Vielleicht doch ein
Staat für zwei Völker?
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Das Projekt eines
palästinensischen Staates neben Israel
könnte scheitern. Dann werden wir uns die Frage stellen
müssen, wie ein Staat für beide Nationen aussehen könnte.»
Von Oliver
Fahrni Assad Suwaad
hörte von seinem Unglück am Radio. «Ich bin heimgerast, aber es war zu spät.
Als ich hinkam, sah ich, dass ich kein Zuhause mehr habe.» Israelische
Polizisten waren am vergangenen 2.April nach Um al-Sehali gekommen und
hatten die Häuser von Assad, Madi und Kabah Suwaad plattgewalzt. Das Dorf
soll einer jüdischen Siedlung weichen.
Zwei Tage später versuchten junge Araber, die Häuser wieder hochzuziehen.
Polizei marschierte auf. Die Bewohner riefen die Nachbarn aus Shfaram zu
Hilfe. Bei der nachfolgenden Strassenschlacht wurden acht Araber schwer
verletzt. «Nur die Ankunft von Knesset-Abgeordneten und Journalisten
verhinderte ein Blutbad», glaubt ein Sprecher der Stadt Shfaram.
Irritiert beobachteten die Israeli seither am Fernsehen die
Protestmärsche und den Generalstreik der sonst ruhigen arabischen
Bevölkerung. Denn nicht im Gazastreifen oder in der Westbank spielten die
Jagdszenen, sondern in israelischem Kernland, im Galil, nur wenige Kilometer
östlich der Hafenstadt Haifa. Die drei Suwaad-Brüder sind israelische
Bürger. Es wird ihnen kein Verbrechen zur Last gelegt. Sie haben ihre Häuser
vor 23 Jahren gebaut, auf Land, das ihre Grosseltern vor Jahrzehnten
rechtmäßig erwarben. Aber das Dorf Um al-Sehali existiert auf keiner
israelischen Landkarte. Es wurde von den Behörden nie offiziell anerkannt
wie mehr als 120 arabische Siedlungen in Israel.
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Scharfe Segregation:
Israelisch-arabische Begegnungen
nur beruflich
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«Warum wollen sie uns hier
weghaben?» fragt Suwaad. «Wir sind auf diesem Land geboren. Ein
Neffe diente in der israelischen Armee. Die Demolierung und der
Überfall der Polizei werden nur den Hass zwischen Arabern und Juden
anstacheln.» Suwaad sagt das fast tonlos.
Die jungen, zornigen Männer vor dem Café in der Hauptstrasse von
Shfaram führen eine schärfere Rede. Karim schiebt seine
Swatch-Windsurferbrille ins kurze Haar: «Es ist immer die gleiche,
alte Geschichte. Sie erwarten, dass wir uns wie normale Bürger
benehmen aber ohne Land und ohne Rechte.» An der Universität
Haifa, wo Karim derzeit in Politwissenschaft abschliesst, trommeln
jüdische Studenten gegen die «ethnische Bedrohung» durch die
israelischen Araber. Sie werden durch die Regierungspolitik
ermutigt: Der «Masterplan für den Norddistrikt» dient dem Ziel, «die
jüdische Bevölkerung des Galil (Galiläa) zu verstärken». Dazu will
der Staat weitere Zehntausende von Hektaren Boden an Organisationen
wie die Jewish Agency überschreiben.
«In Europa nennt ihr sowas ethnische Säuberung», provoziert Karim.
«Ich bin es leid, im eigenen Land wie ein Immigrant zu leben. Ich habe es
satt, seit meiner Geburt als ambulantes Sicherheitsrisiko zu gelten.» Vor
ein paar Jahren musste der Student in einer Arbeit seine Identität
definieren. Er notierte: 1.Araber, 2.Israeli, 3.Muslim. «Heute würde ich
schreiben: 1. Palästinenser, 2. Palästinenser, 3. Palästinenser.»
So wie Karim oder die Gebrüder Suwaad sahen knapp eine Millionen
arabischer Bürger Israels (19% der israelischen Bevölkerung) keinen Grund zu
feiern, als Herzls Staat fünfzig wurde. 1948 war für sie die «Nakbah», die
grosse Katastrophe, die Vertreibung und Enteignung von 800.000 Menschen, die
Flucht der Eliten, die Entmündigung der 150.000 Verbliebenen in einem Staat,
der sich noch immer als «jüdisch» definiert. «Dieser Staat wurde auf den
Ruinen der palästinenischen Nation und auf der Zerstörung unserer
Gesellschaft gebaut», sagt Azmi Bishara, Philosophieprofessor in Bir Zeit,
linker Essayist und Knessetabgeordneter.
Etliche Palästinenser Anwälte, Ärzte, Industrielle haben sich in
der israelischen Gesellschaft gut eingerichtet. Sie sind, das zeigt das
Straßenbild von Haifa oder Jerusalem, jungen Palästinensern Vorbild und
Ansporn. «Eigentlich möchten wir nur gut leben, etwas "Bizniz" machen»,
bekennt Georges, der in einer Bar an Tel Avivs Hipmeile Dizengoff-Strasse
die Schlummerdrinks mixt. Sechs Tage lang spielt er den Juden, kennt sich
bei Gideon-Oberson-Klamotten und Mobiltelefonen aus, spricht über die vielen
Autounfälle, witzelt in bestem Englisch über die neurotische jüdische
Gesellschaft und eine Sängerin, die in Europa mit Liedern der grossen
Ägypterin Om Khaltum tourt. Am siebten Tag outet er sich als
palästinensischer Maschinenbauingenieur. Seine (christliche) Familie stammt
aus Zentralisrael, wurde enteignet und zweimal umgesiedelt.
Georges sucht seit mehr als einem Jahr Arbeit. «Meine Freunde haben
alle längst gute Jobs» «Die jüdischen Freunde?» «Klar, ich war doch an
der Uni der einzige Araber weit und breit». (27.000 Studenten lernen an der
Universität Tel Aviv, darunter nur 200 Palästinenser, weiss die jüdische
Studentenorganisation). Georges hat einen exzellenten Abschluss gemacht,
aber ihm fehlen «die Punkte»: Wer eine Stelle, Kredit oder eine Wohnung
sucht, wer Sozialleistungen beansprucht, qualifiziert sich dafür in einem
informellen Wertungsystem, zum Beispiel mit dem dreijährigen Militärdienst.
Problem: Araber werden Beduinen und Drusen ausgenommen nicht eingezogen.
Ein Handikap: Die Armee ist Sozialisierungsinstanz, Kupplerin sozialer
Kontakte und Stellenvermittlerin zugleich. «Ich wäre gerne wie ein ganz
gewöhnlicher Israeli», sagt Georges: «Das ist mein Recht.»
So holt die tägliche Diskriminierung, der ständig geforderte
Nachweis der eigenen Indentität, die Palästinenser immer wieder in die
Politik zurück. Araber verdienen im Schnitt nur 2494 Schekel, wo ein Jude
4555 Schekel bekommt. 31 Prozent der palästinensischen Familien leben unter
dem Existenzminimum aber nur 15 Prozent der jüdischen. In den arabischen
Schulen kommen auf jeden Lehrer 24,1 Schüler, in den jüdischen 12,4. Gerade
25 Araber verlieren sich in 2400 hohen Beamtenrängen.
Dr. Hatim Kanaaneh schiebt Zahl um Zahl über den Tisch, alle akribisch
belegt. Er praktiziert in Araba, nördlich von Nazareth. Obwohl er in Harvard
seinen Doktor gemacht hat und mit einer Hawaiianerin verheiratet ist, kehrte
er auf die Ländereien seines Clans zurück. In der Sprechstunde
diagnostiziert er täglich die Folgen von hoher Jugendarbeitslosigkeit,
zerfallenden Sozialbeziehungen, Diskriminierung: «Wir haben ein wachsendes
Drogenproblem, schwere psychosomatische Krankheiten zuhauf und eine starke
Zunahme der Gewalt.» Der Landdoktor mit dem politischen Weitblick ist einer
der Köpfe hinter «Ittijah», dem Zusammenschluss von 32 palästinensischen
Hilfs-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen. Vor kurzem
deponierten sie beim Uno-Komitee gegen rassische Diskriminierung eine 127
Seiten starke Anklageschrift, die Dutzende von antiarabischen israelischen
Gesetzen und Verordnungen nachweist. Kanaaneh: «Wir leben als Bürger in
einem Staat, der allein darauf angelegt ist, für die Juden zu sorgen. Als
Palästinenser verliere ich immer. Und es ist völlig legal.»
Apartheid ist es nicht aber eine räumliche und soziale
Segregation. Juden und Araber begegnen einander, intellektuelle,
politische und kulturelle Millieus ausgenommen, nur beruflich.
Georges fährt nach der Arbeit nach Jaffa, in den anderen, älteren
Teil Tel Avivs, obschon er äusserlich, sprachlich oder in seiner
Kleidung von einem Juden nicht zu unterscheiden ist. Umgekehrt mag
sich der Besitzer des In-Schuppens «Havanna», wo jüdische Trendies
Salsa zelebrieren, kaum vorstellen, dass bei ihm Palästinenser
feierten. Grenzgänger, sagt Georges, gebe es doch, «manchmal gehöre
ich dazu. Aber das geschieht im privaten Rahmen.»
Die so erfolgreiche zionistische Idee hat den Widerspruch zwischen
Demokratie und ethnisch-religiös verfasstem Staat nie gelöst. Mehr
Gleichberechtigung der arabischen Bürger setzt einen säkularisierten
Bürgerstaat voraus. Das Gegenteil geschieht: Selbst linke Juden
fühlen sich durch den wachsenden Einfluss der Ultraorthodoxen und
den Einfluß der Nationalreligiösen immer stärker bedroht.
Die palästinensischen Bürger Israels haben seit der Intifada und dem
Friedensabkommen von Oslo Selbstbewusstsein gewonnen und ihre
Identität geklärt. «Als ich die Palästinenser auf der einen, die
israelischen Soldaten auf anderen Seite sah, wusste ich, wer ich
bin», sagt Slimane, ein Beduine, der in der Negev-Wüste gegen die
Landenteignungen kämpft. Aber das Verhältnis der israelischen Araber
zur palästinensischen Autonomiebehörde ist gespalten. Kaum einer
möchte in einen bantustanähnlichen Rumpfstaat umziehen, wie er sich
heute abzeichnet. «Warum sollten wir?», fragt Mahmoud Muhareb,
Professor an der Universität Bethlehem und leitendes Mitglied der
Partei Demokratische Nationalversammlung. «Hier ist unser Land. Vor
allem haben wir demokratische Errungenschaften, die wir für die
palästinensische Nation entwickeln müssen. Die Autonomiebehörde
bleibt in einer autoritären Versuchung gefangen. Gewaltentrennung,
Redefreiheit, Demokratie sind nicht einfach Fragen besseren Lebens
sie entscheiden über die Zukunft der Nation.»
Bischara hat gar den Verdacht, das Projekt vom eigenen Staat neben
Israel könnte scheitern: «Das ist nicht die einzige denkbare Lösung.
Wenn die Integration durch die Kolonialisierung der Westbank
fortschreitet, werden wir zu einen Staat mit zwei Nationen kommen
müssen.»
Ehrgeiziges Vorhaben. Was den arabischen Demokraten in Israel droht,
wenn sie dem jüdischen Establishment nicht mehr Rechte abringen, ist
in Nazareth zu besichtigen. Tapfer, die Verkündigungskirche fest im
Videoauge, ziehen kompakte Touristengruppen den Berg hoch, von der
arabischen Unter- zur jüdischen Oberstadt. Vorbei an einem
unscheinbaren Zelt. Bärtige Männer schrubben den Asphalt fürs Gebet.
Es werden 4000 kommen. Reiner Islam, keine Politik, versichert der
Imam. Doch eine Handvoll junger Islamisten nimmt uns zur Seite:
«Sagt den Juden und ihren palästinensischen Komplizen: Dieses Land
wird eine islamische Republik.»
haGalil onLine
05-01-2001
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