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Die Lehrerinnen der Römerstadtschule im Frankfurter Stadtteil Heddernheim
behandeln mit Viertklässlern den Holocaust. Die Pädagoginnen haben das
fächerübergreifende Projekt mit Unterstützung des Fritz-Bauer-Instituts
vorbereitet, das sich der Erforschung, Dokumentation und Vermittlung des
Themas verschrieben hat.
Mit der Massenverfolgung und -ermordung der europäischen Juden im Dritten Reich
befassen sich Schüler in der Regel erst während der Mittelstufe. Das ist nach
Meinung von Lene Pockrandt zu spät. "In dem Alter haben die genug Probleme mit
sich selbst." Mit neun, zehn Jahren seien die Kinder dagegen offen für ihre
Umwelt, meint die Lehrerin, die das im September angelaufene Projekt an der
Römerstadtschule initiiert hat. Mit Bedenken der Eltern gehen sie und die 13
beteiligten Kolleginnen behutsam um. Schließlich machten sie sich selbst
Gedanken, ob die Kinder mit dem Thema nicht überfordert sind. Doch bei der
ersten Unterrichtseinheit stellte sich heraus, dass die meisten längst etwas
davon mitbekommen haben. "Wir haben einen Film geguckt, da wurden Juden unter
eine Dusche gestellt, und da war Gas drin, und dann sind sie gestorben",
erzählte ein Kind in der 4 d. Eines aus der 4 b sagte: "Im KZ gab es Reihen mit
Betten mit ganz dünnen Menschen."
Bilder der Gräuel wollen die Lehrerinnen ihren Schützlingen nicht zeigen. Sie
möchten ihnen helfen, ihr Wissen einzuordnen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Die Kinder sollen sich mit dem Schicksal der Anne Frank oder der Geschwister
Scholl befassen, nach denen eine nahe gelegene Schule benannt ist, jüdische
Lieder kennen lernen und Aufsätze von Zeitzeugen lesen, die den
Nationalsozialismus als Kinder erlebt haben. Zum Abschluss des Projekts ist für
den 27. Januar ein Tag des Erinnerns geplant, an dessen Gestaltung alle 85
Mädchen und Jungen der vierten Klassen mitwirken sollen.
Heike Deckert-Peaceman vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut berät und
unterstützt die Lehrerinnen der Römerstadtschule. Die
Erziehungswissenschaftlerin leitet die Arbeitsgemeinschaft "Holocaust als Thema
für Grundschulkinder", in der seit 1999 Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen,
allesamt selbst Mütter, sowie die Zeitzeugin Trude Simonsohn über geeignete
Herangehensweisen nachdenken. Ziel ist es, Materialien für den Unterricht
zusammen zu stellen.
Der Bedarf ist da. Nachdem an Universitäten und in Fachzeitschriften seit drei,
vier Jahren darüber diskutiert wird, schon jüngere Schüler behutsam mit
Nationalsozialismus und Judenverfolgung zu konfrontieren, wächst allmählich das
Interesse in der Praxis. "Im Moment kriege ich dauernd Nachfragen", erzählt
Deckert-Peaceman - in Frankfurt hat die Georg-Büchner-Schule kürzlich um
Beratung gebeten. Die Wissenschaftlerin führt das auf den Generationswechsel
zurück. Die jungen Kolleginnen gingen unverkrampfter an das Thema heran als ihre
Vorgängerinnen, die teilweise noch selbst im Nazi-Regime aufgewachsen sind.
Vorbehalte in Kollegien und seitens der Eltern sind aber längst nicht vom Tisch.
Deckert-Peaceman hält Forschungsergebnisse entgegen. Die Doktorandin hat eine
Fallstudie im US-Bundesstaat New Jersey gemacht, in dem eine Lehrerin seit
sieben Jahren mit Kindern des dritten Schuljahrs über den Holocaust spricht.
Deckert-Peaceman: "Es gibt keine Hinweise, dass die Kinder generell überfordert
wären."
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Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
Erscheinungsdatum 04.10.2000
haGalil onLine
24-10-2000
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