In Deutschland ging man den Holocaust-Gedenktag, der an die Befreiung des KZ
Auschwitz am 27. Januar 1945 erinnert, schon mit einer gewissen Routine an. An
der zentralen Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Denkmals für die
ermordeten Juden Europas nahmen zahlreiche Menschen, darunter auch
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Initiatorin des Mahnmals, Lea Rosh,
teil. Ganz anders in England. Dort fand dieses Jahr der erste
Holocaust-Gedenktag überhaupt statt.
Den wesentlichen Impuls für die Etablierung eines Holocaust-Gedenktages gab der
Besuch des Labour-Abgeordneten Andrew Dismore in Auschwitz im Sommer 1999. Kurz
nach seiner Rückkehr erarbeitete er einen Gesetzesentwurf, der sofort Zustimmung
bei Premierminister Tony Blair fand.
Doch so einfach man sich über die grundsätzliche Veranstaltung eines solchen
Gedenktages einigen konnte, die Art und Weise des Gedenkens erregte seitdem die
englischen Gemüter.
Der Holocaust-Gedenktag sollte an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, in
diesem Zusammenhang jedoch auch an andere Opfer von Völkermord und Faschismus.
Diese Definition erwies sich bald als schwierig. Die Organisatoren wurden von
den verschiedensten Interessensvertretungen angeschrieben, die ebenfalls Teil
der Veranstaltung werden wollten. Sogar eine Organisation, die an die Opfer der
Kreuzzüge erinnert, meldete sich zu Wort.
Die Organisatoren lehnten es beispielsweise auch ab, den Opfern des Massakers an
Armeniern von Türken im Jahr 1915 zu gedenken. Es gehe um den Holocaust und
Ereignisse, die damit in Verbindung stehen. Diese Aussage brachte sofort den
Vorwurf ein, man wolle den Opfern des Nationalsozialismus ein "Monopol an
Leiden" zusprechen.
Die jüdische Gemeinde Englands stand ebenfalls gespalten zur Organisation des
Gedenktages. Während einige auf der Exklusivität des Erinnerns an jüdische Opfer
der Schoah bestanden, äußerten andere, darunter auch der Rabbiner Yitzhak
Schochet den Wunsch, den Gedenktag
auch als Symbol für das Leiden Millionen anderer Opfer von
Nationalsozialismus und Genoiziden zu nutzen.
Und so kam es dann auch. Der Gedenktag am Samstag wurde sowohl für die Opfer des
Nationalsozialismus als auch für Opfer anderer Völkermorde konzipiert. Auf der
Hauptveranstaltung in der Methodist Central Hall in Westminster sprachen Überlebende
von Auschwitz, aber auch Überlebende der Genoizide von Kambodscha und Bosnien.
Die Veranstaltung wurde u.a. von Prinz
Charles, Premierminister Tony Blair, dem Erzbischof von Canterbury und
Westminster und dem englischen Oberrabbiner Jonathan Sacks besucht.
Noch am Abend zuvor wurde die Kontroverse von der Absage der Queen für die
Hauptveranstaltung überschattet. Sie wolle ihren Aufenthalt auf Sandringham
nicht unterbrechen.
Im ganzen Land fanden weitere
Veranstaltungen, Baumpflanzungen, Ausstellungen, Workshops und Filmvorführungen
statt.
Der erste Holocaust-Gedenktag in England hat in jedem Fall gezeigt, dass das
Erinnern an die Schoah weiterhin ein sensibles und schwieriges Thema ist, das
vielschichtig und komplex ist. Doch gerade darin zeigt sich auch die
Notwendigkeit, diesen Gedenktag jedes Jahr aufs Neue zu begehen.
Andrea Übelhack
haGalil onLine 29-01-2001
|