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Erklärung der
Rektorinnen und Rektoren aus Sachsen Anhalt:
Fremdenhass und rechtsextreme Gewalttaten haben in
Sachsen-Anhalt längst ein Maß erreicht, das nicht hingenommen werden darf.
Besonders die in der letzten Woche bekannt gewordenen Ereignisse um das Institut
für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, das heißt die
Belästigung ausländischer Forscherinnen und Forscher, aber auch punktuelle
Vorkommnisse an den Hochschulen des Landes, geben zu der berechtigten Sorge
Anlass, dass die Internationalität des Wissenschaftsstandortes Sachsen-Anhalt in
Gefahr ist. Dies betrifft sowohl den Aufenthalt von ausländischen Forschern und
Professoren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen des Landes als auch den
Aufenthalt ausländischer Studierender.
Die alltägliche fremdenfeindliche Gewalt, die in den neuen Bundesländern
besonders in Erscheinung tritt, hat tiefgreifende gesellschaftliche Ursachen,
die nicht durch einige schnelle Maßnahmen und moralische Empörung zu bewältigen
sind.
Zunahme der rechtsextremen Einstellungen
Bei allen Überlegungen darf man sich nicht nur von der Zahl der organisierten
Rechtsextremisten leiten lassen. Rechtsextreme Gewalttäter sind sich der
schweigenden Zustimmung eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung sicher.
Bei der Wahl der Gegenmaßnahmen muss daher die Wirkung auf die gesamte
Bevölkerung berücksichtigt werden.
Ansehensverlust der Demokratie
Verschiedene Faktoren begünstigen das Entstehen rechtsextremer Einstellungen.
Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst, Benachteiligung gegenüber Vergleichsgruppen, an
denen man sich misst, ebenso auch Enttäuschungen und Kränkungen, die im Zuge der
Wiedervereinigung erlebt wurden, sind wichtige Ursachen. Dazu kommt das geringe
Vertrauen in die Regierungen und Parlamente sowie der Ansehensverlust der
demokratischen Ordnung. Hier stehen die politisch Handelnden in besonderer
Verantwortung. Der Beitrag der Hochschulen zu einer zivilen und toleranten
Gesellschaft ist begrenzt. Sie können aber Anstöße geben, die für die weitere
Entwicklung Sachsen-Anhalts wichtig sind.
Bildung und Hochschulbildung den gebührenden Stellenwert einräumen
Es ist eine gesicherte sozialpsychologische Erkenntnis, dass die Attraktivität
des Rechtsextremismus mit steigendem Bildungsniveau abnimmt. In den neuen
Bundesländern liegt der Anteil der Studierenden immer noch niedriger als im
Westen. Ihn zu erhöhen und in Schulen und Hochschulen zu investieren, ist also
auch ein mittelfristiges und nachhaltiges Mittel gegen Rechtsextremismus. Es
verstärkt zudem das Potential für die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft.
Internationalität von Lehre und Forschung
Wissenschaft war schon immer grenzüberschreitend. Wo dagegen verstoßen wurde,
gewannen Engstirnigkeit und Provinzialität die Oberhand. Forschung braucht den
internationalen Austausch, die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Einrichtungen
in aller Welt. In den letzten Jahren ist es den sachsen-anhaltischen Hochschulen
gelungen, zunehmende Anerkennung auch im Ausland zu erlangen. Die steigenden
Zahlen an Bewerbungen für Studienplätze sind nur ein Beleg dafür. Zukünftig
werden die Hochschulen ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet sogar noch
verstärken müssen, wollen sie nicht im Wettbewerb mit anderen an Boden
verlieren.
Internationalität der Hochschulen heißt auch, Auslandssemester für einheimische
Studierende zu fördern. Entsprechende Förderprogramme sollten vor allem in den
neuen Ländern aufgelegt werden.
Vor Ort wird es darum gehen, eine Gastlichkeit zu entfalten, die den
ausländischen Gästen ein sicheres und tolerantes Umfeld garantieren kann.
Bürokratische Hemmnisse, die den Aufenthalt von ausländischen Studierenden
behindern, müssen abgebaut werden.
Lebenslanger Zugang zur Bildung
Mehr denn je gilt, dass der lebenslange Zugang zu Bildung über individuelle
Lebensperspektiven entscheidet. Wenn zum Ressentiment gewendete
Ungleichheitserfahrungen den Humus rechtsextremer Propaganda abgeben, ist ein
hohes Maß an gesellschaftlicher Chancengleichheit eine wichtige Voraussetzung
für ein demokratisches Gemeinwesen. Es ist eine Bildungsinitiative nötig, die
die Möglichkeiten der außerschulischen Bildung, der Weiterbildungseinrichtungen
und der Erwachsenenbildung nutzt. Die Hochschulen sind bereit, sich in
geeigneter Form daran zu beteiligen.
In regionalen Bündnissen engagieren
Es ist Aufgabe der Hochschulen, in die Öffentlichkeit hineinzuwirken. In vielen
Städten und Gemeinden besteht immer noch der Glaube, dass es am besten ist, die
Probleme totzuschweigen. Die Furcht vor einem negativen Image, das wie Pech an
einer Stadt oder einem Bundesland klebt, erweckt nach außen allzu leicht den
Anschein stillschweigender Duldung. Der politischen Indifferenz gegenüber
Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus kann man entgegentreten, wenn man
sich in den regionalen Bündnissen engagiert, die oft schon seit Jahren
existieren, nicht überall aber schon die notwendige Resonanz gefunden haben.
Durch stadtteilbezogene Projektarbeit wirken die Hochschulen auch heute schon
direkt in gesellschaftliche Gruppen hinein.
Rechts zu sein ist out
Die Mehrheit in der Gesellschaft muss zeigen, dass sie Gewalt nicht toleriert.
Dazu gehören nicht nur die viel beschworene Zivilcourage, sondern auch das
entschlossene Durchgreifen des Staates – dort, wo Rechtsextremismus auftritt.
Intoleranz darf nicht toleriert werden. Gewalt als so genanntes Mittel zur
Konfliktlösung muss gesellschaftlich geächtet werden.
Zivilcourage stärken
Der Wert der Gleichheit aller Menschen muss gemeinsam gegen Angriffe auf die
persönliche Freiheit verteidigt werden. Der Schutz der Verfassung ist nicht
allein Sache des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft. Zivilcourage zu
zeigen, ist allerdings in einer Gesellschaft nicht einfach, in der es normal
geworden ist, sich abzuwenden. Daher brauchen alle Bemühungen zur Stärkung der
Zivilgesellschaft die breitestmögliche Unterstützung.
In diesem Zusammenhang unterstützen die Unterzeichner deshalb ausdrücklich
Aktionen wie die Aktion Noteingang oder die Aktion „Z“.
Magdeburg, 24.8.2000
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
der Präsident der Landesrektorenkonferenz,
Prof. Dr. Reinhard Kreckel, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie
Prof. Dr. Marianne Assenmacher, Hochschule Harz,
Prof. Ludwig Ehrler, Burg Giebichenstein,
Prof. Dr. Andreas Geiger, Fachhochschule Magdeburg-Stendal,
Prof. Dr. Dieter Orzessek, Hochschule Anhalt,
Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und
Prof. Dr. Johanna Wanka, Fachhochschule Merseburg.
haGalil onLine
25-10-2000
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