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SZ vom 07.02.2001 Feuilleton

"Das kann ich nicht getan haben, 
sagt mein Stolz
"

Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung: 
Warum kein Einzelner und kein  Staat seiner Vergangenheit entkommt

Von Avi Primor

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Zum Inhalt des Begriffs "Erinnerung" gibt es viele Auslegungen und Traditionen. Es gibt diejenigen, für die Erinnerung ein Ritual ist, um nicht wirklich nachdenken und sich erinnern zu müssen. Es gibt diejenigen, die sich sogar vor der Erinnerung scheuen, besonders wenn es um unangenehme Erinnerungen geht, sie als Moralkeule betrachten, und eher wegschauen wollen. Und es gibt Leute, die schlicht und einfach nichts wissen wollen. Warum sollte man seinen Alltag ständig mit Bedenken belasten, die mit einem persönlich gar nichts zu tun haben? 

Diese Leute wurden einmal von einem französischen Dichter als "BMD" bezeichnet, und diese Abkürzung stand in der französischen Umgangssprache für Arbeit, U-Bahn, Schlafen: sie beschrieb den Menschen, der jeden Morgen die selbe U-Bahnlinie zur Arbeit nimmt, am Abend mit der gleichen Linie nach Hause zurückkehrt, der an Essen und Schlafen denkt und an sonst nichts weiter, etwa ein moderner Papageno. Das ist sehr bequem.

So leben die Lämmer, die ihr Leben an der Schlachtbank beenden. So lebte ein Teil, allzu großer Teil der deutschen Bevölkerung zur Zeit der Weimarer Republik. In den 20er Jahren hatte die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht für die Nazipartei gestimmt, die Ideen der Nazipartei nicht unbedingt unterstützt. Und dennoch hat sich die Nazipartei schrittweise entwickelt. Und dennoch konnten die Nazis, nachdem sie an die Macht gekommen waren, die anderen Parteien verbieten, die Menschenrechte aufheben - abgesehen von den der Menschheit bis dahin unbekannten furchtbarsten Verbrechen, die sie nach und nach verübten. All dies geschah mit allmählich wachsender Begeisterung der Mehrheit der Bevölkerung. Nicht lange, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, erzählte man in England den folgenden Witz über Hitler: Jemand fragte, und zwar wurde man gefragt, wer der größte Bauer der Welt sei. Die Antwort war - Hitler. Er hat 80 Millionen Rindviecher und einen riesigen Saustall. Auf dieses Bild Deutschlands bezieht sich wahrscheinlich auch Goldhagen, wenn er das deutsche Volk als "Hitlers willige Vollstrecker" bezeichnet.

Waren also die Werte und Kriterien der Weimarer Republik, deren Verfassung und Gremien die einer echten westlichen parlamentarischen Demokratie gewesen sind, so schnell vergessen? Wo waren die Leute, die Anfang der 20er und 30er Jahre in der Mehrheit für demokratische Parteien gestimmt hatten?

In den siebziger Jahren arbeitete ich als Gesandter und Sprecher der israelischen Botschaft in Paris. In der Zeit nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 geriet Israel zunehmend unter Druck. Das waren die Zeiten des Ölembargos, Zeiten in denen unsere arabischen Gegner die Macht hatten – zumindest sah es damals so aus –, die Welt einzuschüchtern. Die Propaganda gegen Israel lief auf Hochtouren und erreichte ihren Höhepunkt 1975 mit dem Beschluss der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Zionistische Bewegung als rassistische Bewegung zu verurteilen. In diesen Jahren bestand der Schwerpunkt der palästinensischen Propaganda gegen Israel in der Beschuldigung, Israel verübe in seinem Krieg gegen die Palästinenser systematische Folter.

Für mich bestand nicht der geringste Zweifel, dass dies reine Propaganda war. Darum hatte ich keine Hemmungen, die Beschuldigungen zurückzuweisen. Ich wiederholte mit Überzeugung die offizielle israelische Version der Sachlage, die behauptete, dass die Palästinenser die Opfer eines jeden Unglücks wie etwa eines Autounfalls als gefolterte Freiheitskämpfer darstellten. Eines Tages erhielt ich einen Brief von dem Chefredakteur der einflussreichen, linken französischen Wochenzeitung Le Nouvel Observateur, dem namhaften Jean Daniel. Seine scharfe Kritik gegenüber der israelischen Politik war bekannt und für uns sehr schmerzhaft. Dennoch überraschte mich sein Brief außergewöhnlich.

Er schrieb, er füge einen Artikel von seinem Korrespondenten in Israel bei, in dem eine regelrechte Attacke gegen Israel in Bezug auf Folter geführt werde. Er schrieb, der Artikel sei derartig gravierend, dass er meine Reaktion hören wollte, bevor er ihn drucken lasse. Warum sollte der Chefredakteur einer großen Zeitschrift, die auf ihre Unabhängigkeit besonders stolz ist, einen Ausländer, gar einen offiziellen Vertreter einer ausländischen "Propagandaabteilung" um seine Meinung bitten, bevor er einen Artikel seines höchst vertrauten Korrespondenten drucken lässt? Mir schien das überraschend freundlich, war ich doch davon überzeugt, die "Verleumdungen" des Artikels problemlos dementieren zu können. Da ich die palästinensische Propaganda kannte, erwartete ich eine Wiederholung der bekannten Argumente.

Als ich aber den Artikel las, war ich verblüfft. Der Artikel enthielt keine Beschimpfungen und keine Propaganda. Es war ein trockener Beitrag, der Form und Inhalt nach nüchterne Tatsachen darstellte. Er begann mit einem Namen: Herr X, an einem bestimmten Datum in einem bestimmten Ort geboren, wohnhaft in Y, wurde an einem genannten Tag von den israelischen Sicherheitsbehörden verhaftet, saß in diesem und jenem Gefängnis, wurde auf diese Weise gefoltert, an einem bestimmten Datum freigelassen, leidet unter diesen und jenen Folgen seiner Folter. Die medizinischen Folgen wurden ausführlich von einem jüdischen, israelischen Arzt namens Z mit Angabe seiner Adresse schriftlich attestiert. Punkt. Und dann kam die nächste Geschichte, ähnlich der ersten, und so fort. Was sollte ich damit anfangen?

Sind Sie naiv?

Natürlich wusste ich genau, dass diese Tatsachen "falsch" waren. Ich bat das Auswärtige Amt in Jerusalem um genaue Dementis. Statt dessen bekam ich ein Telegramm mit den längst bekannten Argumenten der israelischen Informationsbehörden, Argumente, die die Ursache und Wurzel des Nahost-Konflikts darstellten, das Leiden der Israelis, den Terror und dergleichen. Ich bat dringlich um genaue Information. Ich wollte hören, dass die in dem Artikel erwähnten angeblich Gefolterten nicht existieren, dass die Namen gefälscht sind, die Fakten nicht stimmen. All dies bekam ich nie. Nervöse Telefonate mit Kollegen und Freunden in Israel sind ebenfalls ergebnislos geblieben. Über die Frage hinaus, wie ich Jean Daniel antworten sollte, quälte mich der Zweifel an unserer Version in Bezug auf Folter zunehmend.

Ich flog nach Israel und begann, selbst zu recherchieren. Ich benutzte alle meine Kontakte und Freunde in den verschiedenen israelischen Behörden, kam aber zu keinem Ergebnis. Wenn ich auch keinen Beweis dafür gefunden habe, dass in Israel systematisch gefoltert wird, so konnte ich doch auch keine überzeugende Widerlegung finden. Ich kehrte zurück nach Paris, schrieb Jean Daniel, er könne mit dem Artikel tun, was er wolle, dass er von mir aber keine Reaktion erhalten werde. Jean Daniel war von dieser Erwiderung beeindruckt und beschloss, ein Begleitwort für den Artikel zu schreiben, das die besondere Lage Israels darstellt, das unter ganz besonders harten Umständen lebt, sich gegen Terror verteidigen und um sein Überleben ringen muss und dadurch manchmal zur Anwendung extremer Mittel gedrängt wird, die anderen Nationen erspart bleiben. Das Begleitwort fügte hinzu, die Redaktion der Zeitschrift sei fest davon überzeugt, dass, wenn in Israel vielleicht auch gefoltert wird, Folter nicht zu einer Institution geworden ist, aber um zu verhindern, dass sie zur Routine wird, sollte man den Artikel lesen, als Mahnung gegen Methoden, die den Staat Israel bedrohen. Ich war dem Chefredakteur dankbar, habe mich aber zu dem Thema nicht mehr geäußert.

Erst kurze Zeit danach, als meine Amtszeit in Paris zu Ende kam und ich nach Israel zurückkehrte, traf ich den Israel-Korrespondenten des Nouvel Observateur. "Sie sind ein sehr ehrlicher und glaubwürdiger Journalist", sagte ich ihm. "Warum haben Sie den Artikel über Folter in Ihrer Pariser Zeitung veröffentlicht?" "Zunächst", erwiderte er, "muss ich meinen Hut vor Ihnen ziehen, für den Mut, den sie hatten, meinem Chefredakteur das zu schreiben, was Sie geschrieben haben. Und dennoch bin ich verwundert. Wer weiß besser als Sie, dass alles was ich geschrieben habe, gestimmt hat und nachgeprüft war?" "Ja", sagte ich, "das bestreite ich nicht, nur verstehe ich nicht, warum Sie diesen Artikel in der Pariser Zeitung veröffentlicht haben. Ihr Ziel war doch ganz bestimmt, Foltermethoden in Israel zu bekämpfen. Was gewinnen Sie dadurch, dass Sie so etwas in Paris veröffentlichen? Das schafft dem Staat Israel einen schlechten Ruf im Ausland, macht aber die israelische Öffentlichkeit, die den Nouvel Observateur nicht liest, keineswegs betroffen. In Israel hätten Sie so einen Artikel veröffentlichen müssen".

"Sind Sie naiv?" erwiderte er. "Ich habe es bei allen israelischen Zeitungen versucht, alle haben ihn abgelehnt." "Warum", fragte ich, "haben Sie nicht die Wochenzeitung HaOlam Haze von Uri Avneri versucht?" Avneri ist ja ein bekannter, mutiger Kämpfer für Menschenrechte, für die Rechte der Palästinenser, und er leitet eine Zeitung, die allen israelischen Regierungen gegenüber äußerst kritisch ist. "Den", entgegnete mein Gesprächspartner, "habe ich auch angesprochen. Der hat es aber leider auch abgelehnt." Da ich argwöhnisch war, habe ich mich nicht gescheut, selber Avneri zu befragen. "Was Sie gehört haben", sagte Avneri, "stimmt. Ich habe den Artikel tatsächlich abgelehnt." "Warum?" fragte ich. "Halten Sie die in dem Artikel beschriebenen Begebenheiten für fraglich?" "Nein", erklärte Avneri, "mir sind die Daten des Artikels bekannt, und ich halte sie für glaubwürdig. Sie müssen aber verstehen, dass nicht einmal meine Leser, die daran gewöhnt sind, jede Woche viele schlimme Dinge über die israelischen Behörden in meiner Zeitschrift zu lesen, alles verdauen können. Ich kann mir nicht leisten, ihnen alles zuzumuten, nur weil ich daran glaube."

Wir sehen in der Geschichte aller Zeiten, aber besonders im 20. Jahrhundert, wiederholte Versuche von Völkern und Behörden, ihre Vergangenheit zu verdrängen, oder sie gar zu leugnen, von ihren Erfahrungen nichts zu lernen - und dabei beziehe ich mich lediglich auf westliche Demokratien. Die Franzosen zum Beispiel führen erst heute eine schmerzliche Diskussion über die Gräueltaten ihrer Kolonialarmee im algerischen Krieg der 50er Jahre. Erst in den letzten Jahren haben sie damit begonnen, die Verbrechen des berüchtigten Vichy-Kollaborateurregimes öffentlich zu erörtern. 1970, als neuer, junger Diplomat in unserer Botschaft in Paris, bemühte ich mich sehr, Frankreich kennenzulernen und habe das Land sorgfältig besichtigt. Unter anderem hat mich mein Weg nach Vichy geführt. Eine wunderschöne Stadt, ein friedlicher Badeort mit Gärten, schönen Hotels und alten Leuten, die auf dem Weg zu den Brunnen mit Wasserkännchen durch die mit Blumen gesäumten Straßen flanierten. Im örtlichen Verkehrsbüro erfuhr ich, was in der Stadt besuchenswert war, nämlich Gärten, Bäder, Theater, Restaurants. Als ich fragte, was man heute noch in Erinnerung an die Vichy-Regierung besichtigen könne, sah mich die Dame hinter dem Schalter, die etwa in meinem Alter war, also noch vor dem 2. Weltkrieg geboren, bösartig an und erklärte: "Monsieur, wir hier betreiben keine Politik." Das war 26 Jahre nach der Befreiung Frankreichs. Als ich fragte, ob sie mir zumindest erklären könne, wo ich das Parkhotel (der ehemalige Sitz der Pétain-Regierung) finden könne, antwortete sie in höchst kühlem Ton: "So ein Hotel haben wir gar nicht." Ich habe dann erfahren, dass das Hotel tatsächlich seinen Namen geändert hat.

Sie riskierten ihre Würde

Wie viel Leid und Schmerz hätte Frankreich sich ersparen können, Leid und Schmerz, die die Franzosen heute noch erleben, weil sie jahrzehntelang die Vergangenheit verdrängt haben. Wenn man heute von den Schwierigkeiten zwischen Chirac und Schröder anlässlich des letzten europäischen Gipfels im Dezember in Nizza spricht, wenn man erzählt, dass der Bundeskanzler in inneren Kreisen hin und wieder erbittert behauptet, dass er manchmal seine wichtigsten Partner, die Franzosen, nicht verstehen könne, kann ich ihm das gut nachfühlen. Oft verhalten sich die Franzosen den Deutschen gegenüber in einer Weise, die ein objektiver Beobachter nicht verstehen kann. Das hat nicht mit der Tradition des Erzfeindes zu tun, sondern mit den Schwierigkeiten der Franzosen, ihre eigene schmerzhafte Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihr ehrlich auseinanderzusetzen.

Für uns war das Verdrängen der Vergangenheit in den Nachkriegsjahren in Deutschland das größte Hindernis auf dem Weg zur Verständigung mit der Bundesrepublik. Natürlich wussten wir in der Zeit, in der die Bundesrepublik entstand, dass es kein Nazideutschland mehr gab, dass die Bundesrepublik eine echte, westliche parlamentarische Demokratie war, und dass diese, wenn auch von den Alliierten erzwungen, dennoch von den Deutschen vorbehaltlos in die Tat umgesetzt worden war. Trotzdem wollten wir mit den Deutschen keinerlei Kontakt haben. Es ging nicht darum, dass wir alle Deutschen für ehemalige Nazis hielten. Es ging darum, dass wir immer hörten, dass die meisten Deutschen ihre Vergangenheit verdrängen, wenn nicht schlicht und einfach leugnen. Wir sagten, Leute, die ihre Vergangenheit verdrängen, können sich von ihr nicht lösen, können sich infolge dessen auch nicht ehrlich und von Grund auf ändern. Vor allem aber, dachten wir, könne man mit Menschen, die mit ihrer eigenen Identität nicht aufrichtig umgehen, keinen echten Dialog führen. Dies hat sich mit den Jahren in der Bundesrepublik grundlegender geändert als in anderen westeuropäischen Ländern. Vieles hat zu diesem Wandel geführt, hauptsächlich auch die Studentenbewegung von 1968, und heute erzähle ich in Israel, dass, je mehr die Zeit vergeht, das Interesse der neuen Generationen in Deutschland an der Nazivergangenheit zunimmt. Sie wollen sich mit ihr so weit wie möglich auseinandersetzen. Es gibt Dinge in Deutschland, die ohne Präzedenzfall sind.

"Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung", lautet die Lehre eines jüdischen Geistlichen aus dem 17. Jahrhundert. Man könnte das auch negativ darstellen. Der spanische Dichter Jorge Santayana sagte: "Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben." Erinnerung hat oft geholfen. Es gibt eine ungeheuere Anzahl von Menschen, von Staaten, die aus ihrer Vergangenheit Konsequenzen gezogen haben. Ben-Gurion sagte einmal: "Der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Staatsmann liegt darin, dass der Politiker an die nächsten Wahlen denkt, während der Staatsmann an die nächste Generation denkt." Insofern ist der Staatsmann ein äußerst seltenes Phänomen. Um die Zukunft zu gewährleisten, müssen die Bürger sich auf sich selber verlassen. Für Bildung und Erinnerung, für aus der Vergangenheit zu ziehende Lehren, müssen die Bürger selber sorgen und den Staat dazu drängen.

In Israel haben Bürger sich allmählich Fehler in der Politik gegenüber den Palästinensern, in der Politik in den besetzten Gebieten bewusst gemacht. Das Oslo-Verfahren wäre nicht möglich gewesen, hätte man sich auf die Spitzenpolitiker verlassen. Auch Tauben wie Peres und Rabin, klarsichtige Politiker wie Sadat in Ägypten, Hussein in Jordanien, haben den Friedensprozess eher als Ergebnis einer langjährigen Weiterentwicklung der öffentlichen Meinung zur Kenntnis genommen, als dass sie ihn erfunden haben. Wenn das Oberste Gericht in Israel endgültig jegliche Folter verboten hat, war das ein Ergebnis des wachsenden öffentlichen Interesses an diesem Problem, über das noch in den 70er Jahren keine israelische Zeitung berichten wollte.

In Deutschland können sich die Jugendlichen, die an den Verbrechen der Nazis keinerlei Schuld tragen, von dem Erinnern nicht freimachen. Man kann sich seine Vergangenheit nicht wählen, und die Meilensteine der deutschen Vergangenheit bestehen nicht nur aus Luther, Kant, Goethe, Heine, Friedrich dem Großen und so fort. Der Bundestagsabgeordnete türkischer Abstammung Cem Özdemir sagte einmal: "Deutschland ist mein Adoptivland. Ich will Deutscher sein. Ich bin Deutscher. Und das bedeutet, dass die Verantwortung für die gesamtdeutsche Geschichte meine wird, auch die der Nazizeit." Verantwortung bedeutet nicht Schuld. Verantwortung bedeutet Erinnerung, um die Zukunft gewährleisten zu können.

"Widerstand in Nazideutschland war sehr mutig", erklärt heute jedermann. Widerstand ist überall mutig. Widerstand gegen die Nazis in den besetzten Ländern war besonders mutig, denn die Grausamkeit der Nazireaktion auf Widerstand war überall bekannt. Aber der Widerstand der Deutschen gegen die Nazis in Deutschland war die größte Besonderheit der Tapferkeit und der Tugend, für die man in der menschlichen Geschichte nur wenige Beispiele findet. Die idealistischen Jugendlichen, so wie die einfachen Bürger, die, besonders in Berlin, ihr Leben einsetzten, um Juden zu retten, wussten, dass sie nicht nur ihr Leben oder Folter riskieren. Sie riskierten viel mehr. Sie riskierten ihre Würde, denn bei der allgemeinen Begeisterung für Hitler, die in Deutschland herrschte, wussten die Widerstandskämpfer in Deutschland, dass sie auch von ihrem Umfeld, gelegentlich von ihren Nächsten und Liebsten, als abscheuliche Verräter betrachtet wurden. Weil es dennoch Menschen gab, die bereit waren, so viel zu riskieren, konnte man in der Nachkriegszeit ein anderes Deutschland aufbauen. Heute sollte die Lehre der Widerstandskämpfer der Weißen Rose lauten: "Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung".

Avi Primor, der Vizepräsident der Universität von Tel Aviv, war 1993 bis 1999 Israels Botschafter in Deutschland.

Der Text ist die gekürzte Fassung der Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung, die Avi Primor am 6. Februar an der Universität München gehalten hat.

haGalil onLine 07-02-2001

 

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