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Deutsche gegen Deutsche:
Schluss mit den Stellvertreterdebatten

Von Jacob Heilbrunn / Süddeutsche Zeitung 26-08-2000

Jude gegen Jude. Ich habe Ihre Aufmerksamkeit, stimmt’s? "Jew versus Jew" ist der Titel eines neuen Buches, das mit der These vom vermeintlichen Bürgerkrieg zwischen orthodoxen und reformierten Juden in den Vereinigten Staaten für Wirbel sorgt. Das ist nicht gerade ein Thema, mit dem sich viele Deutsche für gewöhnlich beschäftigen. Doch kann mit diesem Titel vielleicht erklärt werden, wie so viele Debatten über den Holocaust in Deutschland geführt werden – mit Hilfe von Stellvertretern. Wie die Vereinigten Staaten nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland "amerikanisierten", so haben sie auch die Debatte über den Holocaust amerikanisiert.

Norman Finkelstein hat in der Süddeutschen Zeitung (11. August) seine These von der "Holocaust-Industrie" vorgestellt. Nach Charles S. Maier (16. August), Ulrich Herbert (18. August), Marcia Pally (22. August) und Natan Sznaider zu Wort (24. August) meldet sich nun Jacob Heilbrunn zu Wort, Kolumnist für die New York Times, Foreign Affairs und das SZ-Magazin.


Wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die amerikanische Berichterstattung über Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung auf die Frage, ob – ich zitiere aus einem berühmten Nachkriegsbuch – der Stechschritt wiederkehren werde. Amerikanische Journalisten eilten 1989 nach Deutschland, um herauszufinden, ob nun das Vierte Reich am Entstehen sei. Sie schauten sich nach ein paar Neonazis um und wurden äußerst entgegenkommend mit einem gewaltigen Spektakel bedacht – nämlich mit den Bilderbuchszenen von Skinheads und Neonazis, die Flüchtlingsunterkünfte in Rostock und Hoyerswerda in Brand steckten. Währenddessen stotterte das Außenministerium hilflos daher, dass die deutsche Demokratie nicht in Gefahr sei – worum es ja überhaupt nicht ging. Die Skinheads wurden für einige Zeit unter Kontrolle gebracht, und die amerikanischen Journalisten mussten nach der kleinen Aufregung wieder heimtrotten. Selbst damals wurde der jüdische Einfluss als ausschlaggebend empfunden, da es ja eine angebliche „Ostküstenelite“ von Journalisten war, die den deutschen Namen in den Schmutz zog. Es ist unwichtig, dass das gar nicht stimmte, denn die Deutschen glaubten, es sei so – und das ist entscheidend. Jedenfalls konzentrieren sich die Amerikaner seitdem auf das Wesentliche. Interessant wurde es schon in den siebziger Jahren mit der Fernsehserie „Holocaust“; aber nach 1989 war der Holocaust endgültig „in“: „Schindler’s Liste“ und Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“ waren die größten Hits. Schon in Ordnung. Wenn sich die Amerikaner schon mal für ein historisches Geschehen interessieren, zumal eines, das außerhalb ihrer Grenzen stattfand, sollte man das nicht verachten.

Aber Deutschland ist anders. Hier wurde Geschichte schon immer auf eine ganz andere Art ernst genommen als in den Vereinigten Staaten. Die „Weltfremdheit“ – in den geschäftigen, industriellen Vereinigten Staaten verachtet – war im Deutschland des 19. Jahrhunderts ein angesehener Begriff. Man denke nur an die Ehrfurcht vor Theodor Mommsen, wenn er mit der Straßenbahn durch Berlin fuhr; oder an Lord Palmerstons Kommentar, Deutschland sei „dieses verdammte Land der Professoren“. Deutsche Historiker sind keine Faulpelze. Monographien werden veröffentlicht, die Bücher stapeln sich, Institute werden gegründet und Lesungen gehalten.

Aber irgendetwas fehlt. Die wichtigste Frage bei der Untersuchung des Holocausts ist doch: Wo seid ihr gewesen, liebe Leute? Der Krieg um den Holocaust – und es ist ein Krieg geworden – scheint größtenteils auf amerikanischem Territorium ausgetragen zu werden und wird dann nach Deutschland exportiert, wo die Feuilletons das Ganze mit ein paar Polemiken und vielen düsteren Essays auffüllen. Die Debatten, die in Deutschland selbst stattfinden, etwa jene über die Preisverleihung an Ernst Nolte oder über die Rede von Sloterdijk, sind ziemlich vorsichtige Geschichten und ohne viel intellektuelles Gewicht; und fraglos ist das akademische Niveau in Deutschland heute niedriger als in den USA. Ein richtiger Waffengang scheint erst dann stattzufinden, wenn die Vereinigten Staaten die Diskussion begonnen und mit einem ordentlichen Gütesiegel versehen haben – dann kann man frei mit Anschuldigungen über Geld um sich werfen, über Opferzahlen, Überlebende, über deutsche Schuld, deutsche Verantwortung, deutsche Ausreden, deutsche Mordlust, deutsche Jugend. Selbst wenn einmal eine Debatte auf deutschem Boden ausbricht wie etwa die Walser-Affäre – und in Deutschland wird aus einer Debatte immer gleich eine Affäre oder ein „Fall“ –, dann werden Amerikaner zu Richtern bestellt.

Wieso beispielsweise hat man letztes Jahr ausgerechnet Fritz Stern mit dem Friedenspreis ausgezeichnet? Natürlich hat er den Preis verdient. Aber das war wahrscheinlich nicht der wahre Grund, warum er gerade in diesem Jahr ausgewählt wurde. In der Tat beantwortet sich diese Frage von selbst: Als ein amerikanischer Jude, der ins Exil getrieben wurde, besaß er die nötige Autorität, um der deutschen Demokratie seinen Segen zu erteilen. Das soll kein Angriff auf seine Rede sein, aber die Wahrheit ist, dass sie, so würdevoll sie auch war, nicht viel Neues beinhaltete. Im Gefolge der Walser-Affäre wurde Fritz Stern in die Schusslinie geschoben. Seine Anwesenheit sollte die erregten Gemüter beruhigen, sollte zeigen, dass die Deutschen nicht hoffnungslos rückschrittlich, sondern aufgeklärte „Weltbürger“ seien.

Die Affäre um Walser, nicht seine Rede, ist symptomatisch dafür, wie in Deutschland Debatten über den Holocaust geführt werden: nämlich unehrlich. Diese Unehrlichkeit liegt nicht in einer absichtlichen Verzerrung der Fakten, sondern im exakten Gegenteil: in der Weigerung, sie so vorzutragen, wie man sie wirklich sieht. Ein solches Verhalten ist das direkte Erbe der Konsensdemokratie der Bonner Republik: Da schloss man die Öffentlichkeit bebvorzugt aus, misstraute ihr, da sollten elitäre Politiker miteinander verhandeln und sich im Stillen um das öffentliche Wohl kümmern. Eine nicht unbedeutende Zahl deutscher Intellektueller steckt bis heute in diesem geistigen Gefängnis.

Man denke nur an die Rolle des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher in der Walser-Debatte : Er hat sich ja praktisch zu einer Brezel verdreht, um in seiner Einleitung zur Buchausgabe der Walser-Rede so zu tun, als stünde er nicht wirklich auf dessen Seite, oder zumindest nicht völlig; und dann stürzte er sich begeistert auf Bubis, als dieser Walser angriff. Aber es war Bubis mit seiner üblichen Ungeduld bei filigraner Rhetorik, der die Dinge beim Namen nannte. Insofern war Walser eigentlich ein passender Gegner, hatte er doch eine gute Vorlage geliefert. Trotz aller Schwächen hatte und hat Walser wenigstens den Mut, seine Ansichten auszusprechen. In seinen wunderbaren Roman „Ehen in Philippsburg“ wird seine Verachtung für das bourgeoise Gejammere Westdeutschlands von Anfang an deutlich und laut. Wenn er wirklich glaubt, dass die Juden Deutschland ausplündern, dann ist es doch wirklich besser, dass er das herausbrüllt, anstatt knurrend umherzulaufen. Aber was ist mit all den Menschen im Publikum, die ihm stehend Beifall klatschten – und im nächsten Jahr genauso für Fritz Stern: Haben sie sich die Reden, die sich völlig widersprachen, angehört? Oder sind sie gnadenlose Heuchler?

Jetzt hat der prahlerische Norman Finkelstein die Bühne betreten und eine neue Debatte in Deutschland entfacht. Es ist einigermaßen erstaunlich zu sehen, wie leicht die Deutschen in die Falle gelaufen sind und nun so aufgeregt über eine schwache Polemik diskutieren, die in den USA ziemlich gleichgültig aufgenommen wurde. Finkelstein gibt sich als Anti-Goldhagen und hat damit in Deutschland einen Nerv getroffen – denn er hat praktisch die Erlaubnis erteilt, über etwas zu diskutieren, das anscheinend in einigen, wenn nicht sogar in vielen Köpfen herumspukt. Rein nach seinem Unterhaltungswert ist Finkelstein unschlagbar. Ein amerikanischer Jude, der Reparationszahlungen und die Ausbeutung des Holocausts als Stützpfeiler Israels anprangert – das muss besser sein als ein Porno. Der zentrale Punkt ist aber nicht, ob Finkelsteins Thesen richtig sind oder falsch, sondern dass es einen amerikanischen Juden braucht, um eine Debatte in Deutschland loszutreten.

Wann wird es endlich heißen: 
Deutsche gegen Deutsche?

haGalil onLine 28-08-2000

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