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Jüdische Weisheit
 
Mindestens vier Dialoge drängen:

 zwischen Religiösen und Freidenkern, 
 zwischen Kapitalisten und sozial Schwachen, 
 zwischen Orient und Okzident, 
 zwischen Israel und Diaspora

Klare Grenzen braucht Israels Identität

Abends setzen sich die Touristen ins Wohnzimmer ihrer palästinensischen Gastgeber und hören zu.

Von Abraham B. Jehoschua

Drei Jahre nach Ende der Shoa entstand der Staat Israel. Dieser zeitliche Zusammenhang von Katastrophe und Aufstieg beschäftigt mich nun schon an die fünfzig Jahre. Noch immer weiss ich keine eindeutige Antwort auf die bohrende Frage: Angenommen, die Shoa wäre nicht geschehen ­ hätte das jüdische Volk auch dann genug Wille und Kraft aufgebracht, den Staat Israel zu gründen? Und weiter: Wäre die internationale Staatengemeinschaft ohne die Shoa bereit gewesen, der kleinen jüdischen Bevölkerungsgruppe im Land Israel die Legitimation zur Errichtung eines unabhängigen Staates zu erteilen?

Diese Fragen bedrängen mich weniger in historischer Sicht als mit Blick auf die Zukunft. Ist die Shoa im genetischen Code des israelischen Staats festgeschrieben wie der Satz «no taxation without representation» im Erbgut der 1776 entstandenen Vereinigten Staaten? Sollte nämlich die Shoa, die 1945 zu Ende ging, tatsächlich Ursache und Rechtsgrundlage des nur drei Jahre später gegründeten israelischen Staats bilden, dann könnten die jüdischen Israelis womöglich unbewusst ständig eine Katastrophensituation durchspielen wollen, um sich ihrer eigenen Legitimation zu versichern. Und die Feinde des aus der Shoa geborenen jüdischen Staates könnten womöglich insgeheim hoffen, ihn durch eine neue Shoa auszulöschen.

Der Kausalzusammenhang zwischen Shoa und Staat 
lässt sich historisch und logisch widerlegen

Der strikte Kausalzusammenhang zwischen Shoa und Staat lässt sich historisch und logisch widerlegen. Die zionistische Bewegung hat fünfzig Jahre vor der Shoa die Arbeit aufgenommen, und ohne Shoa hätten weitere sechs Millionen Juden gelebt, und ein grosser Teil von ihnen wäre in den jungen Staat gelangt. Weil die Shoa dieses enorme Potential zerstört hat, hat sie auch keineswegs zur Gründung des jüdischen Staates beigetragen; vielmehr hätte sie dessen Entstehen beinahe vereitelt.

Trotzdem lässt einen der bohrende Verdacht nicht los, dass sich die Juden ohne den furchtbaren Genozid wohl kaum der Notwendigkeit bewusst geworden wären, ihre Lage zu normalisieren. Ohne die Shoa wäre der Rückstrom der Juden in ihre Urheimat womöglich weiterhin so langsam und zögerlich verlaufen wie zuvor. Und die Diasporajuden, etwa in Amerika, hätten dem Gedanken jüdischer Selbstverwaltung vielleicht dieselbe skeptische Zurückhaltung entgegengebracht wie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts.

Ich habe, wie gesagt, keine eindeutige Antwort auf diese wichtige Frage. Ich bin auch nicht sicher, dass jemand mich mit einer eindeutigen Meinung überzeugen könnte. Doch angesichts des ungeheuren Traumas bei der Entstehung des Staates Israel wird verständlich, dass schon in den fünfziger und sechziger Jahren ­ trotz der gigantischen Einwanderungswellen, die Israel in kürzester Zeit enorm veränderten ­ die ersten Grundfesten der israelischen Identität gelegt wurden, die in den letzten Jahren zunehmend Risse und Gegensätze ausbildet und einen verblüffenden kulturellen Pluralismus erlebt.

Israel hat es fertiggebracht totz aller Krisen Demokratie, Gedankenautausch und Rechtsstaatlichkeit zu wahren

Man kann vieles im Staat kritisieren, aber eins steht fest: Die israelische Identität hat es fertiggebracht, relative Harmonie zu schaffen, zahlreiche Krisensituationen durchzustehen und dabei Demokratie, Gedankenautausch und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Trotz der scharfen Auseinandersetzungen, trotz abgrundtiefer Unterschiede im Lebensgefühl der Juden verschiedener kultureller Herkunft und Mentalität und trotz des krassen Konflikts zwischen religiöser und säkularer Identität sind in den vergangenen fünfzig Jahren nur drei Juden aus ideologischen Gründen von Juden umgebracht worden (Yitzhak Rabin war der dritte).

Wenn man bedenkt, dass die Juden in ihrer jahrhundertelangen Diasporaexistenz nirgendwo Erfahrungen mit vollständiger jüdischer Selbstverwaltung sammeln, sondern höchstens freiwillige Gemeindeverbände bilden konnten, erbringt das erstaunlich gute Funktionieren des jungen Staats in den letzten fünfzig Jahren den Beweis für die einigende Kraft der israelischen Identität.
Richtig, Israels Feinde haben viel dazu beigetragen, diese Identität zu festigen. Kein Wunder also, dass vielen Israelis, auch wenn sie sich dessen nicht immer bewusst sind, die Urangst im Nacken sitzt, jeder Friedenszustand könnte der israelischen Gesellschaft das verlässlichste einigende Band nehmen und damit bestehende Gegensätze aufdecken und vertiefen.

Die israelische Identität wird auch stark genug sein
den «Friedensschock» abzufangen

Hierzu möchte ich gleich eines unmissverständlich feststellen: Obwohl ich mir der Risse und Klüfte, die zu Friedenszeiten in der israelischen Identität aufbrechen werden, bewusst bin, habe ich keine Angst vor dem Frieden ­ nicht nur, weil ein weiterer Krieg im Nahen Osten angesichts der Art und Menge neuer Waffen in der Gegend grauenhafter als alle vorherigen ausfallen könnte, sondern auch, weil ich die israelische Identität bereits für tragfähig genug halte, den «Friedensschock» abzufangen.

Zwar besteht im jüdischen Volk tatsächlich eine äusserst schwierige, fast schon struktureigene oder angeborene Spannung zwischen den Polen Religion und Nation. Denn eine Religion, und erst recht eine so streng monotheistische wie das Judentum, kann nicht an den Grenzen der Nation haltmachen, und die nationale Zugehörigkeit kann nicht von einem wie auch immer gearteten religiösen Glauben abhängen. Deshalb reicht die Spannung zwischen Religion und Nation bis in die historischen Ursprünge des jüdischen Volkes zurück und wird bis zum letzten Augenblick seiner Existenz fortbestehen.

Daraus erklärt sich übrigens auch, dass die überwältigende Mehrheit der religiösen Judenheit, der bis zum ausgehenden 19.Jahrhundert der Grossteil des jüdischen Volks angehörte, vehement dem Zionismus entgegentrat, der allein von weltlich denkenden Kreisen getragen wurde. Die Religiösen fürchteten, eine Rückkehr in die Heimat werde die nationalen Elemente der jüdischen Identität ­ Territorium, Sprache und Gemeinleben ­ erheblich stärken und die religiösen Elemente entsprechend in den Hintergrund drängen. Der bemerkenswerte Einflusszuwachs der religiösen Parteien in den letzten Jahren beruht auf ihrem Geschick, den ideologischen Streit innerhalb des säkularen Bevölkerungsteils zu nutzen, dem immer noch die grosse Mehrzahl der Israelis angehört. Daher laufen die religiösen Kräfte zumeist gegen jeglichen Friedensvertrag Sturm, denn sie wissen sehr wohl, dass sie bei einem erfolgreichen Abschluss an politischem Einfluss verlieren würden.

Folgendes nun sollte die frei und demokratisch denkende Mehrheit der Israelis schleunigst tun: sich von den Palästinensern abtrennen, eine endgültige Staatsgrenze ziehen, um endlich einmal zu sehen, wo der Staat Israel anfängt und aufhört, wer und was dazugehört und wer und was nicht. Da die Juden in den letzten zweitausend Jahren ihrer Geschichte immer wieder Grenzen überschritten haben, fällt es ihnen schwer, sich endgültige Grenzen zu setzen. Doch genau das ist Sinn und Ziel des Zionismus. Denn nur die Grenzen territorialer Souveränität werden auch die Grenzen der israelischen Identität bestimmen, in deren Bereich man endlich mehr um Wesen und Inhalt dieser Identität ringen kann.

Voraussetzung ist also die psychologische und praktische Bereitschaft, Grenzen zu ziehen und die Verantwortung für alle darin Befindlichen, Juden wie Nichtjuden, zu übernehmen. Dem folgt die Einleitung neuer Dialoge zwischen verschiedenen Gruppen. Im Land, und zwar nicht mehr entlang der alten Gefechtslinien zwischen Linken und Rechten oder, richtiger: Falken und Tauben, in dem lähmenden Streit über Gross-Israel, der in den letzten dreissig Jahren alle anderen Debatten übertönt hat.

Was sind die Themen der neuen Dialoge, die alsbald in Israel einsetzen müssen und zu denen auch Diasporajuden eingeladen werden sollten, die bereit sind, ihre alten Einstellungen neu zu überdenken? Ich sehe mindestens vier dringende Dialoge, die geführt werden müssten, sobald die beiden grossen Parteien den Friedensprozess mit den Palästinensern erfolgreich zu Ende geführt haben.

Jüdische Verantwortung

Der erste Dialog betrifft die vereinte Anstrengung, die Begriffe «neue Juden» und «alte Juden», die bisher als Schlüsselworte im Streit zwischen Religiösen und Freidenkern oder zwischen Traditionalisten und westlich Orientierten gedient haben, durch den richtigeren Begriff «ganze Juden» zu ersetzen. Religiöse wie traditionell eingestellte Juden werden künftig ihren Separatismus aufgeben und sich stärker an der Gestaltung des israelischen Lebens beteiligen müssen.
Die Freidenker jedoch sind entschieden aufgefordert, ihre Identität und Kultur mehr mit Elementen der jüdischen Geschichte und Geistesgeschichte anzureichern ­ nicht etwa als reuig zum Glauben Bekehrte, sondern kritisch auswählend im Rahmen von Studium und Künsten. Was ist der Israeli denn schliesslich anderes als ein ganzer Jude, der Selbstverantwortung für alle Elemente seines Lebens übernimmt?

Soziale Solidarität

Beim zweiten Dialog geht es um die konzentrierte Anstrengung, den ungezügelten, an den schlimmsten amerikanischen Vorbildern orientierten Kapitalismus zu bremsen, der in Israel grassiert und in der israelischen Gesellschaft ein stärkeres ökonomisches Gefälle verursacht hat, als es die europäischen Staaten gemeinhin aufweisen. Soziale Solidarität ist in den letzten Jahren völlig vernachlässigt oder allein der palästinensischen Sache gewidmet worden. Die Zeit fordert dringend ein politisches Bündnis mit den Schwachen, den traditionell treuen Wählern der Rechten.

Orient und Okzident

Ein dritter Dialog muss zwischen Orient und Okzident entstehen, zum einen innerhalb Israels, zwischen orientalischen und westlichen Juden, und zum andern zwischen Israel und der arabischen Umwelt, besonders mit Palästinensern und Jordaniern. Ein Teil der orientalischen Juden, vor allem die traditionsgebundenen unter ihnen, neigen dazu, sich in eigenen kulturellen Nischen zu verschanzen, da sie sich von der offiziellen Kultur abgewiesen und als rein folkloristische Erscheinung missverstanden fühlen. Gerade westlich orientierte Juden müssen ihr Herz dem Orient öffnen und sich bemühen, ihrer Identität und Kultur ein paar gute authentische orientalische Merkmale einzugliedern.

Israels Fähigkeit, echte Beziehungen zu totalitären Staaten wie dem Irak, Saudiarabien, Syrien oder den Golfstaaten zu entwickeln, wird eher begrenzt bleiben. Dagegen könnte durchaus Vertrauen und Zusammenarbeit mit dem engeren Kreis, nämlich den Palästinensern und Jordaniern, entstehen, die durch ihr Zusammenleben mit Israel über die letzten dreissig Jahre den geographischen und sprachlichen Schlüsselbegriffen der Juden erheblich nähergekommen sind.
Ein kühner «Marshallplan» Israels unter internationaler Beteiligung könnte Wunder wirken zur Errichtung einer festen Kerngemeinschaft von «Isfalur-Staaten» (Israel ­ Falestin ­ Urdun, d.h. Israel ­ Palästina ­ Jordanien), die als widerstandsfähige Basis allen eventuellen künftigen Erschütterungen trotzen könnte.

Hebräisch für die Juden der Welt

Der vierte Dialog ist jener zwischen Israel und der Diaspora. Er wird sich nicht mehr hauptsächlich um Geldspenden und politische Unterstützung seitens der Diasporajuden drehen, sondern vor allem zwei neue Elemente berühren: Erstens sollte das Hebräische künftig zur gemeinsamen (Zweit-)Sprache der Juden gemacht werden, um das kulturelle und geistige Band der Diasporajuden zu Israel zu stärken; und sie durch intimere Kenntnis und Mitarbeit intensiver am israelischen Leben zu beteiligen.

Und zweitens sollte ein von Israelis und Diasporajuden gemeinsam betriebenes Projekt ins Leben gerufen werden, das in intensiverer praktischer Erfüllung des Gebots, «ein Licht für die Völker» zu sein, ein am amerikanischen Peace Corps orientiertes Unterrichtswerk von Lehrern aller Fachrichtungen ins Leben ruft ­ mit dem Ziel, den allgemeinen und technologischen Bildungsstand von Schülern und Studenten in der Dritten Welt beziehungsweise auf der Südhalbkugel zu heben: Regionen, die meines Erachtens das brennendste und gefährlichste Problem auf der internationalen Tagesordnung des kommenden Jahrhunderts stellen werden.

Auf einer der Anzeigen, die anlässlich der Fünfzigjahrfeiern in der Presse erscheinen, findet sich die Überschrift: «Israel im fünfzigsten Jahr ­ der einundfünfzigste Staat der USA». Sollte das, G'tt behüte, die Richtung der nächsten fünfzig Jahre sein, dürfte Israel sein hundertstes Staatsjubiläum kaum mehr erleben. Ein Israel, das zum einundfünfzigsten Staat der Vereinigten Staaten mutierte, würde nicht nur von seinen Nachbarn aus der Gegend vertrieben werden, sondern auch seine Eigenart, seine Legitimation und seinen jüdischen Charakter einbüssen.

Das amerikanische Volk, das gewiss keinen so problematischen Wurmfortsatz, Tausende von Kilometern entfernt, haben möchte, dem man dauernd zur Verteidigung gegen seine Feinde beispringen muss, sollte gerade jetzt, nach Beilegung der neusten Golfkrise, dafür sorgen, dass der Friedensprozess, der ja schon zu achtzig Prozent hinter uns liegt, endlich seinen guten Abschluss findet, damit Israel zum glücklichen Freund seiner Nachbarn und nicht zum ärgerlichen, problematischen und isolierten Anverwandten wird.

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama

Richtig, der Artikel ist nicht neu, aber - wie Sie bestätigen werden, noch immer aktuell: Weltwoche Nr. 18/98, 30.4.1998

A.B.Jehoshua (RealAudio)

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haGalil onLine 20-03-2001

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