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Juden, Judentum, Israel Nach Israel...


9. Oktober 2000

RICHARD CHAIM SCHNEIDER
12.10.2000, 21:45 - 22:30, Das Erste
Panorama
Berichte-Analysen-Meinungen

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Flucht nach vorne

Deutsche Anschläge, Israel 
und die neue jüdische Heimatlosigkeit

Heute ist Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Wenn wir Juden heute in der Synagoge zum Gebet versammelt sind, haben wir vorher einen Kordon von Polizisten passiert, die aufpassen, dass uns nichts geschieht. Diesmal sind es noch ein paar Sicherheitsbeamte mehr als sonst, die akute Gefahr für Juden in Deutschland scheint größer geworden. 

Unsere Isolation in der Gesellschaft wird damit noch ein wenig deutlicher manifestiert, obwohl wir so gerne als „jüdische Mit-Bürger“ apostrophiert werden. Nicht nur das – wir sind sogar eine der „wichtigsten Säulen dieser Zivilgesellschaft“, wie Bundeskanzler Schröder zuletzt beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Zentralrats der Juden betonte.

Nett, diese pompöse Aufwertung der Juden, aber auch ein Zeichen für den wahren Zustand einer Zivilgesellschaft von 80 Millionen Menschen, die angeblich 85 000 Juden als Säule benötigt, um nicht in den Orkus zu stürzen.

Und schon war Bundeskanzler Schröder erneut zur Säule der Nation herbeigeeilt: In Düsseldorf traf er sich mit Zentralratspräsident Paul Spiegel, weil Molotow-Coctails auf eine Synagoge geworfen worden waren. Und am vergangenen Schabbat kamen Vertreter aller Parteien aus „Solidarität“ gar in eine Berliner Synagoge zum G'ttesdienst, weil auch in der Hauptstadt ein jüdisches G'tteshaus angegriffen worden war.

Eine klare Berechnung

Dieses rasche Handeln der Politiker hätte man sich viel früher gewünscht: gegenüber Ausländern und Aussiedlern, die seit Jahren angegriffen werden. Als ein Schwarzafrikaner in Dessau ermordet wurde, war der Bundeskanzler nicht zur Stelle und auch sonst kein Mitglied der Bundesregierung. Wozu auch? Die Schwarzen haben weder eine große internationale „Lobby“, noch sind sie durch die Geschichte dieses Landes eine besonders „wichtige“ Minderheit. Die Juden dagegen sind hier mittlerweile zu „Fremden“ erster Klasse avanciert. Werden sie attackiert, reagieren Polizei, Justiz, Regierung und nicht zuletzt die Medien in einer Weise, die man von ihnen sonst nicht kennt.

Auch bei dem Attentat auf die Aussiedler in Düsseldorf war man erst richtig alarmiert, als sich herausstellte, dass sechs von ihnen Juden sind. Und das liegt wahrlich nicht daran, dass Antisemitismus, wie Heribert Prantl am Samstag an dieser Stelle richtig schrieb, kein Minderheitenthema sei, sondern ein Angriff, der die Gesellschaft bedroht. Nein, der Hauptgrund für diesen Aktionismus dürfte nach wie vor sein, dass das Ausland beruhigt werden muss, vor allem die USA. Dahinter steht das fatale Kalkül, das typisch ist für das Deutschland des Jahres 2000: Die Juden haben eine starke Lobby – beherrscht ihr Einfluss nicht sogar die USA, ja die westliche Welt? Also müssen sie hofiert werden.

Was das für uns Juden in Deutschland bedeutet? Wir werden wieder einmal „sonderbehandelt“ und damit in einer Weise ausgegrenzt, wie wir uns das in den letzten zehn Jahren, spätestens aber seit Ignatz Bubis’ Statement, er sei ein „deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, nicht mehr vorstellen wollten.

Schröders Pressesprecher, Uwe-Karsten Heye, hatte sich neulich ganz in diesem Sinne an die jüdische „Säule“ der Nation gewandt. In einer ihm wohl als besonders gewitzt dünkenden Absicht hatte er den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel und Michel Friedman, zu Verbündeten bei einem neuen Aktionsbündnis gegen Rechts gemacht. Bei ihrer vielbeachteten Pressekonferenz waren die drei Initiatoren äußerst bemüht zu erklären, dass sie als deutsche Bürger handelten, nicht als ein Deutscher und zwei Juden – womit diese Unterscheidung im Raume stand. Doch Heye wusste durchaus, warum er nicht den Zentralrat der Muslime in Deutschland dazugebeten hatte, nicht schwarzafrikanische Organisationen, um mit ihnen gegen die kahlrasierten Dumpfköpfe zu kämpfen . . .

Diese „Sonderbehandlung“ macht uns nur allzu deutlich, wie wenig wir „hierher“ gehören. Paul Spiegel hat dies in seiner ersten Reaktion auf den Brandanschlag richtig zum Ausdruck gebracht. Und es ist ein Jammer, dass er sein starkes, ehrliches Wort zugunsten diplomatischer Floskeln relativiert hat.

Somit stellt sich für Juden in Deutschland heute die Frage: wohin zur Not? Denn zur selben Zeit, in der sie hier wieder zu Ausländern gemacht werden, wagte es Israel, einen orientalischen Juden aus dem Iran zum neuen Staatsoberhaupt zu küren – und nicht den Friedensnobelpreisträger Shimon Peres. Was den Glauben der westlichen Medien an den angeblich letzten europäischen Außenposten im Nahen Osten so erschütterte, ist allerdings nichts als die neue Normalität Israels: Der Judenstaat ist orientalisch, und ein sefardischer Präsident die sehr viel realistischere Widerspiegelung gesellschaftlicher Tatsachen, als ein Staatspräsident Peres dies hätte sein können. Auch für viele Juden in Deutschland war das Wahlergebnis ein Schock, reißt es sie doch aus ihrer letzten Utopie heraus – dem „rettenden Hafen“ Israel. Und nachdem jetzt der ehemalige Schas-Minister Arie Deri wegen Betrugs und Veruntreuung öffentlicher Gelder inhaftiert wurde und die orientalisch-orthodoxe Bürgerschaft daraufhin zum Widerstand gegen den säkularen Rechtsstaat aufgerufen hat, die Demokratie des jüdischen Staates also womöglich von innen heraus ernsthaft in Frage gestellt wird, bleibt den Juden hier nichts, woran sie sich in dieser labilen Situation festhalten können. Denn die ambivalente Existenz als Jude im Nachfolgestaat des Dritten Reiches wurde gerne mit einer allzu übertriebenen Loyalität gegenüber der „eigentlichen Heimat“ kompensiert.

Damit aber werden Juden in Deutschland einmal mehr zu Heimatlosen. Diesmal ist diese Heimatlosigkeit, zugegebenermaßen, bequem: Es ist eine mit deutschem Pass und einer entsprechenden gesetzlichen Absicherung. Aber es ist eine Heimatlosigkeit, die auf absehbare Zeit gültig bleiben wird.

Dennoch, als Jude in Deutschland erneut heimatlos zu sein, ist kein Fluch, keine Strafe. Es ist eine wunderbare Chance, diesem behäbigen Land, diesem konservativen Kontinent zeigen zu können, wo es in Zukunft langgehen muss: Hin zu einer Auflösung nationaler Engstirnigkeit, hin zu einer Flexibilität, einer existenziellen „Unsicherheit“, ohne die auf die vielfältigen Anforderungen der globalen Entwicklungen keine adäquaten Antworten gefunden werden können.

Der öffentliche Zweifel Paul Spiegels, ob es richtig war, wieder jüdisches Leben in Deutschland aufzubauen, ist eine direkte Bestätigung für unsere Heimatlosigkeit und zugleich eine Art Signal. Gerade als Heimatlose können wir eine Säule dieser Zivilgesellschaft werden, auch wenn sie weiter unbeliebt bleiben wird. Doch ist das so schlimm, wenn wir dazu beitrügen, dieses immer noch rückständige Land allmählich ins multikulturelle Zeitalter zu schubsen? Zweifel sind angebracht, ob diese Gesellschaft und ihre politischen Vordenker dies tatsächlich wollen.

RICHARD CHAIM SCHNEIDER

haGalil onLine 11-10-2000

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