Je höher der Ausländeranteil in einer
Schulklasse – so glaubte man jahrzehntelang - desto anfälliger sei die
Klasse für fremdenfeindliche Konflikte. Eine neue Studie der
Universität Bielefeld unter Leitung von Prof. Dr. Rainer Dollase an 7800
Schülern und Schülerinnen (sowie 3200 Eltern und rund 400 Lehrkräften)
aller Schulformen der Klassen 5 bis 10 kommt überraschenderweise zum
gegenteiligen Ergebnis.
Fremdenfeindlichkeit ist in Schulklassen mit
keinen bzw. wenigen Ausländern höher als in Klassen mit erheblichen
Ausländeranteilen. Höhere Ausländeranteile führen zu weniger negativ getönten
Vorurteilen, zu prozentual höheren Freundschaften zwischen Kindern und
Jugendlichen unterschiedlicher Abstammung, zu mehr Zufriedenheit mit der Klasse
bei Eltern, Lehrkräften und Schülern.
In Hauptschulen, in denen die weitaus meisten
Ausländer zu finden sind, liegt der Anteil fremdenfeindlicher Ablehnung in rein
deutschen bzw. fast rein deutschen Schulklassen (Ausländeranteil 0 –9%) bei 34%
- in Klassen mit höherem Ausländeranteil (bis zu über 80%) – dagegen zwischen 16
und 19%. Er liegt also etwa um die Hälfte (47% bis 55%) niedriger. Nimmt
man alle Schüler zusammen, so liegt der Anteil fremdenfeindlicher Kinder und
Jugendlicher bei rund 14%.
Ausländer unterschiedlicher Herkunft werden
dabei unterschiedlich akzeptiert – die Feindlichkeit gegenüber Aussiedlern etwa
ist etwas geringer als z.B. die gegenüber Asylbewerbern oder Türken.
Andererseits überwiegt die positive Akzeptanz der Ausländer ihre Ablehnung: der
Anteil von Schülern und Schülerinnen, die Ausländer positiv akzeptieren liegt um
ein Drittel höher als die Zahl der fremdenfeindlichen Schüler.
Mädchen beurteilen Ausländer positiver als
Jungen und lehnen sie seltener ab. Allerdings nähern sich Jungen und Mädchen mit
zunehmendem Alter in ihren Einschätzungen an. Allgemein steigt die
Fremdenfeindlichkeit mit zunehmendem Alter. In Gymnasien ist die
Fremdenfeindlichkeit geringer als in den anderen Schulformen.
Die Ursachen
– Kontakt mindert Vorurteile
Im intensiven Kontakt von Mensch zu Mensch
verlieren sich Vorurteile. Schüler und Schülerinnen lernen sich als
Einzelmenschen kennen und nicht als Vertreter von unterschiedlichen
Nationen oder Ethnien. Das führt zum Abbau von Vorurteilen und zur Bildung von
persönlichen Beziehungen wie mit Menschen der eigenen Nation.
Die positiven Ergebnisse sind allerdings nicht
zum Nulltarif zu haben. Wie in der Studie belegt wird, beruhen die positiven
Ergebnisse auf Anstrengungen der Lehrerschaft in multikulturellen Schulklassen:
konsequente Gleichbehandlung, Gerechtigkeit, Schaffung eines Sozialklimas, in
dem jeder Schüler als Einzelwesen ernst genommen wird. Beim gemeinsamen Arbeiten
für ein gemeinsames Ziel senkt sich die Fremdenfeindlichkeit. Skeptisch sind
Betonungen der kulturellen Unterschiede, z.B. auch der interkulturellen
Projektwochen, zu beurteilen, da sie das Trennende und nicht das Gemeinsame
betonen.
Zufriedene Schüler
weniger fremdenfeindlich
Zufriedene Schüler neigen zu weniger
Fremdenfeindlichkeit. Bei Hauptschülern tragen insbesondere "nette" Lehrkräfte
und ein "spannender Unterricht" zum Abbau der Fremdenfeindlichkeit bei. Bei
Gymnasiasten ist es eher der ruhige, disziplinierte Unterricht , dem man "gut
folgen" kann. Bei allen Schülern gilt: Zufriedenheit mit den Eltern, mit der
Klassenkameraden, mit der eigenen Religion senkt die Fremdenfeindlichkeit.
Konsequenzen
Die zur Zeit größte Studie zum Thema
Fremdenfeindlichkeit in Schulen macht nach Meinung von Rainer Dollase eine
Veränderung der "interkulturellen Pädagogik" nötig, die bisher zu stark die
Förderung der kulturellen Identität betont hat und damit die
Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Schülern hervorhebt. Die
gegenwärtige Generation ausländischer Kinder und Jugendlicher sei den deutschen
viel ähnlicher als man angenommen habe. Für die Kompetenzen der Lehrkräfte in
multikulturellen Schulklassen seien keine neuen Erlasse notwendig, sondern eine
sorgfältige Personalpolitik, die darauf achte, Lehrkräfte mit besonderem
psychologischem Geschick, mit pädagogischem Takt und Sensibilität in
multikulturellen Klassen einzusetzen. Diese Fähigkeiten ließen sich nicht durch
eine formale Prüfung sondern nur durch Erfahrung und Beratung erwerben.
Kontakt: Prof. Dr. Rainer Dollase, Abteilung
Psychologie und Interdisziplinäres Zentrum für Konflikt- und Gewaltforschung der
Universität Bielefeld, Telefon 05204/880622.
Mit freundlicher Genehmigung durch Prof. Dr.
Rainer Dollase.
PFS
haGalil onLine
28-09-2000
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