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SZ vom 23.01.2001 Seite 3

Plädoyer auf Alter vor Recht
Der verurteilte Kriegsverbrecher Maurice Papon bereut nichts,
doch jetzt wollen ihn auch seine Gegner begnadigt wissen

Von Gerd Kröncke

Unterwegs

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Paris, 22. Januar – Der älteste Häftling Frankreichs hatte die neunzig schon überschritten. Er war gut versorgt in seiner Verbannung, die durchaus komfortabel zu nennen war. Beim Urteil war er 89 gewesen, er war hinfällig, wenn auch nicht eigentlich krank, nur eben sehr alt. Deshalb setzten sich führende Männer des Staates dafür ein, den alten Mann freizulassen. Doch der starb als Gefangener im gesegneten Alter von 95 Jahren. Dieser ranghöchste Gefangene des Staates war der Marschall Philippe Pétain, der schon als alter Mann an die Spitze des besiegten Frankreichs gerückt war und in Vichy eine Regierung installiert hatte, die sich den Deutschen unterwarf.

Nun sitzt wieder so ein Alter im Gefängnis, verurteilt mit 89 Jahren, und wieder geht in Frankreich die Diskussion, ob man ihn frei lassen sollte.

Maurice Papon, inzwischen 90 Jahre alt und heute der älteste Häftling des Landes, war 1998 in Bordeaux wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. In der Gironde als Generalsekretär der Präfektur in Bordeaux war Papon während der deutschen Okkupation bei der Deportation der Juden behilflich gewesen. Dass nun der hochbetagte Mann seine Strafe tatsächlich absitzen soll, das ist nach Ansicht seines Anwalts unmenschlich. Maître Jean-Marc Varaut hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angerufen, der an diesem Dienstag darüber entscheiden soll, ob Papon eine "erniedrigende und unmenschliche Behandlung" erdulden muss, die gegen europäisches Recht verstößt. Der Pariser Häftling mit der Nummer 887758 gehöre nicht nur freigelassen, er verlange auch eine Million Francs Schmerzensgeld. Zweimal schon hat Staatspräsident Jacques Chirac, der einzige, der ihn begnadigen kann, die Gesuche Papons abgelehnt.

Der Beamte Maurice Papon hatte seinem Staate immer treu gedient. Als Pétain nach der Niederlage die Republik abgeschafft und einen Etat francais ausgerufen hatte, kollaborierte Papon mit den Deutschen im besetzten Teil Frankreichs. Wegen seiner Mittäterschaft an den Juden-Deportationen ist er in Bordeaux verurteilt worden. Er selbst hat sich immer als einen gesehen, der Schlimmeres verhütet habe, ja als ein Mann der Résistance. Es sei manchmal schwerer auszuharren als zu fliehen, sagte der uneinsichtige alte Mann und erinnerte an den deutschen Dirigenten Wilhelm Furtwängler, der auch in Deutschland geblieben sei. Papon fühlt sich bis heute im Recht. Einflussreiche Freunde

Er hatte es auch im Nachkriegs-Frankreich weit gebracht, dekoriert mit dem Ritterkreuz der Ehrenlegion. Dass er Polizeichef von Paris wurde, darunter haben zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen in Bordeaux nicht Juden, sondern Algerier gelitten. Im nächsten Oktober ist der 40. Jahrestag des Massakers von Paris, als während des Algerienkriegs Papons Polizisten Dutzende von Algeriern niederschossen oder in die Seine warfen. Auch dieses dunkle Kapitel ist noch nicht aufgearbeitet, Papon jedenfalls hat es nie geschadet. Als Budget-Minister erreichte seine Karriere ihren Höhepunkt. Er hatte immer einflussreiche Freunde.

Nun aber setzen sich erstmals Gegner für ihn ein. "Fantastisch!" rief Anwalt Varaut aus, als sich einer der angesehensten Politiker für die Freilassung des ältesten Häftlings Frankreichs aussprach. "Er ist ein Greis. Ihn in seinem Alter weiter im Gefängnis zu halten, ist nicht mehr angemessen", sagte Robert Badinter, ein früherer Justizminister und Präsident des Verfassungsrats. "Man spricht von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sollte aber nicht die Menschlichkeit über das Verbrechen siegen?" Badinter ist eine moralische Institution im Lande, er hatte Mitterrands Wahlversprechen durchgesetzt, die Todesstrafe abgeschafft. Einen gewichtigeren Fürsprecher kann Papon kaum finden.

Papon war einer der klassischen Schreibtischtäter, ohne die das System nicht funktioniert hätte. Ihm ist nie vorgeworfen worden, selbst gefoltert zu haben. Anders als der berüchtigte Klaus Barbie, der auch Badinters Vater festgenommen hatte. Aber die meisten französischen Juden waren von der Vichy-Administration erfasst worden. Oft wurden sie nicht von Deutschen, sondern von der französischen Polizei festgenommen, und der Verwaltungsapparat wurde in den Präfekturen in Gang gehalten. In der Präfektur Bordeaux erstellte Papon jene Listen, nach denen die Deportationen ausgeführt wurden; auf einer solchen Liste zu stehen, war ein Todesurteil.

Doch der Mann ist unfähig zur Reue, nie hat er sie auch nur ansatzweise erkennen lassen. Joseph Sitruk, Großrabbiner von Frankreich, erinnert sich, wie er selbst als Zeuge in Bordeaux aufgetreten ist. "Ich habe mich der Bank des Maurice Papon zugewandt, wie ein Mensch sich seinem Bruder zuwendet, und habe gehofft, in dem Gesicht ein Zeichen von Reue wahrzunehmen. " Da sei aber nichts gewesen, niemals habe Papon jemanden um Verzeihung gebeten. Andere Rabbiner plädieren für Gnade, auch einstige Widerstandskämpfer sehen keinen Sinn mehr darin, einen alten Mann eingesperrt zu lassen.

Die Schuld von Vichy

Bei den Politikern gibt es alle Meinungen. Parlamentspräsident Raymond Forni ist "angesichts der Verbrechen des Maurice Papon" rigoros gegen eine Freilassung, während Justizministerin Marylise Lebranchu die Debatte als zu emotional empfindet: "Ich kann jede Position nachvollziehen. " Für den Historiker und Vichy-Experten Henry Rousso ist Badinters Forderung nur dann logisch, wenn man sie als Schlusspunkt sieht. Doch dafür sei es noch zu früh, die Frage nach der Schuld von Vichy sei mit dem Papon-Prozess nicht beantwortet. Für Rousso ist Papon zum Symbol für Vichy geworden. Und selbst wenn diese Debatte politisch und juristisch erledigt wäre, die Erinnerungs-Arbeit an Vichy ist noch lange nicht abgeschlossen.

Schon gar nicht für die Angehörigen der Opfer. Serge Klarsfeld, Präsident der Vereinigung der Töchter und Söhne der Deportierten, ist deshalb dagegen, den Greis freizulassen. "Was wäre der Effekt auf die Nachkommen der Opfer, wenn Papon seinen hundertsten Geburtstag in Freiheit feierte?" Natürlich ist Papon, der inzwischen einen Herzschrittmacher trägt, in der VIP-Etage im zweiten Stock des Pariser Gefängnisses La Sant‚ medizinisch bestens versorgt. Neulich auf dem Gefängnisflur – denn man bewegt sich frei zwischen den Zellen – traf Jean-Christophe Mitterrand auf den alten Mann. Der Präsidentensohn, der wegen einer Finanzaffäre vorübergehend in Untersuchungshaft war, fand einen hinfälligen Alten, der sich mühsam fortbewegte.

Auch das Gefängnis La Sant war eine Stätte der Kollaboration. "Hinter diesen Mauern" heißt es auf einer Gedenktafel an der dicken Mauer, "sind während der Besetzung achtzehn Widerstandskämpfer von französischen Beamten im Auftrag des Feindes erschossen worden".

haGalil onLine 24-01-2001

 

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