SZ: Israel verstärkt den Druck auf die Palästinenser und dringt auf
mehr Beweglichkeit Arafats im Friedensprozess. Ist ein Abschluss im
Herbst noch realistisch?
Lewy: Der Friedensprozess ist in die Schlussphase geraten. Wir haben das Gefühl,
dass die Gegenseite Schwierigkeiten hat, die nötigen Beschlüsse zu fassen.
SZ: Aber die Probleme sind noch gigantisch. Der Status von Jerusalem ist
ungeklärt, ebenso das Schicksal der Flüchtlinge.
Lewy: Beide Punkte sind kritisch, und in beiden Feldern stehen die Palästinenser
unter Bewegungszwang. Am Problem Jerusalem hat sich gezeigt, dass Arafat in
einer Zwickmühle steckt: Er will einerseits als Retter Jerusalems für die
islamische Welt in die Geschichte eingehen. Andererseits will er den
Friedensschluss, der allerdings nur im Kompromiss zu erreichen sein wird. Für
diese zweite Rolle erhält er nur wenig Rückhalt. Seine Position ist
unrealistisch.
SZ: Neben Jerusalem liegt das Problem in der Rückführung der Flüchtlinge. Hat
sich die israelische Position seit Camp David geändert?
Lewy: Wir werden nach wie vor den Palästinensern zugestehen, dass sie in ihrem
möglichen Staat Flüchtlinge aufnehmen. Es ist uns auch klar, dass Israel und die
internationale Gemeinschaft finanziell helfen müssen. Wir werden es aber mit
Sicherheit nicht akzeptieren, wenn das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge das
Kernland Israels einbezieht. Das wäre gleich einem nationalen Selbstmord.
SZ: Sehen sie Arafat inzwischen als Hindernis auf dem Weg zum Friedensschluss?
Lewy: Es war wirklich unverständlich, wie sich der Friedensnobelpreisträger
Arafat nach Camp David als Saladin feiern ließ. In den Augen der Moslems ist
Saladin der Bezwinger des ersten Kreuzritterstaats im Königreich Jerusalem.
Arafats Verhalten erweckt den Eindruck, als ob er Angst vor einem
Friedensschluss hätte – fast schon, als ob er seine Macht ausschließlich aus dem
Widerstand gegen den Friedensschluss bezöge.
SZ: Arafat deutet einen Rückzug bei der Ausrufung des Palästinenser-Staates an.
Lewy: Der 13. September ist kein heiliges Datum mehr. Er verliert an Wert. Wir
gehen davon aus, dass er das Datum verlegt. Arafat bekam auf seiner Reise um die
Welt zu hören, dass er keine einseitigen Schritte vollziehen soll. Das würde
verheerende Folgen haben für den Friedensprozess. Auch die Europäer wissen, dass
ein einseitiger Schritt fatale Folgen hätte. Diese Haltung ist konstruktiv und
hilft den Europäern, eine Rolle zu spielen.
SZ: Die Bedeutung eines kleinen und wirtschaftlich schwachen palästinensischen
Staates könnte ohne die Reibung mit Israel sinken.
Lewy: So eine Denkschule wäre bitter – auch für die Palästinenser.
SZ: Sind die Vorschläge des designierten deutschen Botschafters in Israel
hilfreich für den Friedensprozess? Rudolf Dreßler hat sehr dezidierte Ideen über
die Zukunft Jerusalems entwickelt.
Lewy: Nein, sicherlich nicht. Die Position der Bundesregierung und der Europäer
ist, dass sie jede einvernehmliche Lösung für Jerusalem willkommen heißen. Daran
sieht man, wie weit man gehen kann.
SZ: Ihre Regierung hat die Äußerungen heftig kritisiert.
Lewy: Sie wurden mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, aber ich möchte das nicht
kommentieren – schon aus Kollegialität nicht.
SZ: Welche Rolle können Deutschland oder Europa im Friedensprozess überhaupt
spielen? Die USA dominieren die Szene als Patronatsmacht.
Lewy: Das ist kein Patronat. Es ist auch kein pax americana vorgesehen. Die
Europäer haben eine Rolle, die nicht nur wirtschaftlicher Natur ist.
SZ: Aber die Europäer saßen in Camp David nicht am Tisch.
Lewy: Es gibt mehr als nur einen Verhandlungstisch. Es gibt informelle Runden,
Arbeitsgruppen, flankierende Gespräche. Überall ist politischer Einfluss
möglich, er sollte nicht unterschätzt werden.
SZ: Gäbe es einen besonderen deutschen oder europäischen Beitrag, um die
Verstockung nach Camp David aufzulösen?
Lewy: Es gibt keine Verstockung. Aber die Europäer wirken durchaus auf die
Palästinenser ein, die nötige extra Meile zu gehen. Die Zuversicht steigt in dem
Maße, in dem klar wird, welche Folgen es haben wird, wenn das Abkommen nicht
zustande kommt. Wir haben eine einmalige Gelegenheit, den Schlussstein zu
setzen.
SZ: Welche Form der Anbindung an die EU ist für Israel denkbar?
Lewy: Die Frage muss man abkoppeln von der Entwicklung des Friedensprozesses.
Die Bindung an Europa ist nicht nur eine Wertegemeinschaft im geistigen und
wirtschaftlichen Sinne, sondern liegt im gegenseitigen politischen Interesse.
Nachdem das Assoziierungsabkommen ratifiziert wurde, bieten sich enorme
Möglichkeiten. Es wird einige Zeit dauern, bis wir das ausschöpfen können. Auch
der nächste Schritt wäre nicht der Antrag auf Mitgliedschaft. Es ist aber
durchaus denkbar, dass Israel in weiter Zukunft andere Formen findet, um seine
Wertegemeinschaft mit Europa zu vertiefen
SZ: Sie arbeiten nun zum zweiten Mal in führender Rolle als Vertreter ihres
Landes in Deutschland. Zuletzt waren sie Anfang der 90er Jahre Generalkonsul in
Berlin. Was hat sich verändert?
Lewy: Ganz banale Dinge zunächst. Nach dem Umzug von Bonn nach Berlin müssen wir
erst einmal lernen, wie wir unsere Beziehung mit ganz Deutschland von einem
neuen Standort pflegen.
SZ: Öffnen sie doch mehr Konsulate.
Lewy: Ich würde es sehr begrüßen, wenn ich am Ende meiner Amtszeit für solche
Empfehlungen stehen könnte.
SZ: Spielt Berlin als historisch belastete Stadt eine andere Rolle? Treten
Deutschland, die Regierung, die Politik in der Hauptstadt anders auf?
Lewy: Es gibt ein neues Gefühl für Souveränität. Dieses Souveränitätsdenken ist
nicht ungesund. Was anderen zugestanden wird, muss auch Deutschland zugestanden
werde.
SZ: Die Deutschen tun sich schwer mit der Vorstellung, dass sie nun Interessen
verfolgen oder ihren Einfluss offen ausspielen sollen.
Lewy: Natürlich darf man nationale Interessen haben, man muss sie auch
artikulieren. Da ist man auf gleicher Augenhöhe, um einen ehrlichen Dialog zu
führen – nicht nur mit Israel. Souveränitätsdenken hat übrigens auch mit der
Innenpolitik zu tun, wenn die Gesetzgebung nicht voll ausgeschöpft wird auf
Grund der verständlichen Traumata der Weimarer und Nazi-Zeit.
SZ: Sie sprechen vom Umgang mit Rechtsextremen und Gewalttätern?
Lewy: Deutschland hat sich geändert. Ich bin kein Jurist, ich bin auch kein
Moralist, aber ich glaube, dass in der Bekämpfung des Rechtsextremismus ein
Rechtsdenken vorherrscht, Fehler nicht mehr zu begehen, die man in der Weimarer
und Nazi-Zeit begangen hat
SZ: Ist das Land zu zögerlich mit Verboten?
Lewy: Das ist keine Sache der Verbote. Das hat mit einem absoluten
Toleranzverständnis der Deutschen zu tun. Natürlich wurde dieses Verständnis in
den 50-er Jahren von allen erwartet. Nötig wäre also ein gesundes
Demokratieverständnis, ohne zu sehr über die Schultern zu gucken, und zu fragen:
Was werden die anderen sagen. Souveränität bedeutet auch mehr Selbstsicherheit.
SZ: Gleichwohl bildet das Grundgesetz ein stabiles Gerüst im
Nachkriegsdeutschland. Sollte man daran rütteln?
Lewy: Der Engpass liegt doch in der juristischen Bekämpfung des
Rechtextremismus. Meine Erfahrung aus den Jahren von 1991 bis 1994 zeigt, dass
Kläger bewusst vermieden haben, Urteile einzufordern. Sie haben offenbar das
Risiko gescheut, erfolglos zu sein. Man sollte jetzt mehr wagen. Und wenn man
scheitert, kann man später immer noch über die Gesetze reden.
SZ: Es wird häufig beklagt, dass das zivilgesellschaftliche Potenzial nicht
stark genug ist, dass die Leute wankelmütig seien.
Lewy: Das stille Beklatschen ist kein deutsches Phänomen.
SZ: Und wie kommt man dem bei?
Lewy: Ich kann Ihnen da kein Rezept geben. Es soll keine Verharmlosung sein,
aber wenn man sich die Bevölkerung in anderen Ländern anschaut, dann wollen auch
die nicht den wirtschaftlichen Kuchen teilen, den sie gebacken haben. Es wäre
aber ein Fehler, Rechtsextremismus nur mit wirtschaftlichen Gründen zu erklären.
Haider ist nicht durch eine wirtschaftliche Krise bedingt. Kein Mensch kann
ernsthaft behaupten, dass ein Ausländer einem Österreicher den Arbeitsplatz
wegnimmt. Das ist eher ein verspäteter Tribalismus, wahrscheinlich eine Reaktion
auf die Intransparenz der europäischen Einigung. Wenn der Souveränitätsverlust
im Alltag zu spüren ist, dann versteht der Bürger nicht, was mit ihm geschieht.
SZ: Hat Extremismus in Deutschland nach wie vor eine andere Qualität als in
anderen Ländern?
Lewy: Ja, es wird viel schneller zum Imageproblem. Extremismus in Deutschland
wird von außen mit einem Vergrößerungsglas betrachtet. Das kann man beklagen,
das kann man befürworten, aber es ist so.
SZ: Historisch bedingt . . .
Lewy: . . . auch Psychologie schafft Fakten. Hier liegt die Schwierigkeit,
dieses gesunde Maß an Souveränitätsgefühl zu bekommen.
SZ: Wie beobachtet Israel diesen Zuwachs an Souveränität?
Lewy: Auch da hat sich viel geändert. Nicht, dass es keine Befangenheit gäbe mit
Deutschland. Gewisse Kreise werden Sie immer noch finden, die Deutschland nicht
bereisen können und keine deutschen Waren kaufen. Die Schwelle der Befangenheit
ist aber auch in Deutschland gesunken. Jede Generation stellt die selben Fragen,
die ihre Väter gefragt haben. Aber Unbefangenheit wie auch Verständnis
füreinander wachsen mit der persönlichen Begegnung..
SZ: Wie verstehen Sie Ihre Rolle in diesem Zusammenhang?
Lewy: Die Deutschen nicht zu entmutigen – und optimistisch zu sein. In
Deutschland neigt man zur Nabelschau. Aber manchmal muss man Umschau halten, um
die jetzigen Probleme wahrzunehmen und die richtige Antwort zu finden.
Erschienen in der
Süddeutschen Zeitung
vom 23. August 2000
haGalil onLine
28-08-2000
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