Es folgt die
Übersetzung eines Interviews mit Marwan Barghouthi, Chef der
Tansim-Milizen und Generalsekretär der Fatah im Westjordanland, mit
der Jerusalem Times. Das Gespräch wurde von Kamal Qabisi geführt und
ist in der Ausgabe Nr.371 am 16/03/01 erschienen.
Der Stil ist
eher trocken und spröde – wie man es auch nicht anders von
redaktionell überarbeiteten Antworten auf im Voraus abgesprochene
Fragen erwarten kann. Trotzdem – oder vielmehr deshalb - handelt es
sich bei diesem Gespräch um eine ausgereifte Kostprobe vom
Doppelsprech, wie z.B. bei der Schilderung des Einsatzes von Steinen
und Feuerwaffen als legitime Form des Protests bei gleichzeitiger
stolzer Erwähnung der Anzahl von Toten und Verletzten. Hier die
Übersetzung:
Nachdem Marwan
Barghouthi 1994 aus Tunesien in das Westjordanland zurückkehrte,
wurde er zum Generalsekretär der Fatah im Westjordanland gewählt.
Zwei Jahre später wurde er zum Mitglied der palästinensischen
Legislative gewählt. Nachdem er an den palästinensisch-israelischen
Friedensverhandlungen beteiligt war, fand er sich plötzlich am
Steuer der Intifada der Steine.
F: Wie
transportieren Sie die Steine?
A: Normalerweise benutzen wir Lastwagen oder Schubkarren, aber es
ist egal wie oder was wir tun weil es nicht das Ziel ist, Leute mit
den Steinen zu verletzen. Steinwerfen ist ein Ausdruck der
Ablehnung.
F: Wohl wahr,
aber die (Israelis) versuchen euch mit Gummi- und
Metallmantelgeschossen zu verletzen.
A: Sie haben nicht das Tränengas erwähnt. Das Ziel ist trotzdem der
Ausdruck (der Ablehnung).
F: Warum werden
keine Katapulte eingesetzt?
A: Die wären schwer auf dem Schlachtfeld einzusetzen, weil unser
Kampfstil die Hit-and-Run-Methode ist, Katapulte sind dafür zu
schwer.
F: Müsste sich
nicht die Methode des Ausdrucks vom Steinewerfen zum Einsatz von
Schusswaffen weiterentwickeln?
A: Bewaffneter Widerstand in nun ein Teil der Intifada. Seit Beginn
der Intifada wurden 66 Israelis getötet und 614 verletzt, dies sind
gute Ergebnisse.
F: Es wurde
gesagt, dass die Intifada in der Amtsperiode des isr. Premiers Ariel
Sharon ausgeweitet werden wird und dass sich die Ergebnisse
verbessern werden.
A: Wir werden versuchen Sharon in der Sicherheitsfrage zu brechen.
F: Was hat den
größten Einfluss auf Sie während der Intifada gehabt?
A: Der Anblick von Märtyrern, die ich in Krankenhäusern oder während
ihrer Begräbnisse gesehen habe, erinnert mich an die Besatzung und
ihre Bedeutung: Blutvergießen, Mord, Entfremdung und Leid. Diese
Dinge werde ich niemals vergessen. Und da gibt es noch etwas, was
mir Schmerzen zufügt. Ich dachte früher, dass Araber freundlicher zu
den Palästinensern sein würden. Wir erfahren zwar Unterstützung
durch arabische Öffentlichkeit und Medien, wir verstehen aber nicht,
warum arabische Führer und Amtsträger stumm bleiben und zulassen,
dass ein Krimineller wie Sharon uns unterdrückt.
F: Rufen Sie die
arabische Öffentlichkeit zur Revolte auf?
A: Ich habe es bereits gesagt und ich wiederhole es: die Intifada
überschreitet Grenzen. Ich rufe zu humanen Aktionen der
Unterstützung gegen Sharon auf.
F: Wie lange
wird die Intifada andauern?
A: Die Intifada wird bis zur Befreiung des Landes und der Ausrufung
des palästinensischen Staates andauern.
F: Wann wird das
Ihrer Meinung nach geschehen?
A: Der Staat wird in den nächsten drei Jahren ausgerufen werden.
F: Was für ein
Staat wird das sein?
A: Die Palästinenser kämpfen nicht für einen tyrannischen Staat. Ich
glaube, dass der Staat demokratisch sein wird.
F: Vor drei
Monaten gab ein israelischer Journalist an, eine palästinensische
Quelle habe ihm gesagt, dass Präsident Arafat Ihnen befohlen habe,
jede Anordnung zur Eingrenzung oder Beendigung der Intifada zu
ignorieren. Ist das wahr?
A: Nein, dies ist nicht wahr. So etwas ist niemals geschehen.
F: Falls
Präsident Arafat zur Beendigung der Intifada aufrufen sollte, was
wäre Ihre Reaktion?
A: Arafat würde so etwas niemals tun, weil die Beendigung der
Intifada eine Katastrophe für das palästinensische Volk wäre und er
würde einfach niemals einen Befehl erteilen, der den Palästinensern
Schaden zufügt. Aber der Schlüssel zur Intifada befindet sich
sowieso nicht in meinen Händen.
F: Wo liegt der
Schlüssel?
A: Er liegt in der palästinensischen Öffentlichkeit und nebenbei,
die Intifada war ein Segen für Präsident Arafat.
F: Wenn die
Intifada ein Segen ist, warum hat sie nicht viel früher angefangen?
A: Die Intifada ist anders als ein Krieg, der durch einen einzigen
Befehl begonnen werden kann. Die Intifada ist das Ergebnis von
zufällig reflektierten Gefühlen. Niemand kann die Entscheidung
treffen sie zu beginnen oder zu beenden.
F: Nehmen Ihre
Kinder an der Intifada teil?
A: Mein ältester Sohn, Qassam, ein 15jähriger Junge nimmt teil und
wurde bereits drei oder viermal von Gummigeschossen getroffen.
F: Und die
anderen?
A: Meine Tochter Ruba ist nur 13 Jahre alt und die beiden anderen
Jungen sind elf und zehn. Vor drei Monaten hat die Königin von
Schweden die Palästinenser kritisiert weil sie ihre Kinder durch das
Werfen von Steinen in Gefahr bringen. Ihre Anschuldigungen zeugen
von Ignoranz gegenüber der arabischen Gesellschaft im Allgemeinen
und der palästinensischen Gesellschaft im besonderen. Wir haben den
Befehl gegeben Kinder, die jünger als 16 Jahre sind, vom
Schlachtfeld zu entfernen aber die Intifada ist weit verbreitet und
wir verlieren ab und zu die Kontrolle.
F: Sie nannten
ihren Erstgeborenen nach Izzidin Qassam (islamischer Kämpfer gegen
die Briten von 1936-1939, Stammvater der Hamas – d. Verf.)?
A: Ja.
F: Gibt es eine
Hisbollah-Einheit in den Reihen der Fatah?
A: Wir arbeiten im allgemeinen mit der Hisbollah zusammen, aber ich
weiß nicht ob sie eine eigene Einheit haben.
F: Nimmt Ihre
Frau Fadia (an den Ausschreitungen) teil?
A: Sie ist Rechtsanwältin, Mutter und Hausfrau. Das ist genug um sie
zu beschäftigen.
F: Sie sind ein
Mitglied der palästinensischen Legislative und erhalten ein Gehalt
von 2000$ im Monat. Man sagt, dass die Legislative jedem Mitglied
einen 1997er Audi zur Verfügung stellt. Heißt das, dass Sie Geld
ansparen können, insbesondere da Ihre Frau arbeitet? Und nebenbei,
wie viel verdient Ihre Frau und hat sie ein Auto?
A: Meine Frau verdient 2000$ im Monat und fährt einen 1996er VW
Golf, aber sie hat erst vor einem Jahr angefangen zu arbeiten.
F: Ein
gemeinsames Einkommen von 4000$ im Gebiet der Palästinensischen
Autonomiebehörde, wo die Preise niedrig sind, bedeutet, dass Sie
sparen können, oder?
A: Im Gegenteil, die Preise sind sehr hoch, weil wir die meisten
Konsumprodukte aus Israel beziehen.
F: Wie viel Geld
geben Sie persönlich aus?
A: Ich gebe, abgesehen von den Benzinkosten – beinahe 600$ im Monat
– nicht sehr viel aus. Den Rest meines Gehaltes gebe ich meiner
Frau, sie kümmert sich um die Ausgaben für den Haushalt.
F: Fürchten Ihre
Brüder und Kinder nicht die Konsequenzen der Intifada? Bitten sie
Sie nicht ihre Lebensweise aufzugeben?
A: Meine Mutter ist stark und stur, sie ermutigt mich. Die Kinder
sind zu jung, aber mein Bruder macht sich Sorgen.
F: Sie wissen
doch, dass die Israelis hinter Ihnen her sind.
A: Ich weiß es und treffe alle notwendigen Vorkehrungen.
QUELLE -
NEWSLETTER / Urs Pollatschek
Quellen sind die israelischen und Übersetzungen aus den arabischen
Massenmedien. Mein Ziel ist es, abgesehen von möglichst genauen
Nachrichten der laufenden Ereignisse, Hintergrundinformationen zu
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zugänglich sind.
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20-03-2001
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