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"Eigentlich", so Paul Spiegel, "sollte
diese Veranstaltung ganz und gar unnötig sein." Ginge es nach dem Wunsch des
Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, müßte er nicht auf einem
Podium sitzen und über die 2000-jährige Geschichte jüdischen Lebens in
Deutschland referieren. Und er müsste auch nicht die Geschichte seiner großen
Schwester erzählen, deren letzter Weg sie als junges Mädchen nach Auschwitz
führte.
Die deutsche Realität allerdings richtet
sich nicht nach den Wünschen Paul Spiegels, macht sein Werben für ein tolerantes
Miteinander nicht nur wünschenswert, sondern notwendig.
Gestern fand Spiegel den Weg ins
Gymnasium Werden, wo er sich auf Initiative des ehemaligen Studiendirektors
Klaus Bergmann der Diskussion mit einer Gruppe Schülern stellte. Und die
lauschten der Geschichte des Vorsitzenden und seiner Familie, erfuhren von
seinem Vater, "einem richtig guten Deutschen", wie Spiegel sagt, der neun Jahre
nach seiner Befreiung aus Dachau Schützenkönig im westfälischen Warendorf wurde.
Kleinstadt-Normalität nach der Katastrophe, die sogar ihren Weg in die
amerikanische Presse fand. Für Paul Spiegel ist diese Anekdote mehr als nur ein
Stück Familiengeschichte: "Dass Juden nach dem Holocaust weiterhin in
Deutschland ihre Heimat sahen, ist für mich eines der Wunder des letzten
Jahrhunderts."
War diese Entscheidung jedoch die
richtige? Und was, so eine Frage aus dem Kreise der Schüler, kann man persönlich
gegen rechtsradikale Umtriebe tun? Nachdenklich blickt Spiegel durch die Fenster
der Schulaula. "Heldentaten werden nicht verlangt, schaut nur nicht weg, wenn
etwas passiert und ruft um Hilfe. Tretet in Diskussionen für Toleranz ein. Mehr
kann man nicht tun", so der Vorsitzende des Zentralrats zu den Schülern. Die
Möglichkeiten des Staates sieht Spiegel jedoch noch nicht ausgeschöpft. Ein
verstärkter israelisch-deutscher Jugendaustausch und eine bessere finanzielle
Ausstattung vorbeugender Jugendarbeit sind laut Spiegel geeignete Mittel: "Ich
habe oft dafür plädiert, passiert ist aber nichts."
Von Resignation ist bei Paul Spiegel
allerdings keine Spur, und so nahm der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland gestern nur vorläufigen Abschied von den Werdener Schülern: "Ich
komme gerne wieder."
haGalil onLine
24-10-2000
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