Hannah Arendts Essays für
den "Aufbau":
"Vor Antisemitismus ist man nur
noch auf dem Monde sicher"
Andrea Übelhack
Hannah
Arendt
Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher
Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung "Aufbau" 1941-1945,
Piper Verlag 2000, Euro 19,90
"Ein Heim, das mein Nachbar nicht anerkennt und respektiert, ist kein
Heim. Ein Jüdisches Nationalheim, das von dem Nachbarvolk nicht
anerkannt und nicht respektiert wird, ist kein Heim, sondern eine
Illusion - bis es zu einem Schlachtfeld wird."
Diese Feststellung traf Hannah Arendt schon im März 1945 in einer Kolumne für
eine Zeitung. Der vorliegende Band faßt alle Beiträge Hannah Arendts für diese
deutsch-jüdische Exilzeitung "Aufbau" zusammen, die sie zwischen 1941 und 1945
verfaßte.
Hannah Arendt wurde 1906 in Königsberg geboren und studierte bei Heidegger,
Jaspers und Bultmann Philosophie und Theologie. 1926 hörte sie einen Vortrag von
Kurt Blumenfeld, Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, der
ihr die Augen öffnete und sie für den Zionismus begeisterte. Denn der Zionismus
bot eine Alternative zur Assimilation, die Hannah Arendt vehement ablehnte.
Opfer sein ist für sie entgegen der menschlichen Natur, der Mensch hat als
einziger die Fähigkeit zu selbständigem, überlegtem Handeln.
Hannah Arendt beteiligte sich auch aktiv in
der zionistischen Arbeit und trat 1933 der World Zionist Organization bei, in
Paris leitete sie dann auch das Büro für die Jugend-Alijah. Ihr eigenes
Schicksal als Flüchtling ist mit Sicherheit von Bedeutung in Bezug auf das Werk
Hannah Arendts. 1937 wurde sie sogar in das südfranzösische Lager Gur
interniert. 1941 floh sie dann von Frankreich nach Amerika.
Im "Aufbau" wurde Hannah Arendt schnell die einzige externe Kolumnistin. Nachdem
sie die Arbeit abgebrochen hatte, nahm sie sie 1944 erneut wieder auf, als
Nachrichten von jüdischem Widerstand in Europa an ihre Ohren gelangten und die
Briten die jüdische Brigade aufstellten.
Der "Aufbau" wurde am 1. Dezember 1934 zunächst als kostenloses Vereinsblatt des
New Yorker Einwanderungsclubs "German Jewish Club" gegründet, wurde aber bald
der wichtigste Anlaufpunkt und Sammelbecken für die Belange deutsch-jüdischer
Einwanderer. Seine Auflage stieg stetig, 1940 waren es noch gut 10.000, 1944
schon 32.000. Ab 1941 saßen u.a. Thomas Mann, Albert Einstein und Lion
Feuchtwanger im Beirat. Zu den Autoren zählten etwa Kurt Blumenfeld, Franz
Werfel und Stefan Zweig.
Es sind die einzigen tagespolitischen Äußerungen Hannah Arendts aus dieser Zeit.
Wenn auch ihre politischen Ansichten bereits bekannt sind, ist es mehr als
aufschlußreich diese im tagespolitischen Zusammenhang neu kennenzulernen. Und
die Essays markieren auch den Weg von der Biographie Rahel Varnhagens zu Arendts
philosophischem Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
Hannah Arendt konzentriert sich im wesentlichen auf zwei große Themenbereiche,
die Notwendigkeit einer jüdischen Armee und die Lösung der Palästinafrage. Ende
1942, als die Bildung einer eigenen Armee von der Tagesordnung der jüdischen
Politik gestrichen wurde, brach Hannah Arendt ihre Mitarbeit zunächst ab, um sie
nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto voll neuen Mutes erneut wieder
aufzunehmen.
Die "Aufbau"-Texte zeigen zunächst sehr deutlich die Maxime von Hannah Arendts
Leben: Handeln, politisches Handeln. Schon zu ihrer Studentenzeit war das
Phänomen der Assimilation, der jüdische Parvenü ein Thema. Die Einstellung ihrer
Mutter im Umgang mit dem Antisemitismus war prägend: "Man darf sich nicht
ducken! Man muss sich wehren!" Ihr erste große Arbeit schrieb Hannah Arendt über
Rahel Varnhagen. In der Judenverfolgung des Dritten Reichs sah Hannah Arendt die
Konsequenz der beiden, für sie grundfalschen, Verhaltensweisen der Juden:
Assimilation und Märtyrer-Mentalität, die mit dem Glauben an die eigene
Auserwähltheit Hand in Hand ging.
In ihren Essays fordert sie immer wieder entschiedenes politisches Handeln. In
der Debatte um die jüdische Armee: "Die Verteidigung Palästinas ist ein Teil des
Kampfes um die Freiheit des jüdischen Volkes." 14.11.1941 Und im Kampf gegen den
Antisemitismus und Faschismus: "Wir können den Antisemitismus nur bekämpfen,
wenn wir mit der Waffe in der Hand gegen Hitler kämpfen." 26.12.1941 In Bezug
auf Palästina hatte Hannah Arendt sehr konkrete Vorstellungen. Ein binationaler
Staat hätte immer den Nachteil, daß die Juden hier nur in der Minderheit wären.
Das dies jedoch keine Lösung sein könne, habe die Geschichte vieler Staaten in
Mittel- und Osteuropa nach 1918 gezeigt. Hannah Arendt sieht die Lösung in der
Gründung eines jüdischen Staates, der in eine Föderation integriert wird:
"Föderative Ordnungen haben große Zukunftschancen, weil sie am Erfolg
versprechensten nationale Konflikte lösen und deshalb zur Grundlage eines
politischen Lebens werden können, das Völkern die Möglichkeit gibt, sich
politisch zu reorganisieren." 17. und 31.12.1943
In Israel wird auch heute noch eine leidenschaftliche Debatte über Hannah Arendt
geführt, was im wesentlichen an ihrem Werk über den Eichmann-Prozeß "Eichmann
in Jerusalem. Die Banalität des Bösen" liegt. Hannah Arendt interpretierte
jedoch nicht nur in diesem Fall entgegen der zionistischen Ideologie. Dennoch
war sie keine Anti-Zionistin, was ihr sehr oft vorgeworfen wird, vielmehr war
sie schon auf einem Standpunkt, den man erst lange Zeit später als
Post-Zionismus bezeichnete.
Hannah Arendt war ganz im Gegenteil eine überzeugte Zionisten. Sie sah die
Gründung des Staates Israel und die damit einhergehende Schaffung einer neuen
Gesellschaftsform als die einzige mögliche Alternative zur Assimilation und die
einzige Möglichkeit für Juden, ein normales Volk zu werden.
haGalil onLine
16-01-2001
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