupellosen im kapitalistischen Haifischbecken, der totalitäre Führer
aller seiner Angestellten und deren Familien, der schon die Dreijährigen
zu Funktionären im IBM-Freizeitclub macht. Warum tut Watson das? Wir
erfahren es nicht, eine Einbindung der Handelnden und ihres Tuns und
Denkens in ihre Zeit findet kaum statt. Die IBM-Pioniere werden von
Black auf wenige einfache Merkmale reduziert: starrköpfig,
machtbesessen, totalitär, verbittert, streitlustig.
Ja, Edwin Black, von
Haus aus Journalist und auch schon einmal für den Pulitzer-Preis
nominiert, beherrscht sein Handwerk. Er spitzt süffisant zu oder
brilliert in der Kunst der Gegenmontage: Den mit Dresdner Stollen
beschenkten Volkszählungsmitarbeitern stellt er etwa einen von der SA
misshandelten jüdischen Restaurantbesucher gegenüber. Black schreibt das
alles flott auf, wissenschaftlich überzeugen kann er jedoch nicht. Denn:
Black hat schlicht nach dem Prinzip der Internet-Suchmaschinen
gearbeitet. Bestimmte Begriffe (Hollerith, Watson, Zensus) hat er suchen
lassen und die Funde zusammengestellt. Deswegen nennt er in seiner
Bibliografie sogar Internet-Seiten, ja, selbst die Namen der besuchten
Bibliotheken führt er an.
Spannend wird Blacks
Buch hingegen, wenn er etwa die Volkszählung vom Juni 1933 schildert,
bei der auch die jeweilige Religionszugehörigkeit erfasst wurde. Auf der
Basis dieser Daten konnten später Menschen jüdischen Glaubens erheblich
leichter gefunden und in Lager verschleppt werden. Der Aufbau der
Dehomag (Deutsche Hollerith Maschinen-Gesellschaft) im Deutschen Reich
wird so beschrieben, dass man beim Lesen die Maschinen förmlich rattern
hört. Auch die letztlich erfolgreichen Bemühungen von IBM, sich
unmittelbar nach Kriegsende die deutsche Tochterfirma wirtschaftlich
wieder einzugliedern, liest man mit großem Interesse. Allerdings: Die
Analyse komplexer Zusammenhänge gelingt Black dabei kaum, im Gegenteil:
er gibt plakativen Aussagen allemal den Vorzug.
Zudem betrachtet er
die Geschichte vom Ende her, an dem 6 Millionen ermordete Juden stehen.
Auf diese Weise führt für Black jede Zusammenarbeit von IBM via die
deutsche Tochterfirma Dehomag mit dem NS-Regime zum unausweichlichen
nächsten Eskalationsschritt bei der Vernichtung der europäischen Juden.
So gesehen, stellte IBM von Anbeginn des Dritten Reiches bis zu seinem
Untergang ihre Technologie in den Dienst der Judenverfolgung und der
Unterwerfung Europas. IBM habe den deutschen Antisemitismus zwar nicht
erfunden, aber Lösungen für die Durchführung der antisemitischen Politik
angeboten - und insofern gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht: "Das
NS-Regime wollte die Juden namentlich identifizieren, und IBM zeigte
ihm, wie das ging. Züge mussten fahren, von Stadt zu Stadt und von einem
Konzentrationslager zum anderen, und IBM regelte auch das. Letzten Endes
bot IBM dem Dritten Reich, das bereit war, für geleistete Dienste zu
zahlen, für alles eine Lösung, und eine Lösung führte zur nächsten."
Diese einseitige Fokussierung ist grotesk und wurde von dem
amerikanischen Holocaustforscher Raul Hilberg treffend kommentiert: "Die
Nazis hätten das alles auch bloß mit Bleistift und Papier gemacht."
Hinzu kommt: Vieles
von dem, was Edwin Black über den Einsatz der Lochkartenmaschinen im
Dritten Reich berichtet, ist schon bekannt. Bereits 1984
veröffentlichten Götz Aly und Karl-Heinz Roth angesichts der damaligen
Diskussionen um die umstrittene Volkszählung in der BRD ein vorzügliches
Buch zum Thema, das letzten Sommer in verbesserter Neuauflage erschien:
"Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im
Nationalsozialismus" (Fischer Tb, 16,90 DM). In seinem Eifer, den
Weltkonzern als Unterstützer der Judenvernichtung anzuprangern,
übersieht Black auch fast völlig, dass neben den Hollerith-Maschinen
noch andere Lochkartensysteme in Deutschland verwendet wurden. So das
Siemens-Powers-System der Siemens-Tochterfirma Werner-Werke in Berlin.
Dieses System war den Hollerith-Maschinen sogar überlegen, weil es runde
statt eckige Stanzungen verwendete und damit weniger störanfällig war.
Zwar beschreibt
Black auch, wo Hollerith-Maschinen überall sonst zum Einsatz kamen,
drängt aber die zivile Verwendung, wie etwa in der Industrie, immer
weiter zugunsten der in den Konzentrationslagern zurück. Auch der
Einsatz der Maschinen bei der Wehrmacht, vor allem bei der Luftwaffe und
der Kriegsmarine, aber auch im Sanitätswesen, kommt angesichts dieser
Fokussierung zu kurz.
Befremdlich indes
mutet letztlich Blacks Arbeitsweise bei der Materialsammlung für sein
Buch an. Über hundert Mitarbeiter in verschiedenen Ländern will er
gewonnen haben, die - meist unentgeltlich, wie er ausdrücklich erwähnt -
für ihn die Archive durchforsteten, ohne überhaupt zu wissen, an welchem
Projekt ihr "Auftraggeber" arbeitete. Gewiss, die Geheimhaltung des
Buchprojektes bis zuletzt war motiviert durch Befürchtungen, IBM könnte
die Veröffentlichung zu stoppen versuchen. Nur: Sollte es ein
Sachbuchautor, dessen Buch von seiner Agentin erfolgreich und für nicht
unerhebliche Summen, wie man hört, in zahlreiche Länder vermittelt wurde
und seit Erscheinen heftigst beworben wird, wirklich nötig haben, sich
massenhaft unbezahlter "Mitarbeiter" zu bedienen?
So hinterlässt das
Buch einen zwiespältigen Eindruck, auch wenn Black, zu Recht, die
verwerfliche wirtschaftliche Zusammenarbeit eines internationelen
Konzerns mit NS-Deutschland angreift. IBM ist jedoch keineswegs die
einzige, unrühmliche Ausnahme. Auch US-Automobilkonzerne waren über
deutsche Tochterfirmen gut im Geschäft mit den Nazis - und haben zudem
zahlreiche Zwangsarbeiter beschäftigt.
Edwin Black:
"IBM
und der Holocaust.
Die Verstrickung des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis"
704 Seiten, Propyläen,
München/Berlin 2001.
59,90 DM
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20-03-2001
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