Die Linke und der Antisemitismus
Tage des Zorns
von anton landgraf
Zuerst versuchten die Demonstranten, das Gebäude zu stürmen. Als ihnen die
Polizei den Weg versperrte, warfen sie mit Pflastersteinen und Betonplatten die
Scheiben der Alten Synagoge ein. Nur mit Mühe konnten weitere Übergriffe
verhindert werden, als am vergangenen Samstag Palästinenser - gemeinsam mit
deutschen Unterstützern - wegen der Ereignisse im Nahen Osten in Essen
demonstrierten.
Der »Tag des Zorns« fand in zahlreichen deutschen Städten statt, so auch in
Berlin. Während Anhänger der islamistischen Hamas-Bewegung auf dem
Alexanderplatz israelische Fahnen verbrannten, griffen die Freunde des
palästinensischen Volkes verbal die Teilnehmer einer Mahnwache vor der Synagoge
in Berlin-Kreuzberg an. Was seien schon ein paar Steine gegen die Bomben, die
auf Palästinenser fallen, riefen sie. In der Nacht zum Donnerstag hatten
Unbekannte die Fenster der Synagoge eingeworfen. »Israelis sind Kindermöder«,
stand tags drauf an der Mauer neben der Synagoge zu lesen.
Der Angriff auf die Alte Synagoge sei »eine unverantwortliche Tat von Leuten,
die wir nicht kennen und auf die wir keinen Einfluss haben«, distanzierte sich
der stellvertretende Generaldelegierte Palästinas in Deutschland, Mahmud
Alaeddin, von den Übergriffen. Den meisten sei bewusst, »dass die jüdischen
Gemeinden in Deutschland mit den Ereignissen in Palästina nichts zu tun haben«.
Eine optimistische Sicht der Dinge. Denn die Schlächter der Hamas können auch
in Deutschland durchaus mit einigen Sympathien rechnen. Zu ihren Freunden
gehören nicht nur die üblichen Verdächtigen, wie etwa die »Antiimperialistische
Koordination«, die zu weltweiten Kundgebungen gegen die »reaktionärsten
zionistischen und US-imperialistischen Kreise« aufgerufen hat. Ihre nur wenig
kaschierte Aufforderung, die Juden ins Meer zu treiben, unterscheidet sich in
nichts vom Antisemitismus der Nazis.
Doch auch den Autonomen und gewissen Teilen des liberalen Bürgertums gilt die
Solidarität mit der »Täternation« Israel wenig, diejenige mit den unterdrückten
Völkern umso mehr. »Protest trifft falsches Ziel«, titelte die taz nach dem
Angriff auf die Essener Synagoge - als ob etwa ein israelisches Konsultat ein
akzeptableres Objekt des Hasses gewesen wäre.
Hier zeigt sich das zentrale Problem der deutsche Linken: Während der
Antisemitismus als untergeordnetes Problem behandelt wurde, gab es in den
vergangenen Jahrzehnten für den sich antiimperialistisch gebärdenden
Antizionismus stets Verständnis.
Und so ist es auch kein Wunder, dass vergangene Woche, trotz der zahlreichen
antisemitischen Anschläge, keine größeren Kundgebungen stattfanden. Man widmete
sich wichtigeren Themen. Unter dem gespenstischen Motto »Deutschland denken,
heißt Stammheim denken« zog am Vorabend des 3. Oktober eine kleine Demonstration
durch Berlin.
Sie machte damit deutlich, dass der grundlegende Bezug, den es im Umgang
sowohl mit Israel wie auch mit Juden in Deutschland geben muss, bei der Linken
an Bedeutung verliert. Wer aber von Auschwitz nicht reden will, sollte auch von
Deutschland schweigen.