Der Kinder-Kibbuz von Ansbach
Nach dem Holocaust: Zwischenstation auf dem Weg ins Gelobte Land
Von
Jim G. Tobias
Ansbach - "Ein friedlicher Ort, an dem man vor Verfolgung sicher war. " So
beschreibt Jehuda Moskovits rückblickend sein vorübergehendes Zuhause im
Land der Täter. Der heute 74-jährige Israeli gehörte nach 1945 zu den ersten
jüdischen Bewohnern in Ansbach. Zusammen mit etwa 200 Waisenkindern endete
eine Odyssee im Januar 1946 in der Lungenheilanstalt Strüth, die im
gleichnamigen Vorort der mittelfränkischen Bezirkshauptstadt liegt.
Die Jungen und Mädchen hatten mit viel
Glück in Ungarn den Holocaust überlebt. Sie wollten das "Todeshaus Europa"
verlassen, um in Palästina ein neues Leben zu beginnen. "Das Schicksal wollte es
aber, dass Strüth für eineinhalb Jahre unser Zuhause wurde", erinnert sich
Mosche Weiss. "Für uns war es aber ein Paradies, nach den Jahren des Hungers. "
Weiss brachte einige Wochen später noch eine zweite Gruppe elternloser Kinder
aus Ungarn nach Ansbach.
Unmittelbar nach Ende des Zweiten
Weltkriegs beschlagnahmte die amerikanische Militärregierung das Sanatorium und
quartierte dort Juden ein; sie wurden "DPs" genannt, Displaced Persons
(verschleppte, entwurzelte Menschen). Überall in der US-Besatzungszone
entstanden solche Camps für die Überlebenden des Völkermords; in Landsberg oder
Föhrenwald lebten jeweils zirka 5000 jüdische Bewohner.
Strüth unterschied sich grundlegend von
diesen großen Flüchtlingslagern: Hier entstand ein als Kibbuz geführtes
Kinderheim. Kibbuzim sind ländliche Siedlungen in Israel, in denen die Menschen
als Kommune ohne Privateigentum zusammenleben. "Vorher hatten wir nichts von der
Existenz dieses Ortes gewusst", erzählt Jehuda Moskovits. Als Mitglied einer
zionistischen Gruppierung organisierte der gebürtige Ungar von Budapest aus
Kindertransporte nach Palästina. Die überlebenden Jungen und Mädchen sollten so
schnell wie möglich Europa verlassen. Auf geheimen Wegen erreichten die
Flüchtlinge Wien und gelangten schließlich in ein DP-Auffanglager bei Ainring
(Oberbayern).
Da zu diesem Zeitpunkt eine offizielle
Emigration nach Palästina nicht möglich war - die englische Mandatsmacht
verwehrte den Juden die Einreise - suchte man nach einer vorübergehenden
Unterkunft. Durch Zufall erfuhr die Gruppe von der erst kurz zuvor
beschlagnahmten Ansbacher Klinik. "So erreichten wir nach wochenlanger
beschwerlicher Reise nicht Palästina, sondern Strüth", erzählt Yosef Ben-Porat.
Der Israeli gehörte ebenfalls zu den Betreuern des Kinderlagers.
Ungarische Waisenkinder in Strüth
Repro: jgt-archiv Die Jungen und Mädchen nutzten die
Wartezeit und bereiteten sich - gemäß den am Kollektiv ausgerichteten -
links-zionistischen Idealen auf ihr späteres Leben in Palästina vor.
Einundzwanzig Lehrer der Lagerschule unterrichteten Hebräisch, Englisch,
Palästinakunde und Geschichte. In der religiösen Beth Jacob School wurden zudem
Talmud und Thora gelehrt. Ihre Freizeit verbrachten die Kinder im jüdischen
Sportverein beim Boxen, Tischtennis oder auf dem Fußballplatz. Schon bald
spielte die Elf von Hapoel Ansbach in der fränkischen DP-Liga mit Makkabi Fürth,
Kadima Schwabach und weiteren neun Klubs um die Meisterschaft im Bezirk Franken.
Nach einer Statistik der
amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation AJDC (American Joint Distribution
Committee) vom 31. März 1946 lebten 440 Personen im Sanatorium. Etwa 20 Prozent
davon gehörten zum Personal. Sie arbeiteten im Garten, in der Küche, Backstube
sowie in der Wäscherei, kümmerten sich um die Sicherheit des Lagers oder waren
als Lehrer tätig. Die Kinder und Jugendlichen waren zwischen sechs und 18 Jahre
alt.
Das Kinderheim Strüth war eine
selbstverwaltete jüdische Insel mitten inDeutschland. Der Insel-Charakter wurde
noch dadurch verstärkt, dass der Gebäudekomplex abseits der Ortschaft lag und
die Bewohner jeglichen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung mieden. "Unser
Aufenthalt in feindlicher Umgebung, in der Nähe des Feindes Nummer eins, war für
uns nicht einfach", erinnert sich Betreuerin Eli Schwarz. Nach etwa eineinhalb
Jahren verließ die erste Gruppe ihren "Wartesaal" und machte sich illegal auf
die Reise ins Gelobte Land. Einige erreichten Palästina. Viele wurden jedoch
zurückgeschickt oder in englische Internierungslager auf Zypern gesperrt. Erst
im Mai 1948 erfüllte sich der Traum vom eigenen Staat, und die Juden konnten
ungehindert nach Israel immigrieren. Das Ansbacher Kinderlager wurde im April
1949 geschlossen.
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haGalil onLine
20-02-2001
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