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Nazis in unserer Stadt
©haGalil

Für die Überlebenden ist es,
als ob es gestern gewesen wäre

26.September 1980 - 22. 19 Uhr:
Die falsche Zeit, der falsche Ort

Wenn sie nur etwas schneller gegangen wären. Oder etwas langsamer. Oder wenn sie einen anderen Weg gewählt hätten. Gar keine große Abweichung, nur ein paar Meter abseits der Route, die sie am 26.September 1980 genommen hatten. Wie anders wäre ihr Leben verlaufen.

Gewiss hätte Karin M. einmal Amerika besucht – New York sehen, Kalifornien, den Pazifik. Oder Dimitri L. : Vielleicht wäre er noch immer Automechaniker wie damals, als er an dem lauen Freitagabend mit Kollegen auf die Wiesn ging. Oder die Familie P. : Müsste nicht ewig trauern um die toten Kinder. Die achtjährige Ilona und ihr kleiner Bruder Ignaz – sie wären jetzt erwachsen, hätten Kinder vielleicht. Nicht zu vergessen all die anderen, deren Abend genau so verlaufen war, dass sie gegen 22. 19 Uhr das reisig-geschmückte Haupttor der Wiesn passierten. In dieser Minute explodierte die Bombe. Ein Zischen, die Feuersäule, die Druckwelle, herumfliegende Metallteile. Leiber wurden zerfetzt, Gliedmaßen weggerissen. Dreizehn Menschen waren tot, 211 verletzt.

Jeder läuft in sein Schicksal hinein“, sagt Katharina P. Sie hat 18 Bombensplitter im Körper. Auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren. Die Milz war zerfetzt, Metallteile hatten Leberrand und Magen durchschlagen. Nicht alle Splitter konnten die Ärzte entfernen. Deswegen hab’ ich Krebs gekriegt“, sagt sie. Ich bekomm’ Chemotherapie; sechs hab’ ich schon hinter mir. "Und was noch schlimmer ist: Ilona und Ignaz, ihre Kinder, sind tot. Katharina P. zieht zwei Fotos aus der Tasche, die schon etwas abgegriffen sind, die Farben verblasst. Ein Mädchen ist da zu sehen, das stolz in die Kamera blickt, in den Armen eine Schultüte, verziert mit einer gelben Comic-Ente. Ihr erster Schultag. "Katharina P. weint. Das andere Bild zeigt Ignaz bei einer Müll-Sammelaktion der katholischen Gemeinde: ein Dreikäsehoch mit einem lustigen Gesicht, der einen großen Plastikbeutel hinter sich herschleppt. Katharina P. hat noch ein Foto von den beiden. Eines, das im Urlaub aufgenommen wurde, wenige Monate vor dem Massaker. Später hat sie es vergrößern lassen, Posterformat, und das Bild in den Flur gehängt. So seh’ ich sie jedesmal, wenn ich heim komme. Sie sind immer bei mir."

Ignaz P. , der Vater der Kinder, wohnt schon lange nicht mehr bei ihr. Die Ehe ist gescheitert, beide sagen wegen des Attentats. Der verdammte 26. September! Eigentlich wollte Ignaz P. nicht aufs Oktoberfest. Wollte lieber am Auto herumbasteln, das er gerade gekauft hatte. Aber die Kinder gaben keine Ruhe. Robert und Wilhelm, die ältesten Söhne, Tochter Elisabeth und die beiden jüngsten: Ilona und Ignaz, der gerade mit der Schule begonnen hatte. Komm, Papa, fahren wir. "Der Vater ließ sich erweichen. Alle, auch die Mutter, zogen los.

Es war ein fröhlicher Wiesnbummel. Die Kinder sind Karussell gefahren, Geisterbahn, Flieger und dies und das. Vor dem Heimweg haben die Eltern noch etwas zu essen gekauft. Hendl und Brezn. Und meine Kinder haben noch Luftballons gekriegt“, sagt Ignaz P. Wenn er jetzt darüber redet, kommt er häufig ins Stocken. Muss unterbrechen, sich sammeln. Wir kommen zum Ausgang hin. Und dann... ich kann mich bloß an eins erinnern: Da war ein greller Schein, ein Feuer, wie wenn man eine Rakete hochschießt – und dann war ich weg."

"Papa, mir ist kalt!"

Ignaz P. ist durch die Luft geflogen, mindestens zehn Meter. Er kam bald zu sich, konnte aufstehen. Stille. Er hörte nichts mehr. Das Trommelfell war geplatzt. Es war wie in einem utopischen Film. Wie im Weltraum – du hörst nichts, kannst nicht sprechen." Sein erster Gedanke: Wo sind die Kinder, wo ist meine Frau? Und wo vor allem sind die beiden Jüngsten? Er hatte den Arm um sie gelegt, war mit ihnen gegangen. Links Ilona, rechts Ignaz.

Die Geschwister Ignaz (6) und Ilona (8)

Den ersten, den ich gefunden habe, war der Ignaz. Ich hab’ ihn hochgehoben, und er hat gesagt: 'Papa, mir ist kalt.' Auf einmal war einer da und hat ihn mir weggenommen." Wahrscheinlich ein Sanitäter. Dann bin ich zu einem Standl hingekommen, Bratwürstl hat der gehabt. Da war mein Mädel, irgendwie so drangelehnt." Ilona. Die Bombe hatte ihr den Bauch aufgerissen. Dann sagt sie: 'Papa, hilf mir doch, es tut so weh.' Und ich konnt’ ihr nicht helfen. Sie ist dann auf meinem Schoß gestorben. Hat die Augen zugemacht."

Wie in Trance ist Ignaz P. über das Pflaster getorkelt. Überall Blut, Tote, Verletzte – die Hölle. Er hat seine Frau gefunden, die beiden älteren Söhne. Alle waren schwer verletzt. Nur Elisabeth, die Tochter, war verschwunden. Sie ist umhergeirrt, ebenfalls mit schweren Verletzungen, und später ins Krankenhaus gebracht worden. Irgendwann war Ignaz P. allein. Ich hab’ mein Auto geholt. Wie ich aus der Tiefgarage herausgekommen bin, weiß ich nicht. Und wie ich heimgefahren bin, auch nicht. Ich hab’ immer überlegt. Ich weiß es nicht." Später hat er erfahren, das auch Ignaz tot ist. Ein Metallsplitter hatte seinen Kopf durchschlagen.

Katharina P. hat die Stichflamme nicht gesehen. Nur einen Knall hat sie gehört und gedacht, ein Luftballon sei geplatzt. Sie hat einen Schlag gegen die Brust gespürt und lag am Boden. Plötzlich war alles grau, wie im Nebel. "Schmerzen spürte sie keine, aber das Atmen fiel schwer. Blut lief über ihren Körper. Sie kam ins Krankenhaus, mehrere Notoperationen waren nötig. Erst Wochen später wagte man, ihr den Tod der beiden Kinder mitzuteilen. Da waren die schon lang unter der Erde. "Mehr als ein Jahr dauerte es, bis sie halbwegs gesund war. Aber was heißt schon gesund: Ilona und Ignaz waren tot, die drei älteren Kinder fürs Leben gezeichnet, die Familie brach auseinander.
Vor sechs Jahren starb Elisabeth. Sie hat Drogen genommen. Zwei Kinder hatte sie, um die sich jetzt Katharina P. kümmert. Sie versorgt auch die beiden Kinder, mit denen einer ihrer Söhne überfordert war. Er schafft das nicht mehr", sagt sie. "Die Enkel sind jetzt mein Leben."
Unaufhörlich fingert sie mit der Brille herum, dreht und wendet sie, wickelt das Halteband ums Gestell. Die Hände sind zittrig. Manchmal ist das Unglück so groß, dass es zu viel ist für ein Leben.

Katharina und Ignaz P. glauben nicht an die Theorie, der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen habe die Bombe allein gebaut und gezündet. Sie sind nicht die einzigen, die Zweifel haben.
Der Münchner Journalist Ulrich Chaussy hat in seinem Buch "Oktoberfest. Ein Attentat" und jüngst im Bayerischen Rundfunk Rechercheergebnisse präsentiert, welche die offizielle Version mit guten Gründen in Frage stellen. Die "Sonderkommission Theresienwiese" des Bayerischen Landeskriminalamts war zu dem Schluss gekommen: "Nach dem jetzt vorliegenden Ermittlungsergebnis ist festzustellen, dass Gundolf Köhler allein als Attentäter gehandelt hat".
Doch es gab Zeugen, die Köhler vor dem Attentat in Begleitung anderer gesehen haben wollen. Von zwei Männern in Parkas ist die Rede, mit denen er auf der Verkehrsinsel vor dem Haupteingang debattiert habe; auch von einem Mann, der im Moment der Explosion geflüchtet sei; dann das merkwürdige Gespräch, das eine Frau nach dem Anschlag in Tatortnähe mitgehört hat. Ich wollt’s nicht, ich kann nichts dafür, bringt’s mich um", rief da einer. Und wo ist der Koffer, den Köhler angeblich mit sich hatte? Lauter Rätsel, die zu lösen die Polizei bald aufgegeben hat. Chaussys Fazit lautet: Entgegen der allgemeinen Meinung ist der Fall Oktoberfestattentat ungelöst."

Damals war Wahlkampf in Deutschland, die letzten Tage vor der Entscheidung. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß wollte Bundeskanzler werden, Helmut Schmidt (SPD) entmachten. Strauß stand für Law and Order, für einen harten Kurs gegenüber dem Linksterrorismus. Gleich nach dem Wiesn-Attentat – Strauß vermutete linke Täter – ging er auf den liberalen Innenminister Gerhart Baum los: Baum, der mit dem RAF-Anwalt und Ex-Terroristen Horst Mahler im Spiegel ein Streitgespräch geführt hatte, habe schwere Schuld auf sich geladen, verharmlose den Terrorismus, demoralisiere die Sicherheitskräfte.

Kontakte zur Wehrsportgruppe

Die Union glaubte, einen Wahlkampfschlager zu haben. Damit war es vorbei, als sich herausstellte, dass der mutmaßliche Attentäter im rechten Milieu verkehrte. Bei der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, die schwer bewaffnet in Wäldern und Fluren den Partisanenkrieg probte, hatte Köhler mehrmals paramilitärische Übungen mitgemacht; sogar eine selbstgebaute Handgranate hat er dort gezündet. Ausgerechnet die Truppe des Nürnberger Wehrsportgruppenführers Karl-Heinz Hoffmann stand jetzt im Verdacht, am Anschlag auf das Oktoberfest beteiligt gewesen zu sein – extrem peinlich für Strauß und seinen Innenminister Gerold Tandler, die den neonazistischen Kampfbund vor dem Attentat als ein paar harmlose halbverrückte Spinner abgetan hatten.

Ulrich Chaussy hat in seinem Buch dargelegt, dass die Ermittler von einem bestimmten Zeitpunkt an bemüht waren, Köhler als Einzeltäter hinzustellen. Ob sie dabei Einflüsterungen aus der Politik folgten? Nachweisbar ist es nicht. Gundolf Köhler konnte niemand mehr befragen. Der mutmaßliche Attentäter stand im Augenblick der Detonation direkt vor dem Abfallkorb, in dem die Bombe lag. Die Explosion hat seinen Körper zerrissen.

Einem Stahlgewitter gleich fegten die Metallsplitter über den Platz. Eines der Geschosse traf Karin M. Zerschlug ihr Sprunggelenk, riss fürchterliche Wunden. Sie war auf dem Heimweg gewesen, zusammen mit Freunden, die ebenfalls verletzt wurden. Den Knall, der ihr Trommelfell zerriss, hat sie noch gehört. Dann lag ich da und war wie weggetreten. Keine Schmerzen, aber ich konnte nicht aufstehen. Was folgte, waren zwölf Monate Krankenhaus, zehn Operationen, zwei Jahre mit Gipsbein und Krücken. Auf einmal lief mein Leben anders. Kein Sport mehr, kaum Theater oder Kino, weil der Fuß anschwillt, wenn sie länger sitzt. Gerne wäre sie einmal nach Amerika geflogen, aber sechs, sieben Stunden im Flugzeug unmöglich. Sie zieht keinen Rock mehr an, weil die Narben so schrecklich aussehen. Ins Schwimmbad geht sie auch nicht. Anfangs wollte ich vor lauter Komplexen nicht mehr aus dem Haus. Am liebsten wäre ich im Krankenhaus geblieben.

Karin M. ist heute 55 Jahre alt. Ihren Beruf als Sekretärin übt sie nicht mehr aus. Sie ist 60 Prozent schwerbehindert, erhält eine kleine Rente. Anfangs hatte sie Depressionen, verfiel in Grübelei: Warum ausgerechnet ich? Sie hat eine Antwort gefunden: Schicksal.

Dimitri L. sagt: Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Und er sagt auch: Entweder man akzeptiert das oder man geht zu Grunde. Dimitri L. , 37, hat es akzeptiert, dass von seinen Beinen nur noch Stümpfe übrig geblieben sind; dass er seit fast 20 Jahren im Rollstuhl sitzt; dass er ein völlig neues Leben beginnen musste. Er hat es gepackt. Sogar das Oktoberfest scheut er nicht mehr – seinem Sohn zuliebe, der so gerne hingeht. Selbstverständlich ist auch Vicky dabei, seine Frau, die er vor dreizehn Jahren geheiratet hat. Sie haben sich auf der Berufsschule kennen gelernt, wo Dimitri L. auf Zahntechniker umschulte. Zahntechniker – etwas mit den Händen machen, schnitzen, biegen, tüfteln, das hat mir gleich Spaß gemacht, als ich es ausprobierte. Er musste etwas Neues lernen nach dem Attentat. Als Kfz-Mechaniker weiter zu machen, war unmöglich.

Wie Starkstrom

Gabi, seine damalige Freundin, war an dem Abend auch auf dem Oktoberfest. Sie wollte ihn zum Taxistand begleiten und dann wieder zurückgehen. Wollte mit ihren Arbeitskollegen feiern. Gabi stand neben ihm, als die Bombe hochging. Sie hat die meisten Splitter abbekommen. Wochen später erfuhr Dimitri, dass seine Freundin tot ist. Sie war 17 Jahre alt, wie er.

Als er dalag, nachdem vier Meter neben ihm die Bombe detoniert war, hatte er für einen Moment das Gefühl, als wäre Starkstrom durch seinen Körper gefahren. An seiner Seite kniete jemand und versuchte, ihn zu beruhigen. Ich hab’ gar nicht gewusst, was der von mir will. Ich hab’ mich gut gefühlt, mir hat nichts weh getan. Erst als er aufstehen wollte, merkte er, dass die Hose zerfetzt war und Blut floss. Allmählich kamen Schmerzen auf, Angst. Dann der schreckliche Moment, als ihn die Sanitäter auf die Trage heben wollten. Der eine hat mich unter den Armen genommen, und der andere wollte mich an den Füßen hochheben. Dabei sind die Beine wie ein Gummiseil durchgehängt. Später hat er das Bewusstsein verloren, in den kurzen lichten Momenten meldete sich Panik.

Die erste Operation war nötig wegen der Splitter, die den Darm durchschlagen hatten. Erst danach konnten sich die Ärzte den Beinen widmen. Sie versuchten zu retten, was zu retten ist. Sie nahmen erst die Füße ab; als das nichts half, ein Stück unterhalb des Knies, und so weiter. Dimitri L. , in künstlichen Schlaf versetzt, hat nichts davon mitbekommen. Einmal, im Dämmerzustand, bekam er einen Wutanfall. Schlug wie verrückt um sich. Wie einer, dem das Schicksal grausam mitgespielt hat.

Wolfgang Görl

Siehe auch >>
Gegen NS-Propaganda und Nazi-Terror
Einige Beiträge dieser Woche aus einem Forum von haGalil.com

Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!
Demonstration am Marienplatz München

Heute abend - zum 20. Jahrestag des NS Oktoberfest-Attentats:

Konzert gegen Rechts


Hören (RealAudio):
[»Die Tat eines einzelnen Wahnsinnigen?«]

Hörprobe aus »Ungelöst - Die großen Kriminalfälle der Bundesrepublik: Das Oktoberfest-Attentat«, Hörbuch Hamburg Verlag, 2000

Strategie der Spannung?
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08-10-2000 haGalil onLine

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