Der Angeklagte selbst
betrachtet nicht nur das Verfahren, sondern gleich das ganze Gericht als
illegal. Der so genannte „Sondergerichtshof für Geistliche“ in Teheran
will diesen Samstag das Urteil gegen den iranischen Kleriker Hassan
Yussefi-Eshkewari sprechen. Nach nur zwei Verhandlungstagen und zudem
hinter verschlossenen Türen. Staatspräsident Mohammed Chatami hat seiner
Abscheu gegen die Anklage Ausdruck gegeben.
Die Vorwürfe, die gegen Eshkewari
erhoben werden, könnten schwerwiegender kaum sein. Auf jedes einzelne
der drei Delikte, die jetzt noch zu den ursprünglichen hinzugefügt
wurden, steht in Iran die Todesstrafe: Korruption auf Erden, Abfall vom
Glauben und Krieg gegen Gott werden ihm vorgeworfen. Der Geistliche
hatte im April an einer von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten
Konferenz in Berlin teilgenommen. Nach seiner Rückkehr wurde er sofort
verhaftet; zuerst wurden ihm nur seine Berliner Äußerungen zur Last
gelegt. Er habe den Islam und den Führer Irans beleidigt und die
nationale Sicherheit gefährdet, heißt es in der Anklageschrift.
Modelle für eine Regierung
Dass Eshkewari – wie alle
Geistlichen – von einem Sondergerichtshof angeklagt wird, ist in der Tat
nicht zwingend. Kritiker meinen, die bloße Existenz dieser Institution
verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung. Das
Sondergericht ist direkt dem Revolutionsführer Khamenei unterstellt, es
folgt seinen eigenen Gesetzen und arbeitet vollkommen unabhängig vom
Justizministerium. Laut Ayatollah Khamenei besteht seine Aufgabe darin,
„die Heiligkeit der Würde der Geistlichkeit zu schützen und ehren“.
Obwohl es immer wieder als nicht
verfassungsmäßig kritisiert wurde, war das Gremium schon in den
Anfangsjahren der Islamischen Republik äußerst aktiv. Es oblag ihm,
missliebige Kleriker auszuschalten, also solche religiösen Würdenträger,
die bestreiten, dass die velayat-e faqhih, die Herrschaft des
Obersten Rechtsgelehrten, die zwingend islamische Staatsform ist. Ein
Konsens über die richtige Herrschaftsform besteht nämlich keineswegs. Im
Laufe der iranischen Geschichte wurden von verschiedenen Gelehrten
unterschiedlichste Modelle zur Regierung vorgeschlagen; eines unter
vielen war die Variante, die Khomeini propagierte – und die sich
schließlich durchsetzte und in der Verfassung der Islamischen Republik
verankert wurde. Der Widerstand gegen diese Doktrin indes erstarb nie,
vor allem nicht unter den ranghöchsten Geistlichen.
Seit die Debatte über die
Staatsform nicht mehr nur wissenschaftlich geführt wird, sondern ein
Politikum ist, hat Iran ein Sondergericht für Geistliche. Allein in den
ersten sieben Jahren nach der Revolution hat das Gericht Urteile gegen
700 so genannte Pseudo-Kleriker vollstreckt.
Rundumschlag gegen Tabus
Vor Eshkewari hat vor kurzem eine
weitere bekannte Persönlichkeit die Legitimität dieses Gerichts
anzweifelt und damit eine Diskussion in Gang gebracht. Der
stellvertretende Staatspräsident Abdallah Nuri, der gleichfalls der
Diffamierung des Islams angeklagt worden war, nutzte das Verfahren
außerdem zu einem in Iran beispiellosen Rundumschlag gegen die
herrschende Politik und brach sämtliche geltenden Tabus. Die Presse
berichtete täglich über den Prozess gegen Nuri. „Das Verfahren gegen
Abdollah Nuri, so bitter und bedauernswert es ist, hat eine gute Seite“,
hieß dazu es in einer iranischen Zeitung, „in ihm wird die Sicht der
Dinge, die von einem großen Teil der iranischen Gesellschaft geteilt
wird, offen formuliert.“
Diese Erfahrung könnten den
Richter und Staatsanwalt in Nuris Prozess, Ebrahim Nekunam, dazu bewogen
haben, Eshkewari den Prozess hinter verschlossenen Türen zu machen. In
iranischen Zeitungen wurde kein Wort über den Fall berichtet.
Zwar hat der Sondergerichtshof
für Geistliche seit vielen Jahren keine Todesstrafen mehr verhängt.
Dennoch befürchten viele, dass man an Eshkewari ein Exempel statuieren
möchte. Erst kürzlich hatte Ex-Präsident Rafsandschani in einer
Freitagspredigt gesagt, die gegenwärtige Situation unterscheide sich
nicht von der angespannten Lage, in der man sich kurz nach der
Revolution befand. In diesen ersten Jahren waren vierzehn Kleriker zum
Tode verurteilt worden.
KATAJUN AMIRPUR