Der alte Mann
greift sich ans Herz, verzieht das Gesicht im Schmerz zur Grimasse.
Angstvolle Minuten vergehen, bis eine hastig geschluckte Tablette
Linderung bringt. Die Herzattacke geht vorüber. Dies alles ist zu
viel für den 80-Jährigen.
Der Herforder sitzt
im Saal des Mindener Verwaltungsgerichts, der Enkel steht hilflos
daneben. Im Hinterzimmer beraten die Richter der 4. Kammer über
seinen Antrag: Der alte Mann verlangt rund sieben Millionen Mark
Entschädigung. Er ist ein Nazi-Opfer. Unruhig geht der 80-Jährige im
Saal auf und ab, holt immer wieder tief Luft. Dann setzt er sich,
schließt die Augen, und die schreckliche Erinnerung kehrt zurück.
Die Erinnerung an
Zwangsarbeit, Folter und Tod. 1942, Westpreußen. Eines Tages steht
die Gestapo vor der Tür und holt den Sohn "reichsdeutscher" Eltern
ab. Er kommt ins Konzentrationslager Stutthof bei Danzig und muss
mit Tausenden von Leidensgenossen Zwangsarbeit leisten, ständig vom
Tode bedroht. Erst Anfang 1945 wird das Lager befreit.
Die Alpträume bleiben
Danach ist nichts mehr wie früher. In seinem Beruf als Schiffsmakler kann der
junge Mann nicht länger arbeiten. Ärzte bemühen sich, wenigstens die
körperlichen Folgen der Haft in den Griff zu bekommen. Die Alpträume bleiben.
1988 siedelt der Westpreuße von Polen in die
Bundesrepublik aus, bezieht seitdem eine monatliche Altersrente in Höhe von 2073
Mark. Bis heute spricht er nur gebrochen Deutsch. Vielleicht ist ihm die Sprache
seiner Peiniger verhasst. Die Verständigungsprobleme erschweren die Verhandlung
vor der Mindener Kammer erheblich. Anfangs können die Richter nur ahnen, was der
80-jährige Mann verlangt. Der Vorsitzende Carl-Wilhelm Mahncke hilft ihm mit
unendlicher Geduld bei der Formulierung eines Antrags.
Es geht um nicht näher bezifferte Leistungen nach
dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Doch der Herforder will mehr, was erst
nach und nach klar wird. Im zweiten Teil der Klage fordert er, ebenfalls auf der
Basis des BEG, rund sieben Millionen Mark für körperliche Schäden durch die Haft
sowie für die Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens, weil er nicht
mehr als Schiffsmakler arbeiten konnte. Sicher will er auch Gerechtigkeit.
Geltend gemacht wird ein Zeitraum von 45 Jahren. Beklagte ist die Düsseldorfer
Bezirksregierung.
Der Richter versucht den 80-Jährigen von seinem Vorhaben abzubringen. Zumindest
die Sieben-Millionen-Klage, warnt Mahncke, hätte wenig Aussicht auf Erfolg. Sein
Hinweis: Zuvor sei kein Verwaltungsverfahren gelaufen. Mithin sei die Kammer
wohl nicht zuständig. Niemand könne sich direkt an das Gericht wenden. Erst
müsse ein Antrag an die zuständigen Behörden gerichtet werden. Das hat der
Herforder nicht getan. Die sieben Millionen macht er in Minden zum ersten Mal
geltend.
An dieser Stelle beginnt ein weiteres Drama.
Sollte die Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden, was wahrscheinlich ist,
müsste der 80-Jährige als Unterlegener für die Prozesskosten aufkommen. Es
dürfte sich um eine Summe von mehreren zehntausend Mark handeln. Doch der Kläger
beharrt auch nach mehr als zwei Stunden auf seiner Entscheidung, während sein
Enkel, der übersetzen muss, ihm längst abrät. Die richtige Adresse wäre wohl
eher der Bundesfinanzminister.
Negativer Bescheid aus Düsseldorf
Etwas mehr Chancen auf Erfolg hat der alte Mann vielleicht mit dem ersten Teil
seiner Klage, in dem es um die weitaus geringere Entschädigungszahlung geht. Die
Düsseldorfer Bezirksregierung hatte allerdings bereits einen ablehnenden
Bescheid gesandt. "Mein Opa wird von Behörde zu Behörde geschickt", entfährt es
dem Enkel. "Doch niemand fühlt sich zuständig." Vielleicht bleibt nicht mehr
viel Zeit.
haGalil onLine
29-09-2000
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