Noch Glück im Unglück hatten zwei nichtdeutsche Mitbürger am Abend des 3.Juli
in Düsseldorf. Auf dem S-Bahnhof Derendorf wurden sie von einer siebenköpfigen
Gruppe neonazistischer Skinheads, darunter zwei 17jährige Frauen, angegriffen.
Eines der Opfer wurde auf die Schienen gestoßen und anschließend mit Fußtritten
traktiert.
Der Mann mußte zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert
werden. Die herbeigerufene Polizei erschien relativ schnell und konnte die
Gruppe noch vor Ort festnehmen. Gegen die fünf männlichen Angreifer im Alter von
18 bis 23 Jahren aus Düsseldorf, Langenfeld, Leverkusen und Mönchengladbach
wurde von der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf ein Strafverfahren wegen
gefährlicher Körperverletzung eingeleitet.
Haftbefehle wurden nicht erlassen. Ein versuchtes Tötungsdelikt liegt nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht vor, da »weit und breit kein Zug in der
Nähe« gewesen sei. Und eine organisierte Neonaziszene sei in Düsseldorf nicht
vorhanden. Einräumen mußten die Ermittlungsbehörden allerdings, daß die Gruppe
auf dem Heimweg vom Proberaum ihrer Band »Reichswehr« war.
In Düsseldorf seien aber bisher keine Auftritte dieser und anderer
neonazistischer Bands bekanntgeworden. Das hartnäckige Leugnen einer
neonazistischen Szene hat Tradition in Düsseldorf. In der »weltoffenen und
toleranten« nordrheinwestfälischen Hauptstadt kann es eben keine organisierte
Neonaziszene geben. Eine Erkenntnis, die noch nicht einmal innerhalb des
Staatsschutzes auf ungeteilte Zustimmung stößt. Der nordrhein-westfälische
Verfassungsschutz schrieb in seinem Bericht über das Jahr 1999, daß in
Düsseldorf »gefestigtere Neonazistrukturen« existieren würden.
Seit Mitte der neunziger Jahre agiert in Düsseldorf die »Kameradschaft
Düsseldorf«, die aus dem Düsseldorfer Kreisverband der verbotenen FAP
hervorgegangen ist und seit 1994 das »Nationale Infotelefon Rheinland« betreibt.
Die Gruppe ruft dazu auf, »nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen
Revolution (zu) leben« und bezeichnet Juden »als Deutschlands größte Feinde«.
Sie verfügt über zwei Homepages im Internet, führt landesweite Veranstaltungen
der »Freien Kameradschaften« in Düsseldorf durch, organisiert Konzerte vor Ort
und sorgt durch martialisches Auftreten auch schon einmal dafür, daß städtische
Veranstaltungen zum Thema »Rechtsextremismus« abgesagt werden müssen. Seit
Jahren ist die Gruppe auf nahezu allen neonazistischen Demonstrationen und
Veranstaltungen in Deutschland und in den Niederlanden anzutreffen.
Rechtsrockstrukturen, also Bands, Vertriebe, Fanzines und Labels gibt es in
Düsseldorf und dem Umland in Hülle und Fülle. Sogar einen Szeneplattenladen, in
dem auch ein Mitglied der »Kameradschaft« beschäftigt ist. Von Düsseldorf und
Langenfeld aus wird einer der bundesweit größten Rechtsrockvertriebe sowie eines
der wichtigsten Labels betrieben. Musik ist auch für die Düsseldorfer
Neonaziszene zum
wichtigsten Ideologieträger geworden. Mehrere Konzerte in Düsseldorf und dem
Umland bestätigen, daß diese Chance erkannt worden ist.
Auch von der Staatsschutzmär von den nicht vorhandenen neonazistischen
Übergriffen in Düsseldorf bleibt nach einer näheren Betrachtung nichts übrig.
Der »Koordinierungskreis
antifaschistischer Gruppen aus Düsseldorf« (ANTIFA-KOK) weiß von einer
Vielzahl von Übergriffen zu berichten. Anna Names, Sprecherin des ANTIFA-KOK:
»Wenn beispielsweise ein 1998 erfolgter Angriff auf einen Schwarzen statistisch
nur unter
Körperverletzung und Beleidigung und nicht unter 'fremdenfeindliche Straftat'
erfaßt wird, sollte es nicht weiter verwundern, wenn die Bilanz in Düsseldorf
'vorbildlich' ist«.
Pierre Briegert, Düsseldorf
jw 06-07-2000
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