SZ vom
03.01.2001 Feuilleton
Der Tempelberg ruft
Clintons Teilungsplan verschreckt
den jüdischen Messias
Von Richard
Chaim Schneider
Vergessen wir für einen Augenblick die
Frage, ob die Aufgabe des Tempelbergs für die militärische Sicherheit Israels
eine Katastrophe bedeuten würde; vergessen wir auch für einen Augenblick, dass
die Teilung Jerusalems die Heilige Stadt in ein Venedig ohne Wasser verwandeln
würde (ganz anders als in Yehuda Amichais berühmtem Gedicht beschrieben).
Denn wäre Jerusalem geteilt, müsste man
hunderte von Brücken bauen, welche die diversen jüdischen Viertel im Osten der
Stadt miteinander und mit dem dann israelischen Westteil verbänden; und die
Palästinenser müssten palästinensische Brücken zwischen den palästinensischen
Vierteln bauen – anders wäre die von Bill Clinton vorgeschlagene Teilung gar
nicht praktisch zu verwirklichen. Und dann bleibt immer noch die Frage, ob so
eine Teilung besser wäre als die Zustände, die heute herrschen in Jerusalem.
Der Stein des Propheten
Vergessen wir also für einen Augenblick
die profanen Gründe, aus denen Israel die Übergabe des Tempelbergs an die
Palästinenser nicht ernsthaft in Erwägung zieht. Noch interessanter sind nämlich
die sakralen, die ideologischen und metaphysischen Fragen, welche eine solche
Übergabe aufwerfen würde.
Noch einmal, zur Erinnerung: Der
Tempelberg ist das Areal, auf dem einst König Salomon den ersten Tempel
errichtete und Herodes später einen zweiten – das größte Heiligtum der Juden. Im
Jahr 70 nach Christus wurde der Tempel von den Römern zerstört; seine äußere
Westmauer steht aber noch heute – das ist die so genannte "Klagemauer". Die
Juden hatten also ihr Allerheiligstes auf dem Berg Moriah mehr als
fünfzehnhundert Jahre, bevor die Muslime hier den Felsendom (im Jahr 691) und
die Al-Aksa-Moschee (705–715) bauten. Der Stein, über den sich der Felsendom
wölbt, ist für die Muslime der Ort, von dem aus Mohammed auf seinem Pferd in den
Himmel ritt. Für die Juden allerdings ist das der Platz, an dem Abraham seinen
Sohn Isaak opfern wollte.
Ein Platz also, der das Zentrum jüdischer
Gläubigkeit darstellt: ein Platz auf dem, gemäß der Überlieferung, der dritte
Tempel errichtet werden wird – nach der Ankunft des Messias, auf den die
Judenheit ja noch wartet.
Kann solch ein Platz aus der Oberhoheit
Israels an die Palästinenser übergeben werden? Und wenn ja, welche religiösen
Implikationen hätte das?
Als der Staat Israel 1948 gegründet
wurde, hatte das weitreichende Folgen für die jüdische Orthodoxie. Noch zu
Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Orthodoxen gegenüber den laizistischen
Zionisten eine klare Haltung: Der Zionismus war Blasphemie, er widersprach der
Verkündung, wonach ein neuer jüdischer Staat erst entstehen werde, wenn der
Messias käme. Die Zionisten aber wollten die Geschichte und damit die Verkündung
in die eigenen Hände nehmen – was unerhört war, aus orthodoxer Sicht.
Das Putzpersonal des Herrn
Doch allmählich setzte sich eine neue
theologische Interpretation durch. Die besagte, dass Gott die säkularen Juden zu
seinen Handlangern mache, um das neue Israel zu schaffen. Warum er dazu
ausgerechnet die Zionisten und nicht die Orthodoxen benutzte, war allerdings ein
Problem, das erst Raw Kook, der erste aschkenasische Oberrabbiner Palästinas zu
lösen wusste: Die Zionisten, glaubte Kook, entsprachen den Handwerksleuten, die
einmal im Jahr den Heiligen Tempel reinigten und neu instand setzten. Zu diesem
Zweck durften sie auch das Allerheiligste betreten, einen Raum im Tempel, den
selbst der Hohepriester nur einmal im Jahr, an Jom Kippur, betrat.
Damit das möglich war, wurde die
"Heiligkeit" des Tempels außer Kraft gesetzt und nach der Reinigung erneuert.
Ein Verfahren, das dem Laien absurd erscheinen mag, in Wirklichkeit aber mit
einer höchst differenzierten Auffassung von "Heiligkeit" im Judentum
zusammenhängt.
Die Zionisten waren also die
"Handwerksleute", Israel befand sich noch nicht im "heiligen Zustand": wobei das
Land selbst immer als heilig gilt, nicht jedoch das staatliche Gebilde auf ihm.
Als dann Israel im Sechs-Tage-Krieg sehr
schnell all die heiligen jüdischen Stätten eroberte, zu welchen nicht nur der
Tempelberg, sondern auch die Gräber der Patriarchen in Hebron, das Grab der
Rachel bei Bethlehem und andere Orte gehörten – da fanden die Orthodoxen zu
einer neuen Interpretation der Lage: Die Zeit der Erlösung rückte offenbar
näher; denn nun war auf einmal Medinat Jisrael (der Staat Israel) mit Erez
Jisrael (dem Land Israel) identisch. Und die Einwanderung von Juden aus aller
Herren Ländern, selbst aus der Sowjetunion und aus Äthiopien, war ein weiteres
Indiz dafür, dass die "Einsammlung der Exilierten", wie es in der Thora heißt,
begonnen habe. Das wäre dann der letzte Akt der Menschheitsgeschichte, danach
kann der Messias kommen. In diesem Zustand befindet sich Israel seit nunmehr 33
Jahren – was angesichts der Ewigkeit (oder auch der jüdischen Geschichte) nichts
ist als bloß ein Augenblick.
Der Rückfall der Geschichte
Wenn also die Oberhoheit über den
Tempelberg tatsächlich an die Palästinenser übergeben werden sollte (de facto
haben sie das längst) oder aber in die Hände einer internationalen Gemeinschaft
überginge, dann würden die Juden in ihrer Geschichte ein entscheidendes Stück
zurückgeworfen: Die Juden – und damit nach der Prophezeiung auch die gesamte
Menschheit – dürften auf baldige Erlösung nicht mehr hoffen; sie wären,
theologisch gesprochen, wieder in der Golah, im Exil, das nach der Zerstörung
des zweiten Tempels zum einzigen Existenzzustand des Judentums geworden ist.
Das würde dem jüdischen Staat jegliche
religiöse Bedeutung nehmen (Jeschajahu Leibowitz hat dies einmal treffend
formuliert: Israel sei nicht "der jüdische Staat", sondern "ein Staat der
Juden"), ihn somit nicht mehr zum Zentrum der jüdischen Welt machen, sondern zu
einem Exilort unter anderen, wenn auch auf heiligem Boden, reduzieren. Damit
aber bekämen die Diasporagemeinden eine neue Bedeutung, indem sie nun nicht mehr
die Stätten der noch nicht wiedereingesammelten Exilierten wären, sondern
gleichberechtigt neben Israel ihre Wertigkeit und Besonderheit hätten.
Im Sinne einer jüdischen Eschatologie
würde es dann also keinen Unterschied mehr machen, ob man als Jude in München
oder in Jerusalem lebt, wenngleich es die Erfüllung einer Mitzwa (eines Gebotes)
bedeutet, im heiligen Land zu leben, egal unter wessen Herrschaft oder
Regierung.
Es ist diese Vorstellung, die die
Orthodoxen, jenseits weltlicher Politik, auf die Barrikaden treibt: ein wahres
Horrorszenario! Und zugleich würde es vielen orthodoxen Gruppierungen als später
Beweis dafür dienen, dass die Zionisten doch Blasphemie begangen haben. Die
ohnehin schon brüchige Einheit der Israelis würde noch weiter erschüttert.
Im Konflikt zwischen Israel und den
Palästinensern wäre womöglich eine Konzentration auf profane und pragmatische
Probleme fruchtbarer, als es die Betonung des Sakralen ist. Aber weder Juden
noch Muslime können einfach davon absehen, dass sie in Jerusalem die heiligen
Orte ihrer Religionen haben: Und deshalb wird wohl weder die jüdische Orthodoxie
noch irgendeine andere Ausformung des nationalreligiösen Judentums jemals die
Überschreibung des Tempelbergs an die "Ishmaeliten" akzeptieren.
Hintergrund zum Tempelberg:
Bejn haMejzarim - zwischen Halakhah, Politik und Heiligkeit
Über Heiligkeit, Souveränität
und die Entweihung des Heiligtums:
G'tt wohnt hier nicht mehr
Die Positionierung des Tempelbergs und des in seinem Zentrum
gelegenen symbolischen heiligen Felsens verwandelte den nationalen Konflikt
zwischen Israelis und Palästinensern in eine religiöse Konfrontation...
Israel und der
Tempelberg:
Brüder im Lande
Kanaan
Weder verheißen noch heilig...
Im Eifer
des Gefechts:
Die
Heiligkeit von Menschenleben vergessen
Es ist schon sehr erschreckend, wenn man
heutzutage hört, dass es unter den orthodoxen Juden in Israel Gruppierungen
gibt, die mit großem Eifer den Wiederaufbau des Tempels propagieren und zu
betreiben versuchen...
Bejn haMezarim:
Die nicht zu
greifende Tempelbergvision
Solange wir in einer Gesellschaft leben, in der es Korruption gibt, in der
Frauen verkauft und ausgebeutet werden, kann die Vision des Tempelbergs wie
ein Leuchtturm sein, der uns den Weg weist, doch sie darf nicht in etwas
Greifbares verwandelt werden...
Zionismus nutzt den Palästinensern:
Die
Siedlungsbewegung ist fundamental anti-zionistisch
Es wird immer klarer, wie sehr die religiösen Siedler
in den besetzten Gebieten Gegner des Zionismus sind. Diese Aktivisten der
Besatzung haben die zentrale Idee des Zionismus, das Recht aller Völker auf
Selbstbestimmung, lange hinter sich gelassen...
Das Oberrabbinat Jerusalem und die Frage zum
Tempelberg:
Irushalajim und die
Tage des Moshiach
Beide Oberrabbiner erklärten (Quelle haArez), dass weder die
Halakhah noch die jüdische Tradition eine jüdische Souveränität über
Grabstätten verlangen...
Oberrabbiner Eljahu Bakschi-Doron:
Festhalten an Hebron und Nablus nicht notwendig
Der Raw erklärte, dass gegen eine Kontrolle der
Palästinenser über jüdisch-religiöse Stätten in Judäa und Schomron (
Westjordanland) aus religiösen Gründen nichts einzuwenden sei...
Ein Verstoß gegen religiöse Verordnung:
Der Marsch
auf den Tempelberg
Die Reden der Weisen sind voll von Verurteilung des Eifers
und messianischer Berechnung. Die Wege der Torah sind die Wege des Friedens
und die Torah steht erhaben über jeder Heiligkeit irgendeines Ortes...
Har haBajith - der
Tempelberg:
100 Rabbiner gegen jüdischen Alleinanspruch
Als Beleg führten die Gelehrten in einer Erklärung am
Mittwoch dieser Woche ein Zitat aus dem Buch Jesaja an, derzufolge der
Tempelberg ein Ort des Gebets für alle Nationen sei...
Mythos und Wirklichkeit:
Die Heilige Stadt
Jerusalem hat sich als das entscheidende Problem bei den
einstweilen gescheiterten Verhandlungen über den endgültigen Status der 1967
von Israel besetzten palästinensischen Gebiete erwiesen. Es geht dabei vor
allem um den Tempelberg...
Der Tempelberg als Aufhänger:
Die Suche nach einer Lösung für
Jerusalem
Israel hat einen ägyptischen Vorschlag abgelehnt, die Hoheitsrechte über
Jerusalem mit den Palästinensern zu teilen. Der amtierende Außenminister
Schlomo Ben Ami sagte am Sonntag, seine Regierung könne keinen Plan
annehmen, der den Tempelberg nicht unter israelischer Kontrolle belasse...
Jerusalem:
Die Teilung des
Unteilbaren
Erst einige Tage, nachdem im Juli die
Gipfelklausur in Camp David begonnen hatte, ließ Ehud Barak eilig einen
Fachmann für die Jerusalem-Frage samt detaillierten Unterlagen nachkommen.
Hatte der israelische Premier seine Hausaufgaben nicht gemacht?...
Der Tempelberg ruft:
Wer hat den Messias verschreckt?
Vergessen wir für einen Augenblick die profanen Gründe, aus denen Israel die
Übergabe des Tempelbergs an die Palästinenser nicht ernsthaft in Erwägung
zieht. Noch interessanter sind nämlich die sakralen, die ideologischen und
metaphysischen Fragen...
Jerusalems Klagemauer - Schnittpunkt vieler Kreuzzüge:
Labile Koexistenz religiöser und
nationaler Mythen am Tempelberg
Seit 1967 befindet sich die Klagemauer in Jerusalem unter israelischer
Kontrolle. Die einst von König Herodes vor mehr als zweitausend Jahren
errichtete westliche Stützmauer am Tempelberg ist heute für viele Israeli
ein Symbol nationaler Erfüllung oder religiöser Erlösung...
66 - 70 нашей эры:
Великое восстание Коанимов
Это восстание явилось причиной одной из величайших катастпоф в
иудейской истории. С самого начала оно было спорным. Один из известнейших
оппонентов Коанимов являлся Равин Йоханан Бен Закай...
Шива Асар беТамус:
День поста 17. тамуса
Постный день 17. тамуса напоминает о
начале разрушения храма. С этого дня начинается „трехнедельный“ траур по
храму и изгнанию. Эти „три недели„ заканчиваются также постным днем 9.
ава...
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03-01-2001
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