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SZ vom 09.01.2001

Ein lange verdrängtes Kapitel der Geschichte:
Symbiose von Kreuz und Hakenkreuz

Die Innere Mission unterhielt zu Beginn der Nazizeit bei Kiel ein KZ – Historiker arbeiten die Verstrickung der evangelischen Kirche ins NS-System auf

Von Elisabeth Höfl-Hielscher

Drei Kilometer östlich von Rickling, einer 3000-Seelen-Gemeinde bei Kiel, beginnt der größte Wald Schleswig-Holsteins. Aus dem Viehhof Kuhlen am Rande dringt Muhen. Vor der Scheune säumen Buchenhecken ein 40 mal elf Meter großes Areal. Davor ein Schild "Gedenkstätte", hinterm Durchlass im Kies eine Bronzetafel: "Fundament der Baracke des Konzentrationslagers Kuhlen. Hier waren von Juli bis Oktober 1933 etwa 200 Männer, fast alle aus Schleswig-Holstein, gefangen. Sie gehörten zu den Ersten, die unter dem Unrechtssystem der Nationalsozialisten litten. Vergib uns unsere Schuld!"

Nichts Besonderes also – Europa ist voller Stätten der Erinnerung an Leid und Verfolgung, und an den meisten ereignete sich Schlimmeres als hier, am Standort der vor zwei Jahren wegen angeblicher Baufälligkeit abgerissenen KZ-Baracke. Auch ging es den "Schutzhäftlingen" dort nicht schlechter als 100 000 anderen Deutschen, die 1933 zur "Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen" festgenommen wurden. Doch eben diese Gleichheit macht das KZ bei Rickling einmalig, es war nämlich "das KZ der Kirche". So nennen es die Medien, für die seit der Diskussion über die Zwangsarbeiter-Entschädigung die Rolle der Kirchen im NS-System wieder aktuell wurde.

Plötzlich stößt "gerade bei jungen Leuten auf großes Interesse, was innerkirchlich altbekannt ist", sagt der Hamburger Historiker Harald Jenner, seit 1983 Archivar in der evangelischen Diakonie und Verfasser der ersten wissenschaftlichen Studie über das KZ Kuhlen/Rickling. Außerhalb haben selbst Fachleute kaum je davon gehört. Zwar steht das KZ Rickling 1957 hinter Auschwitz in einer britischen KZ-Liste von 1957; auch in Yad Vaschem in Jerusalem ist es registriert. Sonst aber wäre es wohl für immer vergessen, wenn nicht 1983 der inzwischen pensionierte Ricklinger Diakon Peter Sutter, damals Pressesprecher des Landesvereins für Innere Mission, bei Recherchen für eine Geschichte der Schleswig-Holsteinischen Brüderschaft auf eine dünne Mappe gestoßen wäre. Sie trug die Aufschrift "Verwaltung Konzentrationslager Kuhlen".

Drama hinter dürren Zahlen

"Erst konnte ich es nicht glauben, obwohl ich schon Gerüchte gehört hatte", erzählt Sutter, äußerlich der Typ des schlichten norddeutschen Gemütsmenschen, aber ein Mann mit Scharfsinn und festem Glauben an "die heilende Kraft der Wahrheit". Der gelernte Hamburger Maschinenschlosser begann das Drama aufzudecken, das hinter den dürren Zahlen verborgen sein musste. Nach drei Jahren Recherchen und zahllosen Gesprächen mit Zeitzeugen gab er 1986 im Eigenverlag das 310-Seiten-Buch "Der sinkende Petrus – Rickling 1933–1945" heraus. Es sorgte für heftigen Zwist: "Spinner" und "Netzbeschmutzer" waren noch die milderen Beschimpfungen. "Die alten Ricklinger leugneten alles"; die kirchlichen Funktionäre, die es besser wussten, wiederholten alte Schutzbehauptungen: es habe sich um ein "KZ der NSDAP" gehandelt, die Häftlinge seien Verbrecher gewesen, sie seien gut behandelt worden. Sutter fand aber auch Rückendeckung von jungen Kirchenhistorikern, die ihm beim Aufspüren internationaler Dokumente halfen, und von Vorgesetzten, die sein Buch finanzierten. Bischof Karl Ludwig Kohlwage engagiert sich schon seit Jahren gegen den Rechtsextremismus im Küstenland, der, so Sutter, wohl "daher kommt, dass bei Kriegsende die NS-Führungsclique hier hängen geblieben ist; der Admiral Dönitz wollte ja ganz in der Nähe regieren!" Der Bischof initiierte auch die Gedenkstätte, offenbar gegen Widerstände – denn eingeweiht wurde sie erst 1998, ganze zehn Jahre, nachdem die Studie Harald Jenners den Diakon voll bestätigt hatte.

"Das KZ der Kirche" war das Lager Rickling/Kuhlen formal zwar nicht, doch es war aufs engste mit der Inneren Mission Schleswig-Holsteins verbunden. Deren Direktor, Oskar Epha, war schon vor der Machtergreifung Mitglied der Reiter-SA; KZ-Verwaltungsleiter war ein Diakon, "Hausvater" Schuba; der Verein führte das KZ-Konto und zahlte den neun SA- und einem SS-Bewacher Kost, Logis plus eine Reichsmark Tageslohn. Er bezahlte auch den SS-Kommandanten, den Österreicher Othmar Walchensteiner, Ex-Diakonschüler und zuletzt Erzieher in einer Diakonenanstalt. Die Innere Mission drückte ihnen nach der Auflösung des KZ die "Anerkennung für die erfolgreiche Durchführung der Ihnen gestellten, sicher nicht leichten Aufgabe" aus.

Ihr gehörte (und gehört) auch das KZ-Gelände – wie der Großteil der Wälder, Felder und Häuser ringsum. Sie sind Teil der "Ricklinger Anstalten", die eine protestantische Brüderschaft Anfang des 20. Jahrhunderts für psychisch Kranke, Problemkinder und Landarbeiter-Lehrlinge gegründet hat. Ende der 20er Jahre waren die Anstalten nach einer Serie von Skandalen in eine Existenzkrise geraten. Die Brüder sahen darin eine Kampfansage der gottlosen Demokratie gegen ihr "christliches Menschenbild". Was sie darunter verstanden, hat das Diakonische Werk vor zwei Jahren in der Jubiläumsausstellung "Die Macht der Nächstenliebe – 150 Jahre Innere Mission und Diakonie 1848–1998" im Berliner Deutschen Historischen Museum selbstkritisch aufgezeigt: Fußketten, Stockschläge, Einzelhaft in vergitterten Zellen, Sprechverbot und Essensentzug als gängige Erziehungsmethoden, ebenso der militärische Tagesablauf mit Marsch zur Kirche, Exerzieren, Appellen und der Schwerstarbeit als Torfstecher. Deswegen war es zu den Weimarer "Erzieher-Prozessen" gekommen. Vor allem die linke Presse hatte ausführlich über die christlichen "Fürsorge-Höllen" berichtet. Als sich noch Unterschlagungen und Missmanagement häuften, waren viele Heime geschlossen worden. Die entlassenen Diakone kamen beim FAD (Freiwilliger Arbeitsdienst) unter, bei der "Evangelischen Freischar der Arbeit" und, sehr häufig gleichzeitig, bei der SA.

Gleich nach der Machtergreifung entstanden auch im Landkreis Segeberg einige der heute so genannten "wilden KZ", die aber durchaus der neuen "Ordnung" entsprachen – nur die berüchtigten "SA-Folterkeller" waren auch nach damaligem Recht illegal. Jenner hat festgestellt, dass sich auf dem Gutshof Kuhlen seit August 1932 ein Lager für 14 SA-Leute der Standarte 213 Segeberg befand, die als Erntehelfer und ähnliches arbeiteten. Es sei nicht auszuschließen, dass auch auf dem Gelände der Inneren Mission schon vor Errichtung des KZ "illegal einzelne politische Häftlinge festgehalten wurden".

Das KZ war für die Ricklinger Anstalten eine willkommene Einnahmequelle. Mitte Juli 1933 (die Lokalzeitungen berichteten ausführlich) wies der Landrat die ersten Häftlinge in das SA-Lager und kurz darauf in eine nahe FAD-Baracke ein. Sie waren zwischen 18 und 63 Jahre alt, zumeist Anhänger der SPD oder KPD und (Land-)Arbeiter aus der Umgebung. Auch einige bürgerliche Politiker waren dabei, jedoch keine Juden. Der prominenteste Häftling war Reinhold Jürgensen aus Elmshorn, der im Dezember 1933 im KZ Fuhlsbüttel ermordete KPD-Reichstagsabgeordnete. Die von Diakon Sutter befragten Überlebenden sind inzwischen gestorben, sie haben von Misshandlungen berichtet. Historiker Jenner hat "bei einer durchschnittlichen Belegung von 90 Häftlingen, die über drei Monate hinweg unter schwersten Bedingungen" elf Stunden täglich für die Innere Mission schufteten, "einen Gegenwert von circa 85 000 Arbeitsstunden" errechnet. Dazu kam die staatliche Kostenerstattung. Gesetzlich festgelegt war 1,50 Reichsmark pro Tag und Häftling für "Verpflegung, Wachmannschaften und Nebenkosten"; der Landesverein für Innere Mission verlangte 1,65 RM, allerdings vergeblich.

Am 13. Oktober 1933, drei Tage vor dem Verbot der kommunalen und SA-Lager, wurde das KZ Rickling aufgelöst. Etliche Häftlinge kamen frei, die übrigen ins neue staatliche KZ Papenburg (wo einige bald starben). Die meisten SA-Wachmänner blieben, zunächst als Landarbeiter für die Innere Mission, nach Kriegsbeginn als Bewacher deportierter Zwangsarbeiter. In die Baracke zogen Alkoholiker ein, Betreuer wurde KZ-Kommandant Walchensteiner. Später wurde er "politischer Schulungsleiter" des Landesvereins für Innere Mission. Im März 1935 schied er aus, weil er sich der "Deutschen Glaubensbewegung" angeschlossen hatte, die das Christentum ablehnte. Der Landesverein in Rickling bekannte sich aber zu den "Deutschen Christen", jenen Protestanten, die sowohl regime- als auch kirchentreu waren. Walchensteiner wurde 1941 SS-Obersturmführer und Gebietskommissar einer "SS-Einsatzgruppe" in Russland. Er ist 1943 gefallen. Das KZ Rickling war nach 1945 zweimal Prozess-Gegenstand: 1948 wurde der SS-Adjutant H. aus Neumünster in Kiel zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt. 1976 wurden einem Ex-Gefangenen nach langem Rechtsstreit für seine Haft zwei Monate Rentenausfallzeit anerkannt. Eine Wiedergutmachung durch die Innere Mission war nie ein Thema.

Kult der Stärke

Die enge Beziehung zwischen NS-System und Innerer Mission hat der Publizist Ernst Klee in seinem Dauer-Bestseller "Die SA Jesu Christi" nachgewiesen. Da ist zu lesen, wie die Kirche teilweise lange vor 1933 dem nationalistischen Wahn erlag; und wie gerade jene, die von Berufs wegen mit den Schwachen der Gesellschaft zu tun hatten, mit fliegenden Fahnen zum Kult der Stärke überliefen: "Die Sturmabteilungen! In gewaltigen Strömen ergießt sich die braune Flut durch alle Straßen, alle dem einen Ziel entgegen, zum Kreuz!", jubelten im Mai 1933 die Kaiserswerther Diakonissen. Die Symbiose von Kreuz und Hakenkreuz bröckelte erst, als der NS-Staat gegen die kirchliche Unabhängigkeit vorging.

"Die Kirche war eben ein Abbild der ganzen Gesellschaft", versucht Michael Häusler zu erklären, der Leiter des Archivs und der Bibliothek des Diakonischen Werkes der EKD in Berlin. Die entlassenen Diakone seien zumeist aus bodenständigen, kirchentreuen Arbeiterfamilien gekommen und hätten ihren Beruf als sozialen Aufstieg empfunden. Sie litten unter der Arbeitslosigkeit und unter der Sinnkrise nach der jähen Trennung von Staat und Kirche, Thron und Altar. Jenner spricht von einem Schock: "Die evangelische Kirche hat sich immer als Verbündete des Staates gesehen, gemäß dem Luther-Wort: ,Seid der Obrigkeit untertan!‘" Erst die 68er Generation habe die Vorstellung akzeptiert, in der säkularen Gesellschaft nur ein Wächteramt zu haben. Die sei dann massenweise in die Kirche gedrängt und habe den alten Autoritätsglauben weg gefegt. "Dann aber gründlich und für immer!"

haGalil onLine 09-01-2001

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