Gestern saß
ich mit Amare im Garten eines der Cafés am Paul-Linke Ufer. Amare
versteht etwas von gutem Kaffee, schließlich kommt er aus Äthiopien.
Es war unser Abschiedsabend nach einer 13-jährigen Freundschaft, die
in einem Flüchtlingslager anfing.
Monatelang
dauerten seine intensiven Bemühungen, aus Deutschland zu emigrieren.
Gott sei Dank klappte es mit Kanada. Amare ist Agraringenieur mit
Abschluß. Er studierte vor 20 Jahren in Leipzig. Vielleicht war es
aber auch Rostock? In Kanada kann er endlich in seinem Beruf
arbeiten. Nach 6 Jahren als Tellerwäscher in einer chinesischen
Kneipe und 6 Jahren als Lagergehilfe bei Ikea hat er jetzt nur noch
einen Koffer.
"Genug für
Kanada, aber zu viel für einen gejagten Sündenbock in Deutschland",
sagte er lachend. Die Koffer stören nämlich auf der Flucht. Ich saß
mit Amare von vorne. Manfred haben wir schon von weitem gesehen. Als
er uns bemerkte, konnte er nicht mehr ausweichen. Sein Pech.
Er mußte sich zu
uns setzen. Schließlich kannte er Amare auch. Einst hatte Amare ihm
seine Wohnung renoviert. Manfred war irritiert über unsere
Leichtfertigkeit. Er meinte, wir hätten uns lieber in eine Ecke
verkriechen sollen. Zwar laufen die Glatzen mit Baseballschlägern
nicht gerade am Paul-Linke-Ufer vorbei, aber Vorsicht ist das Erste
Gebot in solchen Zeiten.
Manfred fühlte
sich offenkundig nicht wohl in unseren Gesellschaft. Er trank seinen
grünen Tee ungewöhnlich schnell. Insgeheim malte ich mir aus, was
der zarte Manfred machen würde, wenn plötzlich - hier und jetzt -
ein halbes Dutzend Glatzköpfe auftauchten. In meiner Vorstellung sah
ich ihn, sich unter eine Bank verstecken. Oder noch besser: im
Damenklo verschwinden. Seitdem ich ihn gesehen habe, wie er vor
einigen Monaten die drei von seinem Opa geerbten Messingaffen
liebevoll putzte, konnte ich ihm irgendwie nicht mehr trauen.
Lächelnd,
schaute uns Amare beide an, und ich bin sicher, daß ihm dabei nur
ein Satz durch den Kopf ging: "Was werden diese beiden Weißen tun im
Fall des Falles?" - Klar, ich würde mich mit Manfred im Damenklo
einschließen, und dann über mein Handy die Polizei benachrichtigen.
Falls ich es nicht vergessen haben sollte, und falls der Akku nicht
leer ist. Ich müßte dann in den ersten zehn Minuten, 20 Fragen
beantworten: Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, letzte und
vorletzte Adresse mit Staatsangehörigkeit inklusive. Und danach
würde Amare bestimmt eher einen Notarzt als einen Polizisten
brauchen. Die erste Hilfe könnte ich ihm auch erteilen. Ich habe ja
schließlich einen Wochenendkurs beim Deutschen Roten Kreuz
absolviert.. Prügeln kann ich leider nicht, aber gut verbinden.
Morgen reist
Amare ab. Mir traut er auch nicht mehr.
haGalil onLine
25-09-2000
|