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Der 56 Jahre alte Efraim Sneh ist seit August 1999 stellvertretender
Verteidigungsminister und einer der wenigen Minister im Kabinett
Ehud Baraks, die geblieben sind. Sneh blickt wie viele israelische
Politiker auf eine jahrzehntelange militärische Laufbahn zurück.
Zwar gilt er als mild im Auftreten, sein Amt aber versieht er in
militärischer Strenge. Ganz wie sein Vorgesetzter
Verteidigungsminister Barak, mit dem ihn eine enge Freundschaft
verbindet. Thorsten Schmitz sprach mit Sneh im
Verteidigungsministerium in Tel Aviv.
SZ: Angeblich akzeptiert Palästinenserpräsident Jassir Arafat unter
Vorbehalten den US-Friedensplan von Bill Clinton. Soll man das
glauben?
Efraim Sneh: Vorsicht! Wenn Arafat zu irgendetwas Ja sagt, ist das
stets an ein 'aber' gekoppelt. Das habe ich aus seinem oft
undurchschaubaren Verhalten gelernt: Jedes Ja ist in Wahrheit ein
Nein, das Arafat in Bedingungen tütet, die Israel nicht akzeptieren
kann. Wir müssen also sicherstellen, dass alles, wofür Arafat sich
nach dem arabischen Gipfel ausspricht, nicht wieder ein als Ja
getarntes Nein ist. Unabhängig davon: Wenn Clinton sagt, dass
Arafats Antwort positiv ausfällt, muss Barak die Verhandlungen
wieder aufnehmen.
SZ: Welches Spiel spielt Arafat?
Sneh: Wir verstehen ihn selbst nicht mehr. Es sieht so aus, als
verstünde er nicht, was auf dem Spiel steht. Es geht hier nicht um
den günstigen Kauf eines Gebrauchtwagens und darum, ob der Wagen für
20 000 Dollar verkauft werden soll oder für 19 000. Wir verhandeln
hier über das Schicksal zweier Nationen . . .
SZ: . . . zum letzten Mal?
Sneh: Ja, der Clinton-Plan ist die letzte Chance. Arafat kann nicht
mehr spielen. Wenn er sein Ja an Bedingungen knüpft, von denen er
weiß, dass Israel sie nicht erfüllen kann, zeigt das, dass ihm nicht
ernsthaft an Frieden gelegen ist. Dies ist eine einmalige
historische Gelegenheit. Arafat wird nie wieder eine bessere Chance
angeboten bekommen als die, die jetzt auf dem Tisch liegt.
SZ: Und wenn er sie nicht erkennt?
Sneh: Dann sind die Verhandlungen gescheitert und als Folge setzt
sich die Spirale der Gewalt fort. Das wird verheerende Folgen
haben.
SZ: Barak spricht von Krieg.
Sneh: Er wird wissen, wovon er spricht.
SZ: Wenn selbst Barak an Arafat scheitern sollte - wer kann es
dann?
Sneh: Wenn wir scheitern, wird es vielleicht niemand mehr
versuchen.
SZ: Eine von Arafats wichtigsten Bedingungen ist das Recht der
Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in das Gebiet, das seit 52
Jahren Israel ist.
Sneh: Wir können diesem Recht nicht zustimmen, weil dies das Ende
des jüdischen Staates bedeuten würde. Arafat weiß das, und fordert
es trotzdem.
SZ: Weil er sich in eine Sackgasse manövriert hat: Verzichtet er auf
das Rückkehrrecht, wird ihm das eigene Volk die Hölle heiß machen.
Besteht er darauf, werden die USA und die EU die Geduld verlieren
und die Palästinenser als uneinsichtig betrachten. Wie soll Arafat
aus dieser Situation herauskommen?
Sneh: Arafat spricht mit gespaltener Zunge. In Washington redet er
über Kompromisse, doch wenn er nach Gaza zurückkehrt, bestärkt er
seine Landsleute, sie würden bald die Flagge hissen über dem
Tempelberg und nach Israel zurückkehren. Statt zu lügen, hätte
Arafat seinem Volk die Wahrheit beibringen müssen: Dass die
Palästinenser nie zurückkehren werden nach Haifa, Ramla, Jaffa und
Akko, dafür aber einen Staat haben werden, der ihr eigener wäre, zum
ersten Mal in der Geschichte des palästinensischen Volkes. Dazu
hatte Arafat nie den Mut, denn in Wahrheit fürchtet er einen
modernen Staat - ihn könnte er als ungelernter Demokrat nie
regieren. Ein Führer muss seinem Volk die Wahrheit sagen. Arafat
führt ein Doppelleben.
SZ: Die Palästinenser waren bislang regiert von Türken, Briten,
Ägypten, Jordanien und Israel. Sie stehen kurz vor einem
unabhängigen eigenen Staat - warum ergreift Arafat nicht die
Gelegenheit und sucht in Verhandlungen, Palästinas Dasein zu
verbessern, anstatt auf die Erfüllung aller Forderungen zu pochen?
Sneh: Aus westlicher pragmatischer Sicht ist das Verhalten der
Palästinenser unverständlich. Wir müssen uns womöglich eingestehen,
dass wir einer Illusion erlegen sind: Arafat verhält sich eben nicht
nach vernünftigen Maßstäben. Bei ihm ist es immer alles oder nichts,
und wenn er nicht weiter weiß, greift er zum Mittel der Gewalt.
SZ: Ist ihm die Kontrolle entglitten?
Sneh: Wir beobachten, dass die Kämpfe gegen Israel auch die
Autorität von Arafats Regierung unterhöhlen. Die Befehlsgewalt ist
regionalen Kriegsherren wie Fatah-Führer Marwan Barguti übertragen
worden, was wiederum Arafat in Gaza schwächt. Wir haben es mit einem
Zusammenschluss von Banden zu tun, die Arafat nicht kontrolliert.
SZ: Was macht Clinton und Barak so sicher, sie könnten mit Arafat
eine Übereinkunft in existenziellen Fragen wie Jerusalem und
Flüchtlingen binnen zwei Wochen erzielen - wenn dasselbe in den
letzten sieben Jahren nicht geglückt ist?
Sneh: Wir werden in zwei Wochen nicht einen umfassenden Friedensplan
erstellen. Wir könnten uns allerdings auf Rahmenbedingungen
einigen.
SZ: Worauf beruht Baraks Annahme, er werde von der Mehrheit der
Israelis bei einem Friedensschluss unterstützt. Hört nicht
spätestens bei der Kontrolle über den Tempelberg selbst beim
linkesten Israeli die Friedensliebe auf?
Sneh: Alle Umfragen zeigen, dass mehr als 60 Prozent der Israelis
für ein Friedensabkommen sind. Wir müssen nur garantieren, dass die
Sicherheit Israels gewährleistet bleibt und dass wir keine
Kompromisse in vitalen Interessen eingehen. Die Esplanade des
Tempelbergs zählt nicht zu den existenziellen Orten Israels. Ich bin
auch nicht sicher, dass ich einem Friedensschluss unter allen
Umständen zustimmen würde. Aber ich weiß, was ich aufzugeben bereit
bin und was nicht.
SZ: Israel setzt nach Beobachtungen von Menschenrechtsgruppen
'exzessive Gewalt' bei der Bekämpfung der Unruhen ein. Anstatt
Demonstranten mit nicht-tödlichen Mitteln wie Wasserwerfern und
Tränengas auseinander zu treiben, lautet der Vorwurf, schieße die
israelische Armee scharf und gezielt und exekutiere Fatah-Führer.
Sneh: Was Sie nicht-tödlich nennen, ist nicht effektiv im Kampf
gegen diese Intifada. Die Art der Angriffe und Ausschreitungen, mit
der unsere Soldaten konfrontiert sind, verbietet es, nur mit
nicht-tödlichen Waffen zu reagieren. Und die Fatah-Aktivisten haben
Anschläge organisiert, bei denen bislang mehr als 40 Israelis
getötet wurden.
SZ: Die meisten der etwa 300 palästinensischen Opfer starben durch
Schusswunden im oberen Körperbereich. Warum zielen die israelischen
Soldaten nicht auf die Beine?
Sneh: Das tun sie in den meisten Fällen auch. Unsere Soldaten dürfen
nur dann tödliche Schüsse abfeuern, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Es
ist einfach, durch Fernsehbilder ein Bild von den Kämpfen zu
suggerieren, in dem zwei palästinensische Jugendliche Steine auf
zehn Soldaten werfen. Was die Kamera nicht zeigt, sind die
palästinensischen Scharfschützen auf Hausdächern und Toreinfahrten,
die nicht im Bild sind.
SZ: Wird es Frieden geben?
Sneh: Ich glaube an dessen Notwendigkeit. Es gibt keine Alternative
dazu, selbst wenn wir uns bekämpfen: Am Ende wird doch wieder
verhandelt werden. Ich glaube an das Potenzial
israelisch-palästinensischer Synergien. Heute habe ich israelische
Unternehmer getroffen, die einen Plan für ein gemeinsames
israelisch-palästinensisches Projekt aus Industrieparks und
Erholungszonen in Israel und im Westjordanland entwickeln. Deutsche
Firmen und die Bundesregierung sponsern das Projekt. Jeder Israeli
würde mich für verrückt halten, aber ich glaube, Frieden und
wirtschaftliche Zusammenarbeit sind die Zukunft.
SZ: Gleichzeitig entwickeln Sie Pläne, wie Israel die Abtrennung von
den Palästinensergebieten vollziehen kann.
Sneh: Israel muss auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein. Arafat
weiß sehr wohl, dass wir 100 000 Palästinensern verbieten können, in
Israel zu arbeiten. Das bedeutete einen Einkommensverlust von 35
Prozent und eine Zunahme an Armut in den Palästinensergebieten. Das
würde letztlich auf Arafat zurückfallen. Die Zukunft heißt
Koexistenz.
SZ: Und wie sähe die Zukunft aus mit Ariel Scharon als
Premierminister?
Sneh: Düster und voller Gräber. Blicken Sie doch zurück ins Jahr
1982: Wer hat damals den katastrophalen Libanon-Einmarsch initiiert?
Scharon.
haGalil onLine
05-01-2001
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