[Preisausschreiben]
Vor sechzig Jahren:
Die Internierung deutscher Juden in
Australien
Die "Dunera"- Affäre
Am 10. Mai 1940 begann die
Wehrmacht ihren Eroberungsfeldzug im Westen. Innerhalb weniger Tage
kapitulierten die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Deutsche Verbände
stießen ungehindert zur Kanalküste vor und besetzten weite Teile
Frankreichs. In Groß-britannien machte sich die Angst vor einem deutschen
Angriff breit.
Im Lande selbst befanden sich
zu diesem Zeitpunkt Hunderttausende von Deutschen, Öster-reichern
und mit ihnen verbündete Italiener. Die Briten fürchteten, dass sich
diese Personen-gruppe als "fünfte Kolonne" Hitlers in Großbritannien
entpuppen könnte. Obwohl es sich bei den meisten der Ausländer um
Flüchtlinge handelte, die sich vor dem NS-Regime gerettet hatten,
wurden sie ab dem Frühjahr 1940 als so genannte "enemy aliens" in
Lager interniert. Das größte Internierungslager befand sich auf der
Isle of Man in der Irischen See. Mit dem Fortschreiten des Krieges
schienen den Briten bald selbst die abgelegenen Lager nicht mehr
sicher genug zu sein und sie begannen eine große Zahl von
Lagerinsassen nach Kanada und Australien zu deportieren. Dorthin
hatten die Briten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder
mißliebige Elemente hin verschifft. Diese Praxis lebte nun mit den
"enemy aliens" für kurze Zeit wieder auf.
Die meisten der Internierten
wurden im Juli 1940 nach Kanada geschickt. Ein einziges Schiff nahm
Kurs nach Australien: Es war die "Dunera", ein ehemaliger
Truppentransporter, der nun dazu diente, zweieinhalbtausend
überwiegend jüdische Häftlinge ans andere Ende der Welt zu schaffen.
Die Lebensbedingungen auf der "Dunera" waren hart; die Passagiere
wurden wie Gefangene hinter Stacheldraht gehalten. An Bord herrschte
drangvolle Enge, die Schlafplätze reichten bei weitem nicht aus und
die hygienischen Bedingungen waren katastrophal.
Die Bewacher erwiesen sich
als roh und wenig umgänglich. Bei den meisten von ihnen handelte es
sich um begnadigte Strafgefangene, die man zur Bewährung
freigelassen hatte und die sich bereits bei der Einschiffung
hemmungslos an der Habe der Passagiere vergriffen hatten. Befehligt
wurde die "Dunera" von Lieutenant-Colonel William Patrick Scott, der
aus seiner antisemitischen Haltung keinen Hehl machte. Spannungen
unter den Passagieren waren vor-programmiert. Und die Juden
protestierten zu wiederholten Malen ebenso entschieden wie
vergeblich dagegen, mit deutschen Nazis zusammengepfercht zu werden.
Am 27. August erreichte die
"Dunera" nach einer langen abenteuerlichen Reise vorbei am Kap der
Guten Hoffnung und nach zweimaligem Torpedobeschuß durch feindliche
Schiffe, mit
2 542 Häftlingen an Bord den
Hafen Fremantle im Südwesten Australiens. Unterwegs waren zwei
Menschen gestorben, einer davon durch Selbstmord. Zwei Passagiere
waren schwer krank und zwölf weitere waren dringend
behandlungsbedürftig.
542 Passagiere, 342 Deutsche
und 200 Italiener, wurden nach Melbourne verfrachtet. Für die
anderen 2000, bei denen es sich ausschließlich um Juden handelte,
ging die Reise auf der "Dunera" bis zum 7. September 1940 weiter
nach Sydney und von dort aus mit dem Zug nach Hay in New South
Wales. Dort wurde die Gruppe auf zwei Lager verteilt.
Eines dieser Lager war "Camp
Hay", das eintausend deutsche und österreichische Juden aufnahm. Die
meisten von ihnen waren Akademiker, Rechtsanwälte, Professoren,
Künstler, Lehrer, Ärzte, Musiker, Ingenieure, etc., die sich einst
in ihrer Heimat erfolgreich eine Existenz aufgebaut hatten. Nun
sassen sie in der Hitze und im Staub der australischen Wüste, fernab
von jeglicher Zivilisation und scheinbar zum Nichtstun verdammt,
während draußen die Welt im Umbruch war. Diese tausend Menschen
begannen nun unter sich einen kleinen Staat aufzu-bauen, der
demokratisch organisiert war und nach den Regeln der sozialen
Marktwirtschaft funktionierte.
Für sämtliche im Lager
geleisteten Arbeiten, für das Reinigen der Latrinen ebenso wie für
Zahnbehandlungen, wurden Löhne und Gehälter gezahlt. Mit diesen
konnte man neue Dienstleistungen oder aber Waren erwerben, die man
sich von draußen in das Lager hatte schicken lassen und für deren
Einkauf einer der Lagerinsassen das Startkapital vorgestreckt hatte.
Das "Camp Haye" begann bald zu blühen: Mitten in der Wüste wurde
Geld verdient und ausgegeben, wurden Operationen durchgeführt,
Theater gespielt, Zeitungen gedruckt, Gottes-dienste abgehalten und
Gedichte rezitiert. Es wurden Universitätskurse in mehreren
Disziplinen angeboten. Man konnte hebräisch und chinesisch lernen
und das Abitur ablegen. Auch die koschere Ernährung war gesichert.
Nachdem sich auch eine ganze Reihe von Mitgliedern eines
renommierten Symphonieorchesters im Lager befand, gab man ein
Konzert, zu dem die Bewohner des australischen Buschs aus weiter
Entfernung angereist kamen.
Das "Camp Hay" existierte
nicht ganz zwei Jahre lang. Dann ließen die Briten ihre "enemy
aliens" frei. Viele der ehemals Internierten schlossen sich den
jüdischen Brigaden an und halfen bei der Befreiung ihrer früheren
Heimatländer vom Faschismus. Doch nur wenige von ihnen kehrten auf
Dauer dorthin zurück.
Dr. Christiane Kolbet
haGalil onLine
29-06-2000
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