antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

"Wo kein Mehl ist,
ist auch keine Torah!"
"Im ejn Kemach - ejn Torah!"

SZ-Interview mit Oberrabiner Paul Eisenberg 
über Geld und Barmherzigkeit

"Von gutem Weißbrot 
und guten Taten“

Das Recht der Armen, Waisen und Fremden 
auf eine Beteiligung am Wohlstand

Ferien - Fitness - Wellness

Jüdische Buchhandlung Morascha - Zürich - Bücher zum Judentum, Ritualia...

 

(SZ) Stehen Religiosität und Geldverdienen im Widerspruch? Nein, sagt Paul Chaim Eisenberg. Er ist Oberrabiner der israelitischen Kultusgemeinden von Österrreich. Im Judentum ist es völlig akzeptiert, wenn jemand auf ehrliche Weise reich wird. Bedürftige jedoch haben das Recht auf Beistand der Gesellschaft.

SZ: Herr Oberrabiner, passen Religion und Geldverdienen zusammen?

Eisenberg: Die jüdische Religion verurteilt es keineswegs, wenn die Menschen durch fleißige Arbeit ihren Unterhalt verdienen. Und auch nicht, wenn sie noch mehr darüber hinaus verdienen. Allerdings wird gesagt: Wenn jemand wohlhabend ist, dann soll er einen Teil seines Wohlstands für soziale Zwecke geben, damit auch der nicht so glückliche Teil der Menschen etwas davon hat.

SZ: Im Alten Testament gibt es viele sehr präzise Vorschriften, die eine regelrechte Umverteilung zu Gunsten der Armen vorsehen.

Eisenberg: Diese Vorschriften kann man nicht mehr so wörtlich nehmen, wie sie in der Bibel stehen, denn die haben alle irgendwie mit Landwirtschaft zu tun. So musste man gefallene Ähren liegen lassen. Die Ecken des Feldes durfte man überhaupt nicht abernten. Die standen den Bedürftigen zu. Damit sind nicht nur die Armen gemeint, sondern auch Witwen, Waisen und besonders Fremde. Bei den Fremden ist die Bibel sehr sensibel, weil sie weiß, dass sie oft nicht ihren Unterhalt selbst verdienen können. Die Juden waren ja auch Fremdlinge in Ägypten. Arme, Witwen, Waisen und Fremde haben das Recht, auf die Felder zu gehen und sich die Ähren jederzeit zu holen, ohne Bittsteller zu sein. Der, der hat, und zwar nicht nur der Millionär, ist aufgerufen, mit anderen zu teilen.

SZ: Und was bedeutet das heute?

Eisenberg: Das Wort Zedakah, was auf hebräisch „Unterstützung für Arme“ bedeutet, stammt von Zedek ab, und das heißt „Gerechtigkeit“. Es gibt zwei Formen der Almosentätigkeit. Das eine ist Zedakah, die Wiederherstellung des Rechts: Wer zu wenig zum Leben hat, dem muss man ganz einfach helfen. Dann gibt es einen zweiten Begriff: Barmherzigkeit, die geht darüber hinaus.

Dazu gibt es eine Geschichte: Zu einem Rabbi kommt eine arme Frau und erzählt ihm ihr Schicksal. Er gibt ihr Geld und dann, nachdem sie ihn schon verlassen hat, läuft er ihr nach und gibt ihr nochmals etwas. Und als sie ihn fragt, warum er ihr denn zweimal helfe, antwortet ihr der Rabbi: Das erste Mal, da hatte ich so viel Erbarmen in meinem Herzen, dass ich Ihnen das Geld aus Barmherzigkeit gegeben habe. Dabei habe ich ganz vergessen, dass ich es Ihnen ja aus Verpflichtung hätte geben müssen.

SZ: Wenn zu Ihnen ein Unternehmer kommt und Sie um ethische Maßstäbe für sein Tun bittet, was antworten Sie ?

Eisenberg: Nach der Bibel soll man unrecht erworbenes Geld nicht für gute Zwecke verwenden. Das ist vielleicht etwas idealistisch. Aber wenn jemand einen Teil des Geldes, das er ergaunert hat, für gute Zwecke spenden will, dann ist das sicher nicht im jüdischen Sinne. Ehe wir Geld weitergeben, müssen wir daran denken, wie wir es verdient haben. Es gibt sogar Anweisungen dafür, wem man bevorzugt spenden sollte. Zum Beispiel sollten die Armen der eigenen Stadt zunächst bedacht werden. Es hilft nicht viel, wenn man sein ganzes Geld nach Afrika schickt und dabei übersieht, wie es um einen herum aussieht. Die Armen der eigenen Stadt haben einen gewissen Vorrang; außerdem sollen, das ergibt sich aus der Geschichte, besonders die Bedürftigen in Israel bedacht werden.

SZ: Es gibt eine lange Tradition des jüdischen Mäzenatentums. Salomon, der Onkel von Heinrich Heine, hat das Israelitische Krankenhaus in Hamburg gestiftet. Ist diese Tradition noch lebendig?

Eisenberg: Es entspricht tatsächlich alter Tradition, nicht nur einzelne zu bedenken, sondern Institutionen – Krankenhäuser, Universitäten Thoraschulen. Insgesamt kann man schon sagen, dass die Juden im Verhältnis ihre Taschen offen halten. Vielleicht hat das damit zu tun, dass das Spenden als Verpflichtung gilt. Lassen Sie mich auch dazu eine Geschichte erzählen: Ein Rabbi war zum Frühstück bei einem reichen Mann eingeladen und sah, dass dieser nur trockenes Brot und einen Hering aß. Du musst künftig richtig frühstücken, sagte der Rabbi daraufhin, mit Weißbrot und Eiern. Sonst denkst du, die Armen bräuchten noch weniger als Schwarzbrot und Heringe. Und dann spendest du zu wenig. Das heißt: Wenn einer zu sich selbst knauserig ist, dann ist er es auch zu anderen.

SZ: Eine Stelle in der Bibel, die Ökonomen immer irritiert, ist das Zinsverbot. Wie kam es in die Bibel und was soll man heute damit machen?

Eisenberg: In der Bibel steht das Verbot, weil man fürchtete, dass die Menschen Wucherzinsen nehmen und dass nicht der den Vorteil hat, der das Geld braucht. Im Talmud und in anderen Gesetzeswerken hat man versucht, einige nicht mehr ganz zeitgemäße biblische Vorschriften zwar nicht aufzuheben, sie aber doch anzupassen. So ist das auch mit den Zinsen. Religiöse Juden können einen Vertrag schließen, nach dem ich, wenn ich jemandem Geld borge, nicht Zinsen nehme, sondern Partner im Geschäft des anderen werde. Dabei spricht er mir einen gewissen Anteil an seinen Gewinnen zu, und zwar unabhängig davon, ob das Geschäft tatsächlich Gewinne abwirft. Damit ist man dem Wort „Zinsen“ ausgewichen. Manche würden sagen: Das ist eine Rechtsverdrehung...

SZ: ... in der Tat...

Eisenberg: ... aber es ist ganz einfach notwendig in der heutigen Zeit. Es ist gar nicht möglich, dass Juden keine Zinsen nehmen, weil sie ja auch Zinsen geben müssen. Dadurch wird das Gewissen beruhigt und den Buchstaben des Gesetzes Rechnung getragen.

SZ: Die Wurzeln des Zinsverbotes sind sozialpolitischer Natur?

Eisenberg: Es ist ein solidarisches, sozialpolitisches Prinzip; und schon zu Zeiten der Bibel war es auf das eigene Volk beschränkt. Weil Juden anderen Menschen Zinsen zahlen müssen, dürfen sie dort auch welche nehmen. Aber offensichtlich gab es in der jüdischen Geschichte eine Zeit lang eine Gesellschaft ohne Zinsen. Wie lange das so gegangen ist, weiß man nicht.

SZ: Kann man denn den sozialpolitischen Gehalt des Zinsverbotes bewahren, ohne zu Tricks Zuflucht zu nehmen?

Eisenberg: Die ökonomische Wirklichkeit ist heute eine ganz andere. Wenn ich Geld auf einem Sparbuch habe und der Bank somit einen Kredit gebe, dann ist die Bank nicht der schwache Geschäftspartner, der geschützt werden muss. Lassen Sie mich hier noch auf einen anderen Zusammenhang hinweisen: Der Philosoph Maimonides nennt in seinem Gesetzeswerk acht Stufen der Unterstützung für andere. Die einfachste Stufe besteht darin, dass man einfach Geld gibt, ohne sich weiter darum zu kümmern, die höchste Stufe ist es, jemandem zu ermöglichen, ohne Almosen auszukommen, indem man ihm ein Darlehen gibt und ermöglicht, ein Geschäft zu machen.

SZ: Handel statt Hilfe, sagt man heute.

Eisenberg: Wir wollen jedenfalls das Armsein nicht perpetuieren. Ein Kredit, der Zinszahlungen nach sich zieht, kann durchaus dazu angetan sein, jemandem auf die eigenen Beine zu verhelfen.

SZ: Nun gibt es ja viele traditionsreiche jüdische Bankiersfamilien. Eigentlich erstaunlich vor diesem Hintergrund.

Eisenberg: Es war Juden bis zu den Toleranzedikten im späten 18. und 19. Jahrhundert nicht erlaubt, ein Handwerk auszuüben oder Grund und Boden als Bauern zu erwerben. Sie wurden in Zünfte nicht aufgenommen. Es blieb fast nur das Geschäft mit Geld. Gleichzeitig lebten Juden in allen Ländern. Deshalb hatten sie möglicherweise bessere internationale Kontakte als andere Menschen. Tatsächlich waren sie aber auch fleißig und bereit, ein Risiko einzugehen.

SZ: Das Judentum ist – im Vergleich zum Christentum – sehr diesseitsbezogen. Hat das eine Rolle gespielt?

Eisenberg: Das kann schon sein. Diesseitiges ist bei uns nicht pfui: Essen ist nicht verboten, es gibt nur Vorschriften darüber, was man essen darf und was nicht. Sex ist nicht verboten, er ist auch nichts Böses, aber nicht mit jedem und nicht immer. Und so wird auch Wirtschaftstreiben und Geldverdienen nicht als etwas grundsätzlich Böses gesehen.

SZ: Viele Ökonomen fasziniert der Gedanke des Bundes Gottes mit dem Volk Israel. Dieser Bund ist im Kern ein Vertrag, zu dem man Ja oder Nein sagen konnte. Macht diese Tradition die Juden besonders offen für die Marktwirtschaft?

Eisenberg: So wie Sie es formulieren, halte ich den Gedanken für etwas übertrieben. Aber es ist zum Beispiel so, dass wir bei Eheschließungen schon seit Tausenden von Jahren Verträge kennen. Was man heute so modern einen Ehevertrag nennt, das gibt es bei den Juden schon immer. Liebe ist gut, aber klare Regeln sorgen für Vertrauen. Ich würde daher nicht gerade den Vertrag von Gott mit dem jüdischen Volk nehmen, aber das Judentum ist schon vom Talmud her eine Religion, die sich sehr juristisch versteht.

SZ: Es geht ja um das Gesetz Gottes.

Eisenberg: Das Wort Gesetz, das bei Paulus so ein Schimpfwort war, ist bei uns sicher keines.

SZ: Sie meinen den Römerbrief: „So halten wir denn dafür, dass der Mensch gerecht werde durch den Glauben und nicht durch des Gesetzes Werke“. Inwiefern ist Gesetz da ein Schimpfwort?

Eisenberg: Es ging Paulus darum. das frühe Christentum zu propagieren, und das ging leichter mit dem Begriff der Liebe. Dieser Hinweis ist gar nicht antichristlich gemeint. Nur wurde eben den Juden vorgeworfen, für sie gelte nur das Gesetz, dabei sei die Liebe doch viel wichtiger. Das Gesetz kann zu starr sein. Im frühen Christentum wurde dieser Gegensatz, den es ja nicht wirklich gibt, viel zu sehr betont. Das Judentum kennt auch den Gedanken der Liebe: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst – das steht schon im Alten Testament. Und dass man Gott lieben soll, das steht dort auch. Wenn Jesus das in der Bergpredigt sagt, dann zitiert er seine jüdische Bibel. Aber es kann schon sein, dass das Judentum gerade durch den Talmud eine sehr juristische Gesetzesidee verfolgt.

SZ: Gibt es Unterschiede zwischen der Nächstenliebe nach dem Alten Testament und christlicher Barmherzigkeit?

Eisenberg: Für mich gibt es da keinen Unterschied.


Interview: Nikolaus Piper

Paul Chaim Eisenberg (hier bei der diesjährigen Chanukka-Feier am Stephansplatz in Wien) leitet seit 1983 die israelitische Kultusgemeinde Wien, seit 1988 ist er Oberrabiner von Österreich.

Foto: Robert Newald

haGalil onLine 23-12-2000

 

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved