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Ich liebe Berlin. Ich liebe
unsere Wohnung mit den hohen Decken und dem Blick auf die sattgrünen Kastanien
gegenüber. Mein Job macht mir Spaß, die verqualmten Nächte mit Freunden auf
harten Berliner Kneipenbänken erst recht.
Mein Kind spielt mit anderen Kindern
in seinem Stamm-Sandkasten, wir sind hier zu Hause. Ich will nicht weg,
überhaupt nicht. Und doch. Allmählich halte ich dieses Land nicht mehr aus.
Zuerst beschlich mich das Gefühl 1992, als es in Mölln und Solingen brannte.
Dann Lübeck, dann Hoyerswerda. Es ließ sich immer wieder mit Wörtern wie
„Ausnahme" oder „arme Irre" verdrän-gen. Aber acht Jahre später geht das
nicht mehr. Jeden Tag neue Meldungen von Gewalttaten selbst ernannter
Herrenmenschen, und man ist schon froh, wenn die Opfer „nur" verletzt sind.
Gerade waren es Kinder in einer Flüchtlingsunterkunft in Ludwigshafen.
Kinder, die den Krieg im Kosovo überlebt haben. Ein Land, in dem so etwas
normal ist, ist nicht mehr mein Land.
Noch nie war ich so hoffnungslos. Früher gab es noch so etwas wie Wut. Es
ist auch mein Land, verdammt noch mal! Ich bin hier geboren und
aufgewachsen, Deutsch ist meine Muttersprache. Ich arbeite mit ihr und singe
meinem Sohn deutsche Kinderlieder vor. Ich habe den Wunsch und jedes Recht,
hier zu leben. Und zwar in einer Demokratie, in der niemand um sein Leben
fürchten muss, weil er irgendein Kriterium erfüllt, das eine immer größer
werdende Menge von Neonazis festlegt - verstanden, ihr Arschlöcher?
Aber jetzt? Oft habe ich mich als Teenager gefragt, wie es damals so weit
kommen konnte, 1933. Und naiv geglaubt, man hätte es doch verhindern können.
In den Zwanzigern fing es genauso an wie jetzt: Einschüchterung durch braune
Schlägertrupps, und die heutigen sind schon fast genauso zahlreich und so
gut organisiert. Ihr Konzept geht auf, Glückwunsch. Neulich haben mein Mann
und ich mit einer Bekannten vom American Jewish Commitee überlegt, ob wir in
Brandenburger Schulen gehen und den Jungs und Mädels davon erzählen sollten,
was es heißt, jüdisch zu sein. Doch dann fiel uns Inge Deutschkron ein, die
neulich nach einem Vortrag von eben diesen Brandenburger Jungs und Mädels
gejagt wurde. Sie hat den Krieg in Berlin im Untergrund überlebt. Und muss
sich jetzt wieder vor stolzen Deutschen verstecken. Diesem Land ist einfach
nicht zu helfen.
Nein, ich will nicht mehr kämpfen oder - wie Herr Thierse unermüdlich betont
- der rechten Ideologie „entschlossen entgegentreten". Wir werden nicht in
die Schulen gehen, um als willkommene Opfer empfangen zu werden . Wir werden
uns von hirnverbrannten Glatzenträgern keine Menschen verachtenden Parolen
anhören - so wie neulich in einem Fernsehbericht, nachdem ein Familienvater
aus Mosambik in Dessau zu Tode getreten wurde. Eine Journalistin hat die
Freunde der Tatverdächtigen interviewt, und mir blieb die Luft weg. Ja,
fänden sie gut, die Aktion, schließlich hätte der Neger hier nichts zu
suchen gehabt. Nein, so etwas wie Mitleid mit den drei kleinen Kindern
empfänden sie nicht - die seien ja Mischlinge, also eine minderwertige Rasse
und hätten in Deutschland auch nichts zu suchen.
Mir ist schlecht, ich muss hier raus. Ausländer, kommt besser mit, wenn euch
euer Leben lieb ist. Schwule und Lesben, schließt euch an, alle Juden,
Sinti, Roma ebenfalls. Die wenigen verbleibenden Linken und die Behinderten
nehmen wir mit, und dann haben wir endlich Ruhe vor dem dumpfdeutschen
Terror. Wohin? Egal. Ein paar unbewohnte Inseln gibt es noch auf diesem
Planeten. Vielleicht kriegen wir ja auch irgendwo Asyl?
Meike Wöhlert
in Zitty Nr. 16 / 2000 vom 27.
Juli 2000
mit freundlicher Erlaubnis der Verfasserin
Diskussion [
Terror von Rechts]
haGalil onLine
31-07-2000
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