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Die Szene gemahnte eher an Beirut als an die Bundesrepublik. Die
Bombe, die am Donnerstag Nachmittag in einem Eingang des
Düsseldorfer S-Bahnhofs Wehrhahn explodierte, verletzte neun
Personen schwer.
Sieben von ihnen stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Es
handelt sich um jüdische Kontingentflüchtlinge, die einen Kurs in
einer nahe gelegenen Sprachschule besuchten. Sie waren auf dem Weg
zu ihren S-Bahnen, als die Bombe explodierte.
Die 24-jährige Tatjana L. verlor bei dem Anschlag ihr ungeborenes
Kind. Ihren von der Explosion abgetrennten Unterschenkel konnten die
Ärzte in einer Notoperation wieder annähen. Ihr Ehemann Michael L.
(28) sowie zwei weitere Personen wurden schwer verletzt. Michael L.
erlitt schwere Bauchverletzungen durch herumfliegende
Bombensplitter, wie Staatsanwalt Johannes Mocken mitteilte. Die
übrigen Verletzten, sechs Frauen und drei Männer, sind zwischen 24
und 50 Jahre alt.
Özkan Postal, der einen Kiosk in unmittelbarer Tatnähe betreibt,
zeigte sich entsetzt. Die Opfer hätten in "richtigen Blutlachen"
gelegen. "Sie sahen aus, als wäre eine Granate in ihrer Hand
zerplatzt", berichtet er. Drei der Opfer hatten sich noch aus dem
Ausgang auf die Straße geschleppt und seinen dort zusammengebrochen,
sagte der 15-jährige Jürgen Peter, der den Opfern zur Hilfe geeilt
war. "Sie waren blutüberströmt", so der Jugendliche. Gestern befand
sich noch ein Mann in Lebensgefahr.
Immer mehr Anschläge
Ein Anschlag mit rechtsextremem Hintergrund? Das ist - bisher -
reine Spekulation. Fakt ist jedoch: Schüler der Sprachschule wurden
bereits des Öfteren angepöbelt. "Wir wurden hier schon öfter
angemacht", berichtet eine 42-Jährige. "Russen und Juden sind hier
nicht sehr beliebt." Fakt ist ferner: In diesem Monat hatte es in
Nordrhein-Westfalen gleich zwei brutale Übergriffe gegen Ausländer
und Antifaschisten gegeben. Am S-Bahnhof Düsseldorf-Derendorf, zwei
Stationen vom jetzigen Tatort entfernt, wurden am 3. Juli zwei
Ausländer von einer Gruppe Skinheads aus dem Umfeld der Band
"Reichswehr" angegriffen. Am darauf folgenden Wochenende wurde in
Wuppertal eine Gruppe von ehemaligen KZ-Häftlingen während einer
Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers Kemna brutal angegriffen. Die Täter, die ihre
Opfer mit Baseballschlägern und Tränengas traktierten, entstammen
der Skinheadszene und waren zum Teil Mitglieder der NPD. Einer der
mutmaßlichen Rädelsführer ist Landesvorstandsmitglied der
rechtsextremen Partei, die sich immer mehr zu einem Auffangbecken
für die militante Rechte entwickelt.
Die Landeshauptstadt Düsseldorf zählt zu fünf Städten und
Regionen Nordrhein-Westfalens, in denen der Verfassungsschutz
"gefestigte rechtsextreme Strukturen" ausmacht. 1996 hatte es hier
einen Brandanschlag auf ein von Aussiedlern bewohntes Heim gegeben.
Der Täter hatte vor seiner Tat sämtliche Feuerlöscher aus dem Heim
entfernt. Nur durch Zufall konnte der Brand entdeckt und gelöscht
werden. Doch die Heimtücke reichte offenbar nicht aus, um den
Brandstifter wegen versuchten Mordes zu belangen: Er ist längst
wieder auf freiem Fuß, wird auf der Homepage der "freien
Kameradschaft Düsseldorf" als Held gefeiert.
Haben die Rechten nun gegen eine weitere ihnen missliebige
Personengruppe zugeschlagen? Sollte dies der Fall sein, dann müsste
man von einer neuen Qualität des Rechtsterrorismus in Deutschland
ausgehen. Denn dann wäre der Anschlag minutiös geplant gewesen. Die
Opfergruppe verließ jeden Tag zur selben Zeit die Schule, um zur
S-Bahn zu gehen. Staatsanwalt Johannes Mocken betonte, dass es nicht
auszuschließen sei, dass der Täter sich dieses Wissen zu Nutze
gemacht habe, "um die Gruppe gezielt zu treffen". In diesem Falle
läge es nahe, dass der Sprengkörper per Fernzündung zur Explosion
gebracht wurde, so Mocken weiter. Es könne aber auch Zufall sein,
dass sich die Bombenexplosion genau zu dem Zeitpunkt ereignete, als
sich die Gruppe an der S-Bahn-Station Wehrhahn befand.
Versuchter Mord
Der Täter habe in Kauf genommen, "Menschen zu töten", und dabei
ein "gemeingefährliches Mittel verwandt", weswegen die
Staatsanwaltschaft neben gefährlicher Körperverletzung auch wegen
versuchten Mordes ermittelt. Noch, so Mocken, gäbe es keine "heiße
Spur". Die Behörden versprachen sich von der Analyse des
Sprengkörpers wesentliche Erkenntnisse für die Ermittlungen. In
diese wurden das Landes- und Bundeskriminalamt eingeschaltet. Es
bestehe auch Kontakt zum Generalbundesanwalt, sagte der Leitende
Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Manfred Classen. Für Hinweise auf die
Täter wurde eine Belohnung von 10.000 Mark ausgesetzt.
Namens der Landesregierung sprach der stellvertretende
Ministerpräsident Michael Vesper den Angehörigen sein tiefes
Mitgefühl aus. Der Grüne betonte, dass die Regierung dafür Sorge
tragen werde, dass die Verantwortlichen gefasst und zur Rechenschaft
gezogen würden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul
Spiegel, sprach von einem "Attentat gegen Menschen, unabhängig
davon, ob es sich um Deutsche, Ausländer oder Juden handelt". Er
warnte indes vor voreiligen Spekulationen über mögliche
antisemitische Motive.
Doch auch ohne rechtsextremen Hintergrund besteht kein Grund zur
Beruhigung: Der Gedanke, dass ein Verrückter wahllos Menschen mit
einer Bombe angreift, dürfte manch einem Düsseldorfer schlaflose
Nächte bereiten. Noch in einem Kilometer Entfernung hat man die
Detonation gespürt. "Ich dachte, das sei eine Gasexplosion", sagte
eine alte Frau. "Ist man in Düsseldorf denn gar nicht mehr sicher?"
taz 29.7.2000
TAZ-Bericht MARCUS MEIER
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29-07-2000
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