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Israel muss extreme Wagnisse eingehen und ausländische Druckversuche
missachten: Ariel Scharon
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Ariel Scharon, der alte
Soldat, gibt sich friedfertig und versöhnlich. Beim Bad in der Menge
lässt er sich als Politiker feiern, «der dem Land den Frieden
bringt». Jassir Arafat betrachtet er zwar nach wie vor als Erzfeind
und weigert sich, dem Palästinenserführer die Hand zu reichen.
Trotzdem schickte er ihm zum Ende des muslimischen Ramadan eine
Glückwunschkarte, um zu beweisen, dass er an einem Gespräch mit den
Palästinensern interessiert ist.
Kämpferische Sprüche zur
Nahostkrise hört man von ihm dieser Tage selten. Stattdessen spricht
er von notwendigen Kompromissen, die Israel schmerzen werden. Er sei
dazu bereit, weil er die Schrecken des Krieges kennen gelernt habe,
sagt der Mann aus der Gründergeneration Israels wie David Ben
Gurion, Mosche Dayan, Jitzhak Rabin und Schimon Peres.
Die Meinungsumfragen sind
zurzeit eindeutig: Ausgerechnet Scharon, dessen umstrittener Gang
auf den Tempelberg am vergangenen 27.September die Al-Aksa-Intifada
auslöste, hat beste Chancen, am 6.Februar der nächste
Premierminister zu werden. Kein israelischer Politiker weckt im In-
und Ausland mehr Emotionen als er. An praktisch allen Entscheidungen
um Krieg oder Frieden war er beteiligt. Seine Anhänger preisen ihn
wegen seines Beitrags zum israelisch-ägyptischen Frieden und beim
Aufbau der Beziehungen zu Jordanien. Sie schätzen sein
Verhandlungsgeschick und rühmen seine Fähigkeit, den arabischen
Nachbarn Angst einzujagen. «Scharon, der sich als Krieger wie als
Politiker profiliert hat, erhöht die Chancen, im Friedensprozess
voranzukommen», lobt ihn der «Schattenaussenminister» und
altgediente Likud-Politiker Zalman Schoval.
Der «hässliche Israeli», …
Für seine politischen Gegner
verkörpert der bullige Scharon hingegen «den hässlichen Israeli»
(Justizminister Jossi Beilin). Der unersättliche Eroberer sei ein
Symbol für den Ausbau der Siedlungen und für den Libanonkrieg. Zudem
ein notorischer Lügner, der ohne Rücksicht auf Verluste Hindernisse
wie ein Bulldozer niederwalze. Die Wahl Scharons führe zwangsläufig
zum Krieg, befürchten sie.
Sein Friedensrezept
verspricht den Arabern in der Tat wenig. Keine Kompromisse in
Jerusalem, kein Verzicht auf Siedlungen in der Westbank, kein Abzug
israelischer Truppen vom Jordan, keine Verantwortung für das Los der
palästinensischen Flüchtlinge. Diese vier Neins krönt Scharon mit
der Frage an die Palästinenser, was sie denn für den Frieden
bezahlen wollen.
Seit Jahrzehnten hat Scharon
immer wieder versucht, das Palästinenserproblem zu verdrängen,
zunächst als Soldat und General, später als Politiker. Meist
entpuppten sich seine Entscheidungen als tragische Fehler. So sorgte
der 25-jährige Leutnant Arik, wie ihn seine Freunde nennen, für
internationale Proteste, weil er im Rahmen einer Vergeltungsaktion
gegen das jordanische Dorf Qibya Palästinenser-Häuser sprengen
liess, ohne sich zu vergewissern, dass sie leer waren. Er habe
angenommen, dass die Bewohner evakuiert worden seien, meinte er
blauäugig nach dem Massaker, bei dem 69 Zivilisten ums Leben kamen.
Auf jene frühen Jahre geht
die «Scharon-Doktrin» zurück: Um zu überleben, müsse Israel extreme
Wagnisse in Kauf nehmen und ausländische Druckversuche missachten.
Das Manövrieren am Rande der Gesetzlosigkeit betrachtet er als
legitim. Sicherheit steht für ihn stets über Recht.
Wegen seines Hangs zu eigenmächtigen und riskanten Entscheiden
warnen Kritiker Scharons heute davor, ihm die Führung der Atommacht
Israels anzuvertrauen. Der «israelische Cäsar» (so der Titel einer
kritischen Scharon-Biografie) verwickelte sein Land als
Verteidigungsminister im Kabinett Begin in den kostspieligen und
sinnlosen Libanonkrieg. Selbst gegenüber seinen engsten Beratern
hatte er seine Pläne verschwiegen, Beirut einzunehmen, um der
PLO-Zentrale den Garaus zu machen.
Scharons Feldzug, der
Tausenden von Libanesen und Israelis das Leben kostete, war ein
völliger Fehlschlag. Nach dem israelischen Eingreifen
verschlimmerten sich die Brutalitäten der libanesischen Wirren. Die
Bestialitäten gipfelten in einem Massaker an Palästinensern, als
Scharon den christlichen Falange-Milizen erlaubte, in die
palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila
einzumarschieren. Dabei wusste er von den Plänen der
Christenmilizen, das Palästinenserproblem im Libanon zu eliminieren.
Eine israelische Kommission,
die die Grausamkeiten von Sabra und Schatila untersuchte, warf ihm
vor, seine Pflicht sträflich vernachlässigt zu haben, weil er die
Möglichkeit einer Schlächterei außer Acht gelassen habe. Weil er
indirekt die Verantwortung für die Tragödie von Sabra und Schatila
trage, sei er als Verteidigungsminister nicht mehr geeignet.
«Niemals» dürfe er ein Regierungsamt mit Verantwortung für
Sicherheitsfragen übernehmen, beschied die Kommission. Weil Scharon
trotz der unverblümten Aufforderung zur Demission nicht freiwillig
zurücktrat, musste ihn der damalige Regierungschef Menachem Begin
entlassen.
Trotz der scharfen Rüge blieb
Scharon aber ein politisches Schwergewicht. Als Wohnbauminister
trieb er den Ausbau jüdischer Siedlungen in der Westbank und im
Gazastreifen voran. Anders als religiöse Eiferer argumentiert er nie
mit der Bibel gegen territoriale Konzessionen, sondern mit der Logik
des ausgebufften Militärstrategen. Israel sei ein potenzielles
Schlachtfeld, das auf Pufferzonen angewiesen ist. Andernfalls wären
Israels Städte Terroristen ausgeliefert.
Araber werden niemals das
Recht Israels anerkennen, im Nahen Osten einen Staat zu haben,
glaubt Scharon seit seiner Jugend. Man dürfe ihnen nicht trauen,
lehrte ihn seine Mutter. Kaum vierzehn Jahre alt, schloss er sich
der Haganah an, der Vorläuferorganisation der israelischen
Streitkräfte. Im Unabhängigkeitskrieg von 1948 kommandierte er eine
Infanterieeinheit, gründete später eine berüchtigte Antiterrortruppe
und wurde 1964 Mitglied des Generalstabs. Er fiel damals nicht nur
als fähiger Soldat und Offizier auf, sondern stand auch im Ruf,
elementare Spielregeln zu missachten und eigenmächtig, ohne grosse
Rücksicht auf Verluste, zu handeln. Seit seinem Austritt aus der
Armee ist er an allen massgeblichen innenpolitischen Entwicklungen
beteiligt. Etwa als er die Schlagkraft der rechten Parteien erhöhte,
indem er sie zum Likud-Block zusammenführte. Stets erwies er sich
als Mann der Tat. Im vergangenen Jahrzehnt liess er im Nu 80.000
Wohnungen bauen, um die Million zugewanderter russischer Juden
unterzubringen. Auch da blieb er seinem Grundsatz treu, schnelles
Handeln höher zu stellen als Gesetzestreue, was ihm der
Staatskontrolleur vorwarf. Die Russen-Wohnungen führten zu einem so
hohen Defizit, dass der damalige Finanzminister verlangte, gegen
Scharon zu prozessieren.
…aber durchaus charmant
So liebenswürdig und charmant
sich der Feinschmecker Scharon im privaten Gespräch gibt, in der
Politik setzt er auf Provokation. 1987 bezog er mitten im
muslimischen Viertel von Jerusalem ein palästinensisches Wohnhaus,
um den Anspruch Israels auf die Altstadt zu unterstreichen. Wenn
seine Aktionen wie auf dem Tempelberg Unruhen auslösen, fühlt sich
Scharon unschuldig. Er habe nur vom Recht Gebrauch gemacht, die
heiligste Stätte der Juden zu besuchen, sagt der Liebhaber von
unkoscherer Speise arglos und will nicht wahrhaben, dass
irgendjemand dies als Provokation auffasst. «Die Palästinenser
hatten alles geplant», behauptet er, «sie benützten meinen Besuch
auf dem Tempelberg als Vorwand für die Unruhen.»
Gleichwohl hat Scharon
während seiner Laufbahn nicht nur gezündelt und sein Land in einen
Krieg verwickelt. Er hat auch zum Frieden beigetragen, als er
massgeblich half, den Vertrag mit Ägypten auszuhandeln. Er
befürwortete eine vollständige Rückgabe der Sinai-Halbinsel und
überwachte persönlich, wie die israelischen Siedlungen dem Erdboden
gleichgemacht wurden. Spätestens seither glauben manche an die
Fähigkeit Scharons, auch umstrittene und unpopuläre Entscheide
durchzusetzen. Ein Teil des Friedenslagers gewänne einer Wahl
Scharons deshalb gar Positives ab. Im Gegensatz zum Zauderer Ehud
Barak habe Scharon bereits Siedlungen geräumt.
Den Palästinensern ist das
ein schwacher Trost. «Scharon ist ein Krieger, der nur an Expansion
denkt», sagt der palästinensische Minister Ziad Abu-Zayyad: «Er ist
nicht in der Lage, Frieden zwischen uns und den Israelis zu
stiften.» Doch Arafat gibt sich gelassen. Er habe keine Angst vor
einem Wahlsieg des Likud-Kandidaten: «Scharon jagt Barak viel
grösseren Schrecken ein als mir.»
Am meisten zu fürchten hat
Scharon seine eigene Vergangenheit. Seine Kandidatur ruft zahlreiche
Affären und Abenteuer in Erinnerung, die viele nur noch aus den
Geschichtsbüchern kennen. Bis heute wirkt das Verdikt der
Untersuchungskommission, die ihm Fahrlässigkeit im Libanonfeldzug
vorwarf. Gestützt darauf, appellierte zum Wochenbeginn ein Jurist an
den Obersten Gerichtshof, Scharon die Kandidatur als Regierungschef
zu untersagen. Nun müssen die obersten Richter die Frage
beantworten: Ist ein Mann, der als Verteidigungsminister entlassen
wurde, weil er in einem kritischen Moment versagt hat, als Premier
tragbar?
haGalil onLine
05-01-2001
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