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Da stehen sie wieder schreiend, mit ihren "Hisb-Allah"-Stirnbändern.
Schütteln die Fäuste und schwören, Palästina von allen Juden zu
befreien. Selbst der Rückzug der Israelis aus dem besetzten
Südlibanon reicht ihnen nicht. Dem westlichen Betrachter graut vor
den fundamentalistischen Emotionen, die aus Nahost über die
Fernsehbildschirme flimmern. Archaisch kommt dieser Hass daher. Von
biblischen Ausmaßen erscheint er, ewig und unauslöschbar.
Zumindest wollen uns das die Konzelmänner und Huntingtons dieser
Welt glauben machen: Ein Kampf der Zivilisationen, der Islam als
ewig expansive Macht, die auch den Westen bedroht. Auch wenn es
einem scheinen mag, dass hier nur der alte Sparringspartner
Kommunismus wegen Schwächeanfall gegen einen scheinbar genauso
düster-undurchschaubaren Gegner ersetzt wurde. Und auch der Konflikt
mit den Juden dauert gerade einmal etwas mehr als 80 Jahre, als
nämlich die ersten größeren jüdischen Einwandererwellen nach
Palästina kamen, um einen eigenen Staat zu errichten. Was ihnen dann
1948 gelang und eine Massenauswanderung von Juden aus arabischen
Ländern zur Folge hatte.
Vorher war die Geschichte der Juden in muslimischen Ländern über
Jahrhunderte die einer beispiellosen kulturellen Symbiose. Die große
wirtschaftliche und kulturelle Blüte des Islam vom 9. bis 12.
Jahrhundert schuf dann in Spanien auch jene mittelalterliche
jüdische Kultur, die später das "Goldene Zeitalter" genannt wurde.
Jüdische Poeten, Wissenschaftler und Mediziner schrieben ihre Werke
auf Arabisch oder Hebräisch. Formen der klassischen arabischen
Kultur wurden ohne Zögern übernommen und weiterentwickelt. Und die
über Byzanz ins Arabische geretteten griechischen Klassiker wurden
in Toledo ins Kastilische und Lateinische übersetzt und so dem
christlichen Abendland wieder zugänglich gemacht.
Von Byzanz unterdrückt
Wie der Altphilologe und Islamwissenschaftler David Wasserstein
jetzt im Potsdamer Einsteinforum berichtete, war die arabische
Kultur nicht nur der fruchtbare Boden für die Renaissance jüdischer
Literatur im Mittelalter. Vielmehr verdankt das Judentum seine
Existenz und sein Wiedererstarken der muslimischen Expansion im
Mittelmeerraum im 7. Jahrhundert. "Die Dominanz des Christentums im
römischen Reich seit dem 4. Jahrhundert bedeutete den Niedergang des
Judentums", sagte Wasserstein. Vorher habe es zwar relativ kleine,
aber sehr lebendige jüdische Gemeinden im ganzen Mittelmeerraum
gegeben, die in ständigem Kontakt miteinander standen. Auch die
Verbannung aus Palästina nach den beiden Erhebungen gegen Rom (63
und 132 n. Chr.) hätten das Judentum nicht entscheidend geschwächt.
Konnte man doch auf Alexandria und Mesopotamien ausweichen, wo es
seit der babylonischen Gefangenschaft eine bedeutende jüdische
Gemeinde gab. Erst die ständige Verschlechterung des sozialen,
rechtlichen und wirtschaftlichen Status der Juden im Byzantinischen
Reich führte dann seit dem 4. Jahrhundert zu einer dramatischen
Krise. Hier habe er, so Wasserstein verschmitzt, eine "leicht
revisionistische Sicht der jüdisch-muslimischen Geschichte". Seine
These: Als Mohammed Anfang des 7. Jahrhunderts auf die Bühne der
Weltgeschichte trat, war das Judentum im Begriff zu verschwinden.
Denn vorher habe es massive, meist erzwungene Konversionen zum
Christentum gegeben. Oft wurden Juden die Kinder weggenommen, um
diese christlich zu erziehen.
Auch der ständige Kampf der christlichen Welt mit den persischen
Sassaniden habe zur Folge gehabt, dass die Beziehungen der Gemeinden
zum jüdischen Zentrum in Mesopotamien abrissen, vielfach gar das
Aramäische und Hebräische gar nicht mehr verstanden wurde. "Für das
6. und 7. Jahrhundert haben wir fast gar keine Quellen mehr, Juden
scheinen die kulturelle Produktion ganz eingestellt zu haben", sagt
Wasserstein. Für ihn ein Beleg dafür, dass das Judentum numerisch an
der kritischen Masse angekommen war. Im Westen befand es sich in
Gefahr, ganz zu verschwinden, im persischen Reich drohte es zu einer
orientalischen Sekte zu werden.
Eine offene Gesellschaft?
Historische Quellen aus der Zeit der islamischen Eroberungen im 7.
und 8. Jahrhundert belegen sowohl für Syrien / Palästina als auch
für Spanien, dass die muslimischen Verbände nicht nur von der
jüdischen Bevölkerung, sondern auch von Christen, die in Byzanz als
Häretiker galten, Willkommen geheißen wurden. Denn diese boten im
Austausch für eine Kopfsteuer auch den Minderheiten einen
Schutzstatus als "Bürger zweiter Klasse", der weit über das
hinausging, was Byzanz zugebilligt hatte. Der in Tel Aviv lehrende
Wissenschaftler bezeichnet die muslimische denn auch - unter
Einschränkungen - als "offene Gesellschaft", in der Juden nicht
gettoisiert wurden, sondern am sozialen und wirtschaftlichen Leben
teilnahmen. Außerdem entstand erstmals wieder ein politischer Raum,
der die meisten Gemeinden am Mittelmeer umschloss und einen
lebhaften Austausch ermöglichte.
Wie schnell und wie stark sich Juden auf die arabische Sprache und
Kultur einließen, bezeugt laut Wasserstein die schon im 10.
Jahrhundert erfolgte Übersetzung der hebräischen Bibel in die
Sprache der neuen Herren. Mit keiner anderen Kultur seien Juden je
eine so tiefe Symbiose eingegangen, so dass die mittelalterliche
jüdische Kultur auch die Höhen und Tiefen der arabischen Kultur
parallel mit durchwanderte. Als im 15. Jahrhundert dann die große
Zeit der arabisch-muslimischen Kultur vorbei war, hatten Juden ein
"kulturelles Kapital" angesammelt, das den arabischen Niedergang
überdauerte und auch nach Europa ausstrahlte. Nicht zuletzt durch
die aus Spanien vertriebenen Juden, die ihre Kultur nicht nur ins
osmanische Reich mitbrachten, sondern aus deren Reihen auch an der
Antlantikküste Europas noch Denker wie Spinoza hervorgingen.
haGalil onLine
30-05-2000
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