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Potsdam -
Rund 33 Prozent der Brandenburger Jugendlichen haben eine klar
antisemitische Einstellung. So lautet das Ergebnis einer
Studie der Universität Potsdam. Nur ein Drittel der 14- bis
19-Jährigen sei frei von antisemitischen Vorurteilen, sagte
Ronald Freytag, Nürnberger Psychologe und Co-Autor, bei der
Vorstellung der Studie.
"Wir müssen uns
der Gefahr bewusst sein, dass der Teil der jungen Bevölkerung,
der leicht bis mäßig antisemitistisch eingestellt ist, im Begriff
ist, eine kulturelle Hegemonie zu erlangen." Diese Gruppe mit "eher
niedrigem", "niedrigem" oder "eher hohem" Antisemitismus
umfasse 60,7 Prozent der jungen Brandenburger. Nur 25,1 Prozent der
männlichen und 43,5 Prozent der weiblichen Befragten in Brandenburg
können sich vorstellen, mit einem Juden befreundet zu sein.
Auffällig ist,
so Freytag, dass es sich um einen "geschichtslosen" Antisemitismus
handelt. Von den 4500 Befragten aus Brandenburg und - zum Vergleich
- Nordrhein-Westfalen seien vor allem die Brandenburger
ausgesprochen schlecht informiert gewesen: Das von den Psychologen
erfundene Vorurteil, die Juden hätten gerade in der DDR besonders
hohe Entschädigungen nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen, war die
zweithäufigst angekreuzte Antwort auf die Frage, worauf sich die
Abneigung der Jugendlichen gegenüber den Juden begründe.
Die häufigste
Begründung war, dass die Juden aus ihrer Verfolgung in
Nazi-Deutschland heute Vorteile zögen. Tradierte und von den Eltern
oder Großeltern weitergegebene Vorurteile spielten dagegen kaum eine
Rolle, sagte Freytag. In Brandenburg stünden antisemitische
Jugendliche sogar oft im Gegensatz zu ihren Eltern. Generell ist der
jugendliche Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen nur etwa halb so
verbreitet.
Der Widerspruch
aus Unwissenheit und Fremdheitserleben spricht laut Dietmar
Sturzbecher, Direktor des Instituts für angewandte Jugendforschung
in Potsdam, für eine allgemeine Ablehnung von Fremdem und
einer Ignoranz menschlicher Werte überhaupt. "Es geht darum,
ein Feindbild zu haben", sagte Sturzbecher. Eine Ursache für die
Vorurteile sei die "Fehlverarbeitung" emotionaler Belastungen und
sozialer Ängste, so Freytag. So sind von den Jugendlichen, die
Arbeitslosigkeit ihrer Eltern miterlebt haben, vor allem jene mäßig
bis hoch antisemitisch eingestellt, die zugleich angaben, dass sie
diese Arbeitslosigkeit nicht stark belastet habe. Ebenso
neigten diejenigen Jugendliche besonders zu Antisemitismus, die
aussagten, ihr Leben sei stark fremdbestimmt.
Eine große
Gefahr sieht Sturzbecher darin, dass die Eltern von den Jugendlichen
in den neuen Bundesländern häufig nicht als Ansprechpartner in
politischen Fragen angenommen würden. Geschulte Antisemiten hätten
daher gerade bei orientierungssuchenden 12- bis 14-Jährigen leichtes
Spiel. Man müsse diesen labilen Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit
entgegenbringen und dürfe das Thema nicht tabuisieren, forderte
Sturzbecher. Auch die Qualität der politischen Bildung müsse sich
entscheidend verbessern. Diesen Wunsch hätten auch viele der Schüler
selbst geäußert. Besonders wichtig, so Sturzbecher, seien
authentische Quellen und vor allem glaubwürdige Lehrer.
Welt 7-9-2000
haGalil onLine
08-09-2000
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