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SZ vom 14.10.2000 Seite Drei

Die Woche, in der der Frieden unsichtbar wurde:
Tage der Angst, Tage des Zorns

Während die Israelis mit dem Entsetzen über die 
Lynchmorde an Soldaten kämpfen, fügt sich die 
Front des Hasses bei den Palästinensern immer fester

Von Thorsten Schmitz / SZ

Bilder über:
israel.de

Kfar Tapuach, Jerusalem, Gaza, Ramallah, 13.  Oktober – Noe sitzt im Schneidersitz auf einem kalten Marmorboden, den ein Palästinenser verlegt hat. Der Marmor ist kalt, Noes Hände auch. Die Tür zur Terrasse ist geschlossen, wie die Fensterläden im Wohnzimmer.

Über Noes Haus scheint die Sonne, sie taucht das ganze Land drumherum in ein warmes Spätsommerlicht. Über Noe flackert eine Neonröhre. Seit zwei Stunden versucht er, aus hebräischen Buchstaben Worte zu formen. Es fallen ihm aber nur Quatschausdrücke ein, über die seine Mama schimpft. Noe sei ein guter Schüler, sagt Mama Sara Nachum. Wenn er Einsen nach Hause bringt, erfüllen ihm die Eltern ungeachtet der Wünsche ihrer anderen sechs Kinder jede Sehnsucht, was in gewisser Weise als Wiedergutmachung verstanden werden kann für den seltsamen Ort, an dem Noe aufwachsen muss. Der Siebenjährige darf nicht aus dem Haus, denn gestern erst hat jemand auf die Garagentür geschossen.

Noe klemmt die Pajes, die Schläfenlocken, hinter die Ohren, die Mutter steht gebückt vorm Waschbecken und zitiert mit Singsang in der Stimme aus den fünf Büchern Mose. Das Alte Testament ist ihre Legitimation, wenn man sie fragt, wie es sie nach Kfar Tapuach verschlagen hat: „Und sollt’ das Land einnehmen und darin wohnen, denn euch habe ich das Land gegeben, dass ihr’s in Besitz nehmt.“ Noe könnte die Hausaufgaben mit den Buchstaben genauso gut sein lassen, er und die anderen Kinder in seiner Klasse haben frei, gewaltfrei. Sie bleiben in ihren weißen Häuser mit den roten Dächern und dürfen nicht in ihre Swimmingpools hüpfen. Sie besuchen einander in ihren Kinderzimmern, aber irgendwann wird das langweilig, und Jungs wie Noe bleiben daheim. Seine Mutter versucht, die Kinder bei Laune zu halten. Sie muss sich anstrengen, sagt sie und kratzt sich unter dem Kopftuch, das ihre Haare versteckt. Letzte Woche erst musste sie Noe beibringen, dass sein Geburtstagsfest abgeblasen wird.

Gewehre und Propheten

Keine Kinder von „draußen“, wie sie hier sagen, hätten kommen können. Also hat die Mutter gesagt: „Noe, es kann auf Gäste geschossen werden.“ Noe wird bald wie fast alle Männer in Kfar Tapuach einen schwarzen Anzug tragen, darunter ein weißes Hemd und auf dem Kopf über der Kippa einen Hut. Rabbiner soll er werden. Und wenn er das sagt, lächelt die Mutter, als wäre er mit einer Eins gekommen. Kfar Tapuach ist eine dieser von den Palästinensern gehassten jüdischen Wehrsiedlungen, etwa 20 Kilometer nördlich von Ramallah, mitten in der Westbank. Der Weg dorthin ist beschwerlich und lebensgefährlich, die drumherum lebenden Palästinenser zielen mit Waffen oder Steinen auf Autos mit israelischem Nummernschild, und an den Checkpoints entlang der Grünen Grenze des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 fragen israelische Soldaten, was man in Kfar Tapuach zu suchen habe, das in diesen Tagen von der Außenwelt abgeschnitten ist: Die Palästinenser in der Westbank und in Gaza dürfen nicht raus.

In Kfar Tapuach stehen etwa 200 Reißbrett-Häuser mit Reißbrett-Vorgärten und einem Reißbrett-Versammlungsraum in der Mitte, in dem eine Tafel mitteilt, welche Straßen im Moment befahrbar sind, ohne dass man Gefahr läuft, erschossen zu werden, auch die Telefonnummer des nächsten Armeestützpunktes steht da. Wenn man ein paar Stunden in dem Dorf verbringt, könnte man meinen, die Menschen hier seien glücklich und zufrieden, so geschickt gaukeln sie einem vor, die Bedrohung, in die sie sich ohne Not begeben haben, sei normal und gehöre zum Leben. In Kfar Tapuach gibt es keinen Supermarkt und kein Café, aber für jeden männlichen Bewohner ein Maschinengewehr und die Pflicht, einmal im Monat Wache zu schieben entlang des Stacheldrahtzaunes.

Noe mit seinen sieben Jahren ist den Ausnahmezustand gewöhnt. Wenn Krieg ist wie jetzt, sagt er: „Ich muss zu Hause bleiben, draußen ist es zu gefährlich.“ In ruhigeren Zeiten kommt morgens ein vergitterter Bus an das schwere Eisentor von Kfar Tapuach und bringt Noe und 40 andere Kinder zur Schule, eskortiert vorne und hinten von israelischen Militärjeeps. Aus dem Bus blicken die Kinder durch Gitter und Panzerglas auf eine karstige Hügellandschaft, in der Menschen wie Familie Nachum das Land der Propheten sehen, das Land Abrahams, Jakobs und König Davids. Deshalb haben die Nachums den langen Weg auf sich genommen von Brooklyn hierher. In ein Gebiet, das Wasser so braucht wie die Mehrheit der Menschen, die dort schon viel länger leben, die Freiheit.

Die 200 Familien hier kommen fast alle aus Amerika und wenden sich wortlos ab, wenn sie hören, dass man von einer deutschen Zeitung kommt. Die sich nicht abwenden, reden von Selbstverwirklichung als Juden und wollen einen bekehren, zu leben wie sie. Sie sind so sehr beschäftigt, gläubige Juden zu sein, dass es ihnen unvorstellbar ist, ein Jude könne anders sein als sie. Spricht man die Menschen in Kfar Tapuach auf den Krieg an, sagen sie schulterzuckend: „Unser Recht, hier zu leben, ist stärker als das der Palästinenser. Die haben Dutzende arabischer Staaten, wir nur Judäa und Samaria.“ Die meisten Siedler schlafen nur auf biblischem Boden, arbeiten tun fast alle in Jerusalem oder Tel Aviv.

Nirgends wohnen Todfeinde so eng beieinander wie im Westjordanland. Unter 1,6 Millionen Palästinensern siedeln fast 150  000 Juden, die den Anspruch auf dieses Land mit dem Alten Testament begründen. Es sind meist keine Israelis, sondern Zugezogene, über die sich viele Israelis irritiert äußern. Sie verstehen nicht, wie man Jahrzehnte in einem Land wie den USA leben kann, wo alles erlaubt ist, und sich dann in der Westbank stark macht für die strikte Einhaltung des Schabbats. Will man die Nachums samstags sprechen, muss man vorbeischauen. Sie würden nie den Telefonhörer abheben.

Die Westbank-Siedler gehören zum Schwierigsten, worüber Israelis und Palästinenser verhandeln müssen. Die jüdischen Siedler haben sich unter dem Protektorat aller Regierungen Israels auf dem Boden niedergelassen, der den Palästinensern zurückgegeben werden soll. Dass keine Einigung in Sicht ist, zeigen die letzten Tage: Palästinenser bewerfen einen Autokonvoi mit Steinen, der den ermordeten Rabbiner Hillel Lieberman zu Grabe geleitet; jüdische Siedler attackieren palästinensische Häuser; Palästinenser lynchen zwei israelische Reservesoldaten, die sich im unüberschaubaren Flickenteppich Westbank aus Zonen A, B und C verfahren haben und im Zentrum von Ramallah landen. In der Hölle. Mehrere Polizisten nehmen die zwei Zivilisten fest, die unterwegs sind zu einem Armeestützpunkt im Norden Ramallahs, wo sie ihren Reservedienst absolvieren. Binnen Minuten spricht sich unter Hunderten von Palästinensern herum, die von einer Beerdigung kommen, dass zwei Israelis auf der Wache sind. Die Palästinenser stürmen das Gebäude, und die bewaffneten Polizisten schauen zu, wie der Mob die beiden Soldaten zu Tode tritt, mit Steinen ihre Köpfe zertrümmert, mit Messern die Bäuche aufschlitzt. Einer der Soldaten wird aus dem Fenster im ersten Stock geschmissen, der palästinensische Mob tritt auf den Mann ein, von dem die Welt später erfährt, dass er Vadim Nortschich heißt.

Feiern nach dem Morden

Ein italienisches Fernsehteam filmt diese Schlachtung. Vadim Nortschichs Handy klingelt, und ein Palästinenser nimmt den Anruf entgegen. Es ist die Frau des Soldaten, erst letzte Woche hat das Paar geheiratet, und sie ist schwanger. Der Palästinenser brüllt: „Hier spricht nicht dein Mann, den habe ich gerade umgebracht.“ Die Mörder lassen die Frau am Tod ihres Mannes teilhaben. Der Sprecher der israelischen Armee Yarden Vatikay sagt, es gebe Bilder, die zeigen, wie Palästinenser den Israeli anzünden und mit einem Auto durch Ramallah schleifen. Sie seien so „furchtbar“, dass man sie niemandem zumuten könne. Nach der Mordtat feiern hunderte Palästinenser in den Straßen Ramallahs, die Mörder strecken ihre blutigen Hände in die Höhe, ein BBC-Reporter wird von drei Hamas-Männern angehalten und gefragt, ob er Amerikaner sei. Er muss seinen Ausweis zeigen. „Die hätten mich umgebracht“, sagt er hinterher, „wenn ich Ami gewesen wäre.“

Drei Stunden später schießt Israels Armee auf palästinensische Fernseh- und Radiostationen, die in den letzten Tagen Agitprop gesendet und die Massen aufgehetzt hatten. Auch Arafats Hauptquartier in Gaza wird getroffen. Palästinensische Politiker wie Saeb Erekat oder Hanan Aschrawi beeilen sich zu klagen, Israel verübe Massaker an Zivilisten. Wenn man Aschrawi zu den Lynchmorde an den Soldaten befragt, behauptet sie, die Polizei habe sie zu verhindern versucht. Im Fernsehen sieht man 50 schwer bewaffnete Polizisten, die einem animalischen Mob beim Töten zuschauen.

Die Horror-Bilder lassen die israelischen Nachrichtenmoderatoren schlucken, im Fernsehen wird leise Musik gespielt, am Freitag stehen die Menschen in Obst- und Gemüseläden und reden über „den Krieg“ und darüber, dass die Love Parade in Tel Aviv kommende Woche wohl abgesagt wird. Am Donnerstagabend ist in den großen Städten Israels nichts zu hören außer einem hunderttausendfach verstärkten Fernsehton, Kneipen, Bars und Clubs sind leergefegt wie in Golfkriegszeiten. Der Schriftsteller Amos Oz sitzt Stunden nach den Lynchmorden und den Bombenangriffen bei einer Hochzeitsfeier südamerikanischer Freunde in der Küstenstadt Netanja und stochert im Nachtisch. Eine Bigband spielt leise, Oz diskutiert mit seinem Freund Zwi die Lage. Sie ist „furchtbar“, sagt Oz. Die von Arafat sanktionierte und kanalisierte Gewalt sei ein letzter Versuch des Mannes, soviel wie möglich herauszuholen in den Verhandlungen. Oz glaubt, Arafat hätte es gerne gesehen, wenn bei dem Bombardement palästinensische Frauen und Kinder getötet worden wären: „Das wäre sein Trumpf gewesen.“ Die Situation, sagt der Schriftsteller, „ist ganz einfach: Fünf Millionen Juden leben hier, sie werden nicht gehen. Vier Millionen Palästinenser leben ebenfalls hier und werden auch nicht gehen. Es muss und wird also Frieden geben.“

In Israel fragen sich die Menschen, wie man einem uniformierten Ex-Terroristen wie Arafat nur sieben Jahre lang jede diplomatische Zuvorkommenheit zukommen lassen kann – der sein Volk nicht zügelt und sich nach Lynchmorden und Bombardement in Saddam-Hussein-Manier filmen lässt, wie er in Krankenhäusern Palästinensern die Gipsbeine küsst. Innerhalb eines Tages ist die Zuversicht endgültig geschwunden, dass in Arafat Israel ein Partner gegenüberstehe, mit dem sich Frieden zimmern ließe. Das Land brennt, obwohl es dem Frieden noch nie so nahe war wie jetzt. Der Reporter Daniel Ben-Simon von Haaretz sagt, Arafat lebe so sehr in seiner militärischen Welt, dass ihm nicht an einem demokratischen Staat gelegen sei: „Dort würde er ja nur an Macht verlieren.“

Das sieht auch Machmud so, der siebenfache Familienvater aus Gaza. Israel hat den Streifen abgeriegelt, so kann Machmud nicht zum Arbeiten nach Hulda fahren, ins israelische Kibbutz. Jeden Morgen steht Machmud um halb drei auf, braucht vier Stunden bis nach Hulda, inklusive aller Kontrollen an den Grenzübergängen, am Abend kommt er nach acht Stunden in der Saatgutfabrik zurück. Man kann Machmud jetzt nicht besuchen, sowieso rät er ab: „Es ist zu gefährlich hier, die Menschen sind geschockt und wütend.“ Bei den Angriffen israelischer Kampfhubschrauber habe „alles gezittert“. Machmud sagt, es sei schwierig für ihn, an Frieden zu glauben. Wegen der jüdischen Siedlungen.

Und wegen Arafat. „Vielleicht“, sagt er, „wären wir schon viel weiter“, wenn Arafat abdankte und einem Neuen Platz machte. „Jemandem, der eine Ahnung hat von Demokratie.“ Machmud steht mit dem Handy in seinem Olivenhain und erklärt, warum so viele Palästinenser für ihre Freiheit gestorben sind: „Für uns gibt es ein Leben nach dem Tod, weshalb das Leben jetzt nicht so wichtig ist. Und für eine gute Tat kommt man auf jeden Fall in den Himmel und wird dort von 70 Jungfrauen empfangen.“ Und so eine gute Tat sei „leider“ auch, dass israelische Soldaten gelyncht werden.

 

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