Es muss nicht
gleich der Bundestagspräsident sein:
Wolfgang Thierse muss
nicht Kung-Fu trainieren
von Joanna
Wiórkiewicz
Ich gebe zu:
bis vor kurzem habe ich mich hierzulande etwas unsicher gefühlt.
Zwar ist die multikulturelle Hauptstadt nicht Guben oder
Hoyerswerda, aber Berlin by night hat mich in den zurückliegenden
Monaten nicht besonders gereizt. Besonders dann nicht, wenn
mir eine risikovolle Fahrt mit dem vorletzten S-Bahn-Zug nach Hause
bevorstand.
Meine Stimmung
hat sich jedoch rapide verbessert, seit dem der Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse öffentlich erklärt hat, mich im Falle eines
Falles höchstpersönlich zu verteidigen. Das ist rührend romantisch
von ihm und vielleicht auch nicht ganz unmöglich, angenommen, er
streifte durch dieselben Gassen wie ich, mit Baseball- oder
Golfschläger bewaffnet. Und,
angenommen, er ließe sich in den Pausen zwischen den Plenardebatten
in Kung-Fu unterrichten.
Die Rhethorik
hilft in solchen Situationen wenig. Aber - wie ich den Alltag der
Politiker kenne; wird Thierse bestimmt nach seinen vielen
Arbeitsstunden vom Reichstagsgebäude zu seiner Wohnung in Prenzlauer
Berg in einer gepanzerten Dienstlimousine gebracht. Somit sind
die Chancen, daß wir uns begegnen, und er mir in der Not hilft, sehr
gering. Obwohl man weiß ja nie....
Zivilcourage, zu
der sich auch manche Leser des Blattes "taz" bekennen, ist
ebenso bewundernswert. Wie sich das empirisch auswirkt -
will ich lieber nicht selbst überprüfen. Gleichzeitig ist es
wirklich erfreulich zu wissen, wieviele barmherzige Zorros mich
umgeben. Die süße Dankbarkeit, die mich von Kopf bis Fuß
durchströmt, hat jedoch einen bitteren Beigeschmack: sowohl die
kahlköpfigen Jungs aus Köpenick, als auch Herr Thierse und die
couragierten "taz"-Leser - haben eins gemeinsam: zwar aus
unterschiedlichen Gründen betrachten sie mich alle ohnehin als...
Opfer.
Sie wissen, daß
mich die früheren Regierungen - als Ausländerin - gesetzlich
ausgegrenzt, die Behörden mich gedemütigt , und unseriöse Medien
mehrmals kriminalisiert haben. In ihren Köpfen bin ich dadurch a
priori schwächer, benachteiligt und irgendwie nicht ganz vollwertig.
Ich habe einen schwierigen Namen, den man sich nicht merken kann,
ich rede mit einem fremden Akzent, und esse Knoblauch. Das alles
macht mich lebenslänglich zu einer Außenseiterin in dieser
Gesellschaft. Auch dann, wenn ich mir gesetzmäßig den deutschen
Ausweis beschaffe. Der schwierige Name wird bleiben, Akzent und
Eßgewohnheiten auch. Was sich ändern muß, sind die Gesetze,
die mir gleiche Chancen für die Gestaltung meines Lebens in
Deutschland ermöglichen.
Demokratische
Gesetze könnten ein erster Schritt sein, um die Denkmuster in den
Köpfen zu ändern. Kung-Fu-Übungen für couragierte
Bundestagspräsidenten würden somit überflüssig.
(SFB Multi
Kulti, 20. September 2000)
haGalil onLine
22-09-2000
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